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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drei Thesen zur Partei-Zukunft AfD in Wartestellung – Wo geht’s hier zur Regierung?
Eines macht der Parteitag der AfD deutlich: Die Partei will endlich mitregieren. Dazu muss sie einen Spagat leisten, der ihr nicht leicht fallen wird. Drei Thesen zur weiteren Entwicklung.
Beflügelt von den Wahlergebnissen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst dieses Jahres, kristallisiert sich immer mehr heraus: Die AfD will an die Regierung. In einem für eine über Jahrzehnte gewachsene Parteienlandschaft rasanten Tempo hat sich die AfD von einer chaotischen Splitterpartei zu einer, so sieht sie es selbst, unverzichtbaren politischen Größe entwickelt. Keine Frage: Sie wird bleiben. Der scheidende Co-Parteichef Alexander Gauland drohte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Braunschweig offen, die anderen Parteien, und damit meinte er insbesondere die CDU, würden die AfD nicht mehr ignorieren können und "uns vom Gestaltungsspielraum dieses Landes ausschließen".
Selbst Björn Höcke, AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag und prominenter Vertreter des rechtsradikalen "Flügels", hatte bereits vor zwei Wochen einen entsprechenden Vorstoß gewagt: Im Zuge der schwierigen Regierungsbildung in Thüringen bot er dem dortigen CDU-Fraktionschef Mike Mohring gönnerhaft an, eine Minderheitsregierung geführt von der CDU zu tolerieren oder eine gemeinsame Koalition aus CDU, FDP und AfD zu bilden – ein Angebot, das Mohring, der Höcke vor Kurzem als "Nazi" bezeichnet hatte, nur ablehnen konnte.
Höcke lässt den Staatsmann raus
17 Thüringer CDU-Mitglieder hatten zuvor Gespräche mit der AfD gefordert. "Irre", befand Generalsekretär Paul Ziemiak, der auf einen Beschluss des CDU-Bundesparteitags verwies: Eine Zusammenarbeit mit AfD oder Linkspartei ist ausgeschlossen. Trotzdem war Höckes Signal an Mohring klar: Da lässt einer den Staatsmann raus – und bringt sich in Lauerstellung.
In der AfD schwingt eine seltsame Mischung aus Sorge und Hoffnung zugleich über den weiteren Kurs der großen Koalition mit: Platzt sie mit dem SPD-Parteitag in der nächsten Woche, stünden bald Neuwahlen an. Nach dem Mitgliederentscheid für das Duo Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans ist die Unsicherheit da so groß wie nie. Eine Chance, aber es wirkt, als fürchte die AfD sich selbst ein wenig vor so einer Herausforderung. Denn: Landtagswahlen in den angestammten Hochburgen in Ostdeutschland sind das eine.
Bundestagswahlen, die auch die Stimmen derjenigen einschließen, die im Westen leben und mit der teilweise rassistischen und rechtsradikalen Ideologie der AfD weniger anfangen können, sind eine andere Sache. Wer den Reden auf dem Parteitag folgt, gewinnt den Eindruck, die meisten würden sich wohler fühlen, stünden die Bundestagswahlen erst 2021 an.
Meuthen will erst mal aufräumen
Ein Aspekt dabei: Die neue Führung um Jörg Meuthen und Tino Chrupalla will die Partei zunächst intern auf Linie bringen. Das ist ein zentraler Punkt auf dem Parteitag. Meuthen erteilte extremistischen Gruppen eine klare Absage, ebenso wie der Abschaffung der sogenannten Unvereinbarkeitsliste mit rund 250 Organisationen und Vereinen, die im Verdacht stehen, rechtsextrem zu sein, und deren Mitglieder deshalb nicht für die AfD zugelassen werden – etwa die vom Verfassungsschutz beobachtete Identitäre Bewegung.
Auch, dass die Delegierten sich dagegen aussprachen, über diese Liste abzustimmen, deutet darauf hin, dass dieser Streitpunkt einen möglichen Wahlkampf nicht verhageln soll. Björn Höcke hatte noch im Sommer gedroht, dem Vorstand (gemeint war wohl sein Kontrahent Meuthen) die Wiederwahl zu verderben, gab sich nun in Braunschweig aber handzahm.
Drei Thesen, wie es mit der AfD in den nächsten Jahren weitergeht.
1. Das Unmögliche wird irgendwann wahr
Was heute vielen wahrscheinlich als verrückt und undenkbar erscheint, könnte in den kommenden Jahren Realität werden: Die AfD könnte an einer Regierungskoalition beteiligt werden, wenn wohl auch nur auf Landesebene. Der Grund findet sich auch in der zunehmend fragmentierten Parteienlandschaft, die stabile Koalitionen unter den bisherigen großen Parteien immer schwieriger macht. Auf kommunaler Ebene gibt es schon jetzt hier und da eine Zusammenarbeit. Die AfD wird sich nicht ewig aus Koalitionen heraushalten lassen.
Darauf arbeitet sie jetzt verstärkt hin. Wenn die Wiederwahl von Jörg Meuthen als Parteichef und seinem neuen Co-Chef Tino Chrupalla eines gezeigt hat, dann, dass sich der Kurs aus dem internen Disziplinieren und dem externen rhetorischen Weichspülen durchgesetzt hat. Natürlich, im Bundestag vergreifen sich die Abgeordneten der AfD immer wieder im Ton, lassen ein rassistisches und menschenverachtendes Bild erkennen. Dass Führungskräfte und parlamentarische Mitarbeiter eine Vergangenheit in rechtsextremen Organisationen haben (etwa Andreas Kalbitz, der Verbindungen zur verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" hatte), darf man auch nicht vergessen.
Aber: Die AfD-Politiker mühen sich mehr und mehr, dies mit einer Charmeoffensive zu entschärfen und die Dinge zu relativieren. Es ist die berühmte und gefährliche Diskursverschiebung: Man sagt etwas und schiebt eine Woche später hinterher, das sei nicht so gemeint gewesen. Man sei missverstanden worden. Man habe sich nur "pointiert/überspitzt" ausgedrückt und sei "übers Ziel hinausgeschossen". Besonders kokett auch die Variante, in der man Fehler in der Vergangenheit eingesteht – wohl wissend, dass das Gesagte nun mal in der Welt ist. Björn Höcke übte sich am Samstag im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix in dieser Disziplin, als es um seine berüchtigte Dresdner Rede über das Holocaust-Denkmal in Berlin ging.
Der Neue an der Parteispitze, Tino Chrupalla, erfüllt in der Strategie zur Regierungsbeteiligung eine doppelte Funktion. Er war der Wunschkandidat von Alexander Gauland, der extremistische Tendenzen – zumindest offiziell – ablehnt. Gleichzeitig ist Chrupalla nicht etwa gemäßigt: Der rechtsradikale "Flügel" stützt ihn, Chrupalla darf als Bindeglied gelten. Kein Zweifel: Das ist das neue Kalkül. Die AfD versucht sich am staatstragenden Auftreten, ohne dabei die radikale Klientel zu verprellen.
Fraglich ist, wie sich die anderen Parteien dazu verhalten, vor allem die CDU mit ihrem geltenden Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die AfD, und in welchem Maße die AfD sich ihrerseits auf die Union zubewegt.
2. Im Westen wird das nix
In Ostdeutschland hat sich die AfD mit 20, fast 30 Prozent fest in der Parteienlandschaft etabliert. In manchen Kommunen erreicht sie sogar noch mehr. Von solchen Ergebnissen können die Mitglieder im Westen nur träumen. Und das tun sie auch. Auf dem Braunschweiger Parteitag wies der einflussreiche (West-)Berliner Gottfried Curio darauf hin, dass es gelingen müsse, auch in den westdeutschen Bundesländern Fuß zu fassen. Der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk sagte in einem Interview am Rande des Parteitags, die Partei müsse auch andere Themen, etwa Wirtschaft und Finanzen, besetzen und dürfe sich nicht ausschließlich mit Migration befassen.
In der Tat ist die AfD in anderen Themenfeldern eher inhaltsleer, ein Rentenkonzept sucht sie seit Jahren. Ein "Arbeits- und Sozial-Parteitag" im kommenden April soll endlich Ergebnisse bringen. Doch selbst wenn es gelänge, Positionen in politischen Schlüsselfeldern zu erarbeiten, würde es noch lange dauern, Wähler in Westdeutschland auf Basis dieser Konzepte für sich zu gewinnen. Da hätte die Partei erst einmal einen Ruf aufzubauen.
Sie wählen sie nicht trotzdem, sondern deswegen
Überhaupt ist es so eine Sache mit dem Ruf. Die Ressentiments und die Ablehnung gegen Menschen aus anderen Kulturkreisen verfangen in Ostdeutschland besser als in Westdeutschland. Wissenschaftler haben auch herausgefunden, dass die Wähler der AfD nicht trotz ihres rassistischen Duktus ihre Stimme geben, sondern genau deswegen. Auch in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Hessen gibt es rechtsextremes oder nationalistisches Gedankengut – aber die Bereitschaft, am Wahltag ein entsprechendes Kreuzchen zu machen, ist traditionell geringer. Bei der hessischen Landtagswahl 2018 kam die AfD auf 13,1 Prozent, 2017 waren es in NRW 7,4 Prozent.
Wird es noch mehr? Forscher sagen, die Partei habe ihren Zenit erreicht. Sie hat zwar bemerkenswert viele Nichtwähler mobilisiert und Wähler von anderen Parteien abgezogen. Doch seitdem wächst sie im Osten wie im Westen kaum noch, denn nun stößt sie auf jene drei Viertel der Bevölkerung, für die die Partei unwählbar ist. Gerade am Freitag zeigte das ZDF-Politbarometer: 80 Prozent der Befragten denken, dass rechtsextremes Gedankengut in der AfD weit oder sehr weit verbreitet sei. 85 Prozent der befragten Unionsanhänger sprachen sich gegen eine Zusammenarbeit mit der Partei aus.
3. Die Klimakrise wird der AfD neue Wähler zutreiben
Wenig ist der AfD so verhasst wie das politisch linke und grüne Lager. Die Klimakrise halten die meisten AfD-Vertreter für ein Märchen, vorgeschützt, um einen Reigen fürchterlicher Verbote wie den "Veggie Day" oder ein Diesel-Fahrverbot in Innenstädten zu erlassen. Das Klimapaket der Bundesregierung halten sie für geeignet, den Mittelstand in Deutschland und die Autoindustrie in den Ruin zu treiben.
Das bildet die Realität nicht ab. Dafür ist das Klimapaket zu sehr ein Päckchen und die Autoindustrie bislang mehr gefördert als gefordert beim Einsparen von CO2. Umgekehrt bringt die Klimakrise gravierende Veränderungen mit sich, die auch die Volkswirtschaft zu spüren bekommen wird, wenn Politik und Gesellschaft jetzt nicht schnell reagieren. Das benennt die AfD nicht und es fängt ja erst an, spürbar zu werden, mit den abgeschalteten Kraftwerken in überheißen Sommern, mit den ausgetrockneten Flüssen, auf denen Binnenschifffahrt nicht mehr möglich ist, mit den Waldbränden.
Klimaschutz wird irgendwann wehtun
Wer ernsthaft noch an das Ziel von Paris glaubt, die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius eindämmen zu können, kommt nicht um die Erkenntnis umhin, dass jeder Einzelne dafür Zugeständnisse machen muss. Die AfD hält das für groben Unfug. Und sie dürfte spätestens dann nicht mehr allein sein mit dieser Ansicht, wenn die Bundesregierung das Klimapaket irgendwann aus der Not heraus nachbessert und verschärft. Denn es dürfte der Zeitpunkt kommen, an dem Klimaschutz auch dem Otto Normalverbraucher wehtut.
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Man sieht es schon jetzt in Frankreich, wo die Gelbwesten ursprünglich gegen erhöhte Benzinpreise protestiert haben. Auch anderswo richten sich Proteste gegen gestiegene Energiepreise. Auf diese Menschen setzt die AfD. Sie will sich als Anwalt der in der Klimakrise vermeintlich ungerecht behandelten Bürger inszenieren. Die Erfolgsaussichten? Nicht so schlecht, je nachdem wie ungeschickt die Bundesregierung die finanziellen Belastungen künftig verteilt. Schon heute gilt das Klimapaket unter Experten nicht als sozial gerecht. So könnte die Klimakrise ausgerechnet denjenigen zum Erfolg verhelfen, die sie gar nicht wahrhaben wollen.
- Eigene Beobachtungen
- "Verlorene Mitte - Feindselige Zustände": Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung
- ZDF-Politbarometer vom 29. November 2019
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Studie über Ausländerfeindlichkeit unter AfD-Wählern