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Tagesanbruch: Pressefreiheit – Ein Fall für die Justiz


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Ein Fall für die Justiz

MeinungVon Florian Harms

01.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Katarina Barley.Vergrößern des Bildes
Katarina Barley. (Quelle: imago)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Donald Trump scheitert in Hanoi, weil er Diplomatie mit den Mechanismen des Geschäftemachens verwechselt, schlägt nach dem ergebnislosen Treffen mit Nordkoreas Kim aber einen moderaten Ton an. Deutschlands Autobauer hecheln der Digitalisierung hinterher, aber Daimler und BMW bündeln nun beim automatisierten Fahren ihre Kräfte, um Google und Tesla Paroli zu bieten. Viele Bürger hegen Immer noch Misstrauen gegen die Regierungsparteien SPD, CDU und CSU, aber alle drei haben begonnen, sich neu zu organisieren, ihre Programme zu überarbeiten und ihre Profile zu schärfen.

Ist das Glas jetzt also halb voll oder halb leer?

Vielerorts las ich in den vergangenen Tagen wieder harsche Kritik an politischen Anführern und Wirtschaftsbossen, auch manche Generalabrechnung war darunter. Zulässig, natürlich. Wer Macht hat, muss Kritik aushalten. Aber ist der Tadel immer angemessen?

Mit diesen Gedanken im Kopf klickte ich ein Video an, das mir mein Freund Khaled aus Damaskus geschickt hat. In dem kurzen Film sieht man die Wohnung, in der er früher mit seiner Frau und den beiden Kindern wohnte und für die er jahrelang hart gearbeitet hat. Heute ist sie ein Trümmerfeld. Sie liegt im Viertel Duma, das bei den Kämpfen zwischen Regime und Rebellen weitgehend zerstört worden ist. In einer Szene sieht man unter einem Schutthaufen das Hochzeitskleid von Khaleds Frau; sie konnte es nicht mitnehmen, als die Familie vor den Kämpfen floh.

Mit diesen Bildern im Kopf hörte ich die letzte Nachricht meines Freundes Ibrahim auf meinem Anrufbeantworter ab. Er stammt aus Gambia und schlägt sich seit 15 Jahren im Süden Libyens mit Hilfsarbeiten durch. Brunnen graben, Steine schleppen, sowas. Mal bekommt er ein paar Dollar, mal bekommt er Schläge, mal wird er von Milizen bedroht. Nachdem ich ihn vor vielen Jahren auf einer Reise kennengelernt hatte, telefonierten wir regelmäßig: Da er kein Handy besitzt, sparte er sich immer ein paar Groschen zusammen und rief mich von irgendwo an. Aber nun hat er sich schon länger nicht mehr gemeldet. Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen ist. Ob er noch lebt?

Zwei Lebenswege, zwei Schicksale, die nichts gemein haben, sondern zufällig in mein Leben traten – und mich doch regelmäßig beschäftigen, auch in den vergangenen Tagen wieder. Weil sie mir vor Augen führen, wie das Leben eben auch laufen kann, ohne dass man etwas dafür kann. Weil es auf der anderen Seite des Mittelmeers Tausende Khaleds und Tausende Ibrahims gibt. Wenn man sich vor Augen führt, wie Krieg und Not die Schicksale vieler Menschen in unserer Nachbarschaft bestimmen, wird einem schlagartig bewusst, wie gut es den meisten von uns hierzulande geht. Wir leben in Frieden und Sicherheit, genießen einen relativen Wohlstand, feiern in diesen Tagen ausgelassen Karneval oder belächeln pikiert die Jecken. Selbst wenn auch hierzulande nicht alles eitel Sonnenschein ist, selbst wenn das Geld nicht immer reicht: Die meisten von uns haben ein Auskommen, das uns ein Leben in Würde, Zufriedenheit und Geselligkeit ermöglicht.

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Banalitäten, die ich da notiere, ich weiß. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns diese schlichten Tatsachen mal wieder bewusst machen sollten. Natürlich haben wir das gute Recht, uns über allerlei Fehler aufzuregen, die unsere Regierung, die Parteien, Unternehmensbosse oder meinethalben auch die Kicker unseres Fußballvereins machen. Aber das ist ja gerade das Schöne: Wir haben eben das demokratisch verbriefte Recht, unsere Meinung kundzutun. Und wir sollten uns vielleicht gelegentlich eingestehen, dass wir auf einem hohen Niveau klagen. Diesen Eindruck gewinne ich jedenfalls, wenn ich die Bilder aus Khaleds Wohnung sehe oder die Nachrichten von Ibrahim auf meinem Anrufbeantworter höre (mehr zu Khaleds Geschichte erfahren Sie in der eindrucksvollen Live-Reportage von Lutz Jäkel: “Syrien. Ein Land ohne Krieg“).

Ich denke, unser Glas ist öfter halb voll als halb leer. Wäre doch schön, wir würden das gelegentlich bemerken. Hebt die Laune. Egal, ob man nun Karneval feiert oder nicht.


Gleichwohl: Kritischer Journalismus ist elementar wichtig für eine funktionierende Demokratie. Journalisten schauen den Mächtigen in Politik und Wirtschaft auf die Finger und entlarven deren Machenschaften. Genau das will eine Lobby aus Wirtschaftsvertretern und Ministerialbeamten nun offenbar verhindern. Sie hat der Bundesjustizministerin Katarina Barley einen Gesetzentwurf untergeschoben, den diese fröhlich-ahnungslos in den Bundestag einbringt. Sie scheint sich nicht sehr für die Details zu interessieren, ihre Spitzenkandidatur für die Europawahl ist ihr wohl wichtiger. Und so läuft unsere Demokratie Gefahr, an einer entscheidenden Stelle geschwächt zu werden. Das ist die Geschichte, die Kollegen von “correctiv“ erzählen – nicht aus dem blauen Himmel gegriffen, sondern akribisch recherchiert. Diesen Text empfehle ich Ihnen heute ausdrücklich. Anschließend interessiert Sie vielleicht die Postadresse des Justizministeriums.


WAS STEHT AN?

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg kommt heute nach Hamburg, um gemeinsam mit Schülern der Hansestadt für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Neben viel Anerkennung schlagen der 16-jährigen Schwedin in den sozialen Medien und seitens mancher Politiker derbe Kritik und Verachtung entgegen. Würde mancher sich mit derselben Vehemenz für unser Klima einsetzen, wie er Klimaschützer kritisiert, wäre der Umwelt schon geholfen.


Nach der jüngsten militärischen Konfrontation haben sich die Spannungen zwischen den Atommächten Pakistan und Indien verschärft. Heute will Pakistan einen gefangenen indischen Piloten freilassen. Was Besonnenheit ist, scheint man in Islamabad also noch zu wissen.

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In Bukarest treffen sich heute die Digitalminister der EU-Staaten. Hätte Deutschland einen Digitalminister, könnte es dort laut mitreden. So wird es wohl eher ein Flüstern.


WAS LESEN?

Ein syrischer Flüchtling findet Arbeit im Büro eines AfD-Bundestagsabgeordneten: Klingt ungewöhnlich? Ist es auch. Mein Kollege Lars Wienand hat gemeinsam mit dem ARD-Politmagazin “Kontraste“ die erstaunliche Geschichte von Kevork Almassian recherchiert, der sich selbst “Propagandakrieger für den syrischen Staat“ nennt.


Viele Menschen haben eine klare Meinung zum Kapitalismus, nicht erst seit der Finanzkrise: ausbeuterisch sei er, zerstörerisch gar. Der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe sieht das ganz anders. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt der Forscher den Kapitalismus als eine Wirtschaftsweise, die den weniger Wohlhabenden ausdrücklich hilft – weil er zum ersten Mal in der Geschichte den Massenkonsum der breiten Bevölkerung zum Ziel hat. Aber wie konnte es dann im Jahr 2007 zur Finanzkrise kommen, und wie lassen sich künftige Krisen vermeiden? Hier sind die Antworten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Kennen Sie das auch? Wenn ich einen Film aus der Zeit sehe, in der die Bilder laufen lernten, dann sieht das nicht so aus, als hätten dort Menschen wie wir gelebt. Wie aufgezogen staksen die Leute hin und her, schnell wie im Slapstick, tonlos in einer Welt aus schrabbeligem Schwarz-Weiß. Deshalb habe ich nicht schlecht gestaunt, als ich dieses Video gesehen habe: echte Bilder, normales Tempo, der Ton wurde nachträglich hinzugefügt – und auf einmal ist man wirklich am Ende des 19. Jahrhunderts angekommen, mitten unter echten Menschen. Und erstaunlich viel Verkehr! Da verrutscht mir glatt der Zylinder.

Ich wünsche Ihnen einen staunenswerten Tag und dann ein schönes Wochenende. Den Audio-Tagesanbruch morgen bestreitet diesmal unsere Politikchefin Tatjana Heid mit meinem Kollegen Marc Krüger. Ich bin dann ab Montag wieder für Sie da.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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