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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Furioses Comeback Nigel Farage – der Brexit-Kasper macht ernst
Die Unfähigkeit der britischen Politiker, sich im Streit um den EU-Austritt zu einigen, spült ein Brexit-Urgestein wieder hoch: Nigel Farage, der Hauptverantwortliche für den Brexit, ist wieder da. Wie gefährlich ist sein Erfolg für die EU?
"Ich will mein Leben zurück." Mit diesen Worten verabschiedete sich Nigel Farage 2016 von der politischen Bühne in Großbritannien. Die Briten hatten sich in einem Referendum gerade knapp mit 52 zu 48 Prozent für den Brexit ausgesprochen. Ohne Farage hätte es diese Abstimmung wohl nie gegeben. Als Mitbegründer und Anführer der EU-feindlichen "Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs" (UK Independence Party/Ukip) war er die Schlüsselfigur für den Abstimmungserfolg der EU-Gegner.
Nun kehrt er furios zurück. Stärker als je zuvor und gefährlich vor allem für die etablierten Parteien in Großbritannien. Doch auch der EU könnte sein Erfolg schaden.
Nach Umfragen vom Wochenende wird die Brexit-Partei von Farage bei den Europawahlen auf Anhieb stärkste Kraft in Großbritannien. Einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Opinium im Auftrag des "Observer" zufolge, käme die Farage-Partei auf mehr Stimmen als die beiden Volksparteien, Konservative und Labour, zusammen.
Sogar bei einer Parlamentswahl würde die Brexit-Partei nach einem Bericht des "Sunday Telegraph" die Konservativen derzeit überflügeln. Die Brexit-Partei käme auf 20 Prozent der Stimmen, die Konservativen nur auf 19 Prozent. Labour wäre mit 27 Prozent stärkste Kraft.
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Das sind sensationelle Werte für eine Partei, die erst im Januar gegründet wurde. Sie profitiert vom Politik-Chaos in Großbritannien rund um den Brexit; in erster Linie von der Unfähigkeit der britischen Abgeordneten sich auf einen Weg aus der EU zu einigen. Der daraus resultierende Frust der Briten über ihre politische Führung ist eine Gelegenheit, die sich der Populist Farage nicht entgehen lassen will.
Fährt die Brexit-Partei den erwarteten Erfolg bei der Europawahl ein, wird der Block der EU-Feinde innerhalb des Europäischen Parlaments deutlich größer. Die Brexit-Partei stellt derzeit 14 der 73 britischen Abgeordneten. Farages Partei ist mit Italiens Fünf-Sterne-Bewegung die dominierende Kraft der EU-skeptischen und rechtspopulistischen Fraktion EFDD (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie) im EU-Parlament. Zu ihr gehört auch die AfD, die allerdings nur mit einem EU-Abgeordneten, Jörg Meuthen, vertreten ist.
Es droht ein EU-feindlicher Block innerhalb der EU
Insgesamt kommt die EFDD bisher auf 42 von 751 EU-Abgeordneten. Es ist zu erwarten, dass auch die EU-Feinde etwa in Frankreich, Italien oder Polen bei der Europawahl zulegen werden. Würde sich die EFDD mit Frankreichs Front National, Italiens Lega, den britischen Torys und polnischen Abgeordneten der PiS zusammentun, könnten sie auf rund 200 Sitze im neuen Parlament kommen. Dann wären sie innerhalb der EU keine Randerscheinung mehr. Sie könnten versuchen, Entscheidungen über die Zukunft der Union zu blockieren oder zu verzögern – etwa beim EU-Budget oder einer EU-Armee.
In der Vergangenheit inszenierte sich Farage oft als Polit-Clown, gerne mit Bier und Zigarette in den Händen. Das war zu Ukip-Zeiten außerordentlich erfolgreich. Viele übersahen dabei, dass Farage schon damals ein Politik-Profi war. Bereits seit 1999 ist er EU-Abgeordneter. Zwar scheiterte er bisher fünfmal daran, ins britische Parlament gewählt zu werden, aber jetzt – mit 55 Jahren – sind seine Chancen so gut wie nie zuvor.
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Seine Brexit-Partei ist eine Vereinigung, die mit dem Brexit, beziehungsweise der Unzufriedenheit über den Verlauf des Brexits, nur ein Thema hat. Farage hält es nicht einmal für notwendig, vor der Europawahl ein Parteiprogramm aufzustellen. Auf der Webseite der Brexit-Partei ist außer Ein-Satz-Statements oder Videos von Wahlkampfauftritten, nichts Inhaltliches zu finden.
Wahlkampf ohne Wahlprogramm
Was absurd klingt, könnte sich als erfolgreiche Taktik herausstellen. Ohne Programm kann er die Politikfrustrierten und Brexit-Befürworter aller etablierten Parteien für sich gewinnen – die so erst nach der Europawahl erfahren werden, wofür die Partei, die sie gewählt haben, genau steht.
Farage will sich für seinen zweiten großen Brexit-Auftritt neu erfinden. Das konnte man bei der BBC am vergangenen Sonntag in der "Andrew Marr Show" gut beobachten. Konfrontiert mit früheren kontroversen Äußerungen zu Immigration, zur Abschaffung des staatlichen Gesundheitssystems in Großbritannien, mit seiner Bewunderung für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seiner Äußerung Klimawandel sei "die dümmste Sache der Welt", reagierte Farage extrem unwirsch und tobte, er habe noch nie ein so lächerliches Interview über sich ergehen lassen müssen.
Farage ist anzumerken, dass er seine Vergangenheit hinter sich lassen will – auch die in der immer mehr nach rechts driftenden Ukip, die er Ende 2018 verlassen hat. In der BBC-Sendung bricht es aus ihm heraus: "Was ist hieran relevant? Hier haben wir es mit einer der größten politischen Veränderungen zu tun, die es je gegeben hat. Lassen Sie uns über Demokratie reden, über Vertrauen, über politische Kompetenz."
Für Farage ist die Europawahl nur eine Zwischenetappe
Vertrauensverlust, Wut auf die abgehobene politische Elite, Unfähigkeit der Politiker den Willen des Volkes umzusetzen – kurzum ein gescheitertes politisches System in Großbritannien: mit diesen Themen macht Farage Wahlkampf. Für ihn ist die Europawahl nur eine Zwischenetappe.
Farage hat ein viel größeres Ziel. Er will eine "demokratische Revolution" in Großbritannien. Farage will das System der zwei dominierenden Parteien – Konservative und Labour – aufbrechen und langfristig die konservative Partei ersetzen. Dafür nutzt er die ihm bereitete Brexit-Bühne und da kommt es ihm sehr gelegen, dass die Torys unter Theresa May wegen des Brexit-Debakels kurz vor der Spaltung stehen.
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Farages Forderungen für den Fortgang des Brexits sind – wie so vieles bei ihm – ganz einfach: Die Briten sollen sofort ohne Deal aus der EU austreten. Dann werde die EU Großbritannien sehr schnell ein Freihandelsabkommen anbieten – mit viel besseren Bedingungen als das als EU-Mitglied für die Briten möglich wäre. Wie es weitergeht, wenn das nicht geschieht, sagt Farage nicht.
- Eigene Recherche
- Sunday Telegraph: Brexit Party beats Tories in general election poll and would win 49 seats in Commons (engl.)
- The Guardian: Brexit party may get more EU election votes than Tories and Labour combined – poll (engl.)
- The Andrew Marr Show: Nigel Farage on the European elections (Video/engl.)
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters