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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dürreschäden in Deutschland "Man kann nur beten, dass es regnet"
Land- und Forstwirtschaft ächzen noch immer unter den Folgen der jüngsten Dürren. Forscher Andreas Marx erklärt, was lange Trockenphasen anrichten – und was sie uns kosten.
Lange Trockenheitsphasen beeinträchtigen Land- und Forstwirtschaft. Statistisch gesehen kommt es jedes Jahr in Deutschland zu Dürreschäden in dreistelliger Millionenhöhe. 2018 waren es bundesweit bereits im August drei Milliarden Euro. Nur: Die Dürreperioden der vergangenen beiden Sommer waren so heftig wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Wälder und landwirtschaftliche Nutzflächen können sich kaum davon erholen.
Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig hat zusammen mit seinen Kollegen den sogenannten Dürremonitor aufgesetzt. Er gibt den Feuchtigkeitsstand des Bodens an und wo die tieferen Bodenschichten noch immer ausgetrocknet sind. Für letzteres zeigt der Monitor an: Alarmstufe Rot.
Im Interview mit t-online.de erklärt Marx, worauf sich Land- und Forstwirtschaft, aber auch Verbraucher und die Industrie in Deutschland einstellen müssen – und ob es Hoffnung für den Wald gibt.
t-online.de: Herr Marx, Sie halten in der kommenden Woche auf einer Konferenz in Berlin einen Vortrag zum Thema "Dürre 2018 und die volkswirtschaftlichen Folgen".
Andreas Marx: Ich habe den Titel des Vortrags in der Zwischenzeit eigenmächtig geändert. Er heißt jetzt: "Die Dürren 2018 und 2019 und die volkswirtschaftlichen Schäden" – die Dürre hat nie aufgehört.
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, an dem Sie tätig sind, betreibt den sogenannten Dürremonitor.
Wir haben den Monitor vor fünf Jahren ins Leben gerufen, weil es diese Informationen zu Bodenfeuchte und Dürre nicht gab, sie aber vor allem für das landwirtschaftliche Management gefragt waren. Der Monitor blickt bis 1951 zurück, weil die Datenbasis bis zu dem Zeitpunkt so gut ist, dass man für ganz Deutschland eine vernünftige Einschätzung treffen kann. Trockenheit kommt hierzulande immer wieder vor. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft hat vor 2015 geschätzt, dass allein in der Landwirtschaft in Deutschland statistisch jedes Jahr Dürreschäden in Höhe von 175 Millionen Euro entstehen.
Dr. Andreas Marx, 43, leitet das Mitteldeutsche Klimabüro am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Er forscht zum Bodenwasserhaushalt, zur Entwicklung des Grundwassers und betreibt mit seinen Kollegen den Dürremonitor, der Aufschluss gibt über die Feuchte in verschiedenen Bodensegmenten.
Wer nutzt Ihren Dürremonitor?
Die ersten waren Versicherungen, die Policen gegen Dürren anbieten. Saatguthersteller haben ihre eigenen Versuchsreihen mit der Trockenheit des Bodens über größere Flächen abgeglichen. Ein Landwirt sagte mir mal: "Ich kann nicht in den Boden reingucken. Ich kriege vom Mais eine Rückmeldung, wenn er die Blätter einrollt – dann hat er Trockenstress, aber ich sehe es vorher nicht." In der Forstwirtschaft wird der Monitor genutzt, um Rückschlüsse auf die Ausbreitung des Borkenkäfers zu ziehen, der für die Trockenheit ein maßgeblicher Faktor ist.
Was ist das Besondere an den Trockenheitsphasen der vergangenen beiden Sommer?
Trockenheit in der Länge und Intensität wie 2018 und 2019 gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Wir hatten einzelne Jahre, in denen ganz Deutschland von Dürre betroffen war. 2003 fielen bundesweit 1,5 Milliarden Euro an Schäden an. Aber 2018 haben die Bundesländer bereits im August drei Milliarden Euro Schäden veranschlagt und dann den nationalen Notstand festgestellt. Die Dürren 2018 und 2019 waren sehr unterschiedlich.
Wie meinen Sie das?
Es gibt vier verschiedene Arten von Dürre: Am Anfang steht die meteorologische Dürre, das heißt, es regnet weniger als normal. Dann folgt die agrarische Dürre, die sich auf die Bodenfeuchte bezieht – der Boden wird trockener als normal. Daran schließt sich die hydrologische Dürre an: Wenn aus dem Boden kein Wasser mehr kommt, sinken die Wasserstände der Flüsse, vor allem im Sommer. Das führt zur sozioökonomischen Dürre, die dann volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringt. Die meteorologische Dürre hat bereits im Februar 2018 eingesetzt. Da hatten wir ein großes Niederschlagsdefizit, das bis jetzt im September 2019 anhält. In Teilen Deutschlands sind seit Januar 2018 600 Liter Wasser pro Quadratmeter weniger vom Himmel gekommen als normal.
Die Böden sind also immer trockener geworden und trocken geblieben.
Ja, der Boden ist von oben an ausgetrocknet. Es gab in allen Kulturen Schäden, vom Wintergetreide, das zuerst geerntet wird, bis zum Mais, der zum Ende der Vegetationsperiode dran ist. Ausnahme war einzig der Bereich südlich der Donau. 2019 hingegen waren die Böden trocken, aber es gab in vielen Gegenden durchschnittliche Niederschläge, mit entsprechenden Erträgen für die Landwirtschaft. Die Bäume brauchen allerdings viel Wasser. Wenn der Boden nur oben nass wird, nützt ihnen das nichts: Die Jungpflanzen sind deshalb im Frühjahr vertrocknet.
Der Borkenkäfer hat sich über viele Bäume hergemacht ...
Ja, die Schädlinge waren besonders aktiv, allein der viel diskutierte Borkenkäfer hat mehr als hundert Arten. Davon sind meistens Fichten betroffen: Normalerweise bleiben die Schädlinge in ihrem Baumharz stecken. Wenn die Fichten Wasserstress haben, können sie das aber nicht bilden. Weil sie sich im Moment nicht wehren können, frisst der Borkenkäfer sie überall kahl. Der dritte Punkt: Überall in Deutschland sieht man aktuell vertrocknete Bäume, Birken zum Beispiel. Birken sind Flachwurzler. So sieht man die kahlen weißen Stämme stehen. Bei Kiefern und anderen Laubbäumen fällt es nicht sofort auf, wenn sie vertrocknet sind.
Genau. Das ist ein großes Problem in Land- und Forstwirtschaft. Man kann nur beten, dass Niederschlag fällt. 2,7 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland sind mit Bewässerungstechnik ausgestattet. Bewässern kann man aber nur da, wo es marktwirtschaftlich Sinn ergibt. In der Forstwirtschaft gibt es das gar nicht, also auch für die Jungpflanzen nicht.
Muss man da umdenken?
Zumindest die Landwirtschaft könnte man in größerem Maße bewässern. Aber dazu müssten Anbauflächen im Mittelmeerraum unattraktiv werden, was nicht unwahrscheinlich ist. Schon heute wird dort keine nachhaltige Landwirtschaft betrieben, denn da wird Grundwasser genutzt. Wasser, das nicht durch Niederschlag und Versickerung wieder in den Boden kommt. Dadurch senkt man die Grundwasserspiegel. Der Jahresniederschlag wird dort weniger, während es gleichzeitig heißer wird. Die Frage ist also, wie man Landwirtschaft in 50 Jahren im Mittelmeerraum überhaupt noch betreiben möchte. In Deutschland werden die Hitzewellen zwar ein Problem darstellen, aber der Jahresniederschlag ändert sich insgesamt nicht wesentlich. Hier muss man sich eher überlegen: Wie schafft man es, den Winterniederschlag so verfügbar zu machen, dass man ihn im Sommer einsetzen kann?
Sie meinen: Welche Speichermöglichkeiten gibt es?
Genau. Man kann aber auch steuern, wie man das Wasser, das im Winter fällt, in den Boden bekommt.
Wie funktioniert das?
In der Landwirtschaft kann man ohne Pflug arbeiten. Umpflügen bedeutet ja, Boden von 30, 35 Zentimetern Tiefe hochzuheben. Dabei verdunstet viel Wasser an der Oberfläche. Pfluglos zu arbeiten, vielleicht in Kombination mit einer Mulch-Auflage, verhindert, dass das Wasser wegläuft, und trägt dazu bei, dass es mehr Zeit hat, in den Boden einzusickern.
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Welche technischen Möglichkeiten sehen Sie noch?
Neue Talsperren zum Beispiel, aber das ist in Deutschland nicht sehr wahrscheinlich, vor allem nicht in der norddeutschen Tiefebene. Das hiesige Wasservolumen für die Trinkwasserversorgung ist groß – aber sehr gering für die landwirtschaftliche Bewässerung. 85 Prozent des Wassers, das heute für die Landwirtschaft genutzt wird, stammt aus dem Grundwasser. Die Wassermengen für große Flächen sind riesig.
Halten Sie es für möglich, dass es hier Verteilungskämpfe ums Trinkwasser geben wird?
Wenn sich die Landwirtschaft dazu entschließt, wird man sehen müssen, woher man das Wasser nehmen kann. Das wäre ein riesiger Wasserverbrauch. Im Sommer wird es heißer werden und der Wasserverbrauch wird steigen. Von einem Verteilungskampf zu sprechen, halte ich aber für wagemutig. Es hängt davon ab, ob im Mittelmeerraum weiter Landwirtschaft betrieben wird und wie die Erzeugerpreise sich entwickeln. Darüber kann man heute nur spekulieren.
Welche Pflanzen profitieren von der Dürre?
Vor 15, 20 Jahren hat die "Bild"-Zeitung mal Palmen an den Münchner Stachus gesetzt. Das ist natürlich Quatsch. Wir werden hier keine Mittelmeervegetation haben. Saatguthersteller züchten trockenresistente Pflanzen. Das heißt aber nicht, dass diese Pflanzen ohne Wasser auskommen. Das heißt nur, dass diese Pflanzen besser über Trockenzeiten kommen. Es wird hier weiterhin im Winter frieren, auch im Klimawandel. Es wird weniger Schnee geben – in 50 Jahren wird es aber trotzdem noch schneien in Deutschland. Das heißt, Sie brauchen Pflanzen, die winterhart sind.
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Wie ist die Situation des Grundwassers?
Das hat volkswirtschaftlich eine besondere Bedeutung. Das meiste Wasser aus den Flüssen speist sich aus dem Grundwasser. Das Grundwasser ist aber abgesunken, weil durch den Boden von oben kein neues Wasser nachgekommen ist. Wenn die Böden immer trockener werden, heißt das: Es gibt keine Grundwasserneubildung. Auf der Elbe ist 2018 wegen Niedrigwasser monatelang kein Schiff gefahren, auch dieses Jahr war die Gegend südlich von Magdeburg stark betroffen.
Welche Auswirkungen hat das für die deutsche Wirtschaft?
K&S aus Hessen machte rund 110 Millionen Euro Verlust …
… weil das Kali-Unternehmen seine Produktionsrückstände in der Werra entsorgen muss. Führt der Fluss Niedrigwasser, reduziert sich die erlaubte Entsorgungsmenge. Das führte 2018 dazu, dass das Werk an 64 Tagen nicht produzieren konnte …
Bei BASF waren es 250 Millionen Euro. Die Zahlen stammen aus Unternehmenskreisen und sind deshalb mit Vorsicht zu genießen – aber sie zeigen doch die Größenordnung, die ein solches Trockenereignis für ein Unternehmen haben kann. Das BASF-Werk in Ludwigshafen hätte zwar vom Rhein beliefert werden können. Aber: Je niedriger der Wasserstand, desto geringer können die Schiffe beladen werden, die Fracht wird also teurer. Das hat nicht nur die Industrieproduktion beeinträchtigt, sondern auch die Steinkohleverstromung im Ruhrgebiet. Auch dort hat man die Energieproduktion drastisch gedrosselt, weil die Kraftwerke über den Rhein beliefert werden und das zu teuer geworden war. Damit wird auch der Strom, den man produziert, zu teuer und damit nicht mehr attraktiv.
Bekommen wir heute noch die Folgen dieses Niedrigwassers zu spüren?
Ja. Der sekundäre Effekt ist: Wenn wenig Wasser in den Flüssen ist, wird es schnell sehr warm. Damit waren 2018 und 2019 ökologische Probleme verbunden: Wir hatten eine Veralgung in den Seen, aber selbst in den Flüssen, sogar in der Elbe. Das ist für ein Fließgewässer sehr ungewöhnlich. Sauerstoffarmes Wasser hatten wir flächendeckend in Deutschland, und wir hatten immer wieder Fälle von Fischsterben. 2019 musste das Atomkraftwerk Grohnde an der Weser abgeschaltet werden, weil die Wassertemperatur die kritische Marke von 26 Grad erreicht hatte. Thermische Kraftwerke nutzen das Wasser zum Kühlen, das darf aber nur bis zu einem gewissen Grad gemacht werden, weil sie das Ökosystem extrem negativ beeinflussen, wenn sie noch wärmeres Wasser zurückleiten.
Wappnen sich die Unternehmen gegen Dürrefolgen?
Alle größeren Unternehmen informieren sich sehr gut über die eigenen Risiken und die der Mitbewerber. Je kleiner die Firma, desto eher sind die Mitarbeiter ins Tagesgeschäft eingebunden. Dann hat niemand Zeit für solche strategischen Überlegungen.
Verstehen Sie die besorgten Jugendlichen von Fridays for Future?
Es sind ja mittlerweile nicht mehr nur Jugendliche. Es gibt "Parents for Future", es gibt "Scientists for Future". Wir Wissenschaftler sagen spätestens seit der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009, dass Klimaschutz und -anpassung zwingend erforderlich sind. Ich verstehe, dass die jüngere Generation, die das stärker ausbaden muss, da heute auf die Straße geht.
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Was erwarten Sie von der Politik?
Ich erwarte, dass Deutschland die festgelegten und lange bekannten Ziele zum Klimaschutz bis 2030 einhält, um Strafzahlungen zu vermeiden – nicht nur, um das Geld nicht zahlen zu müssen, sondern auch, weil die Wirtschaft sich mit emissionsfreien Techniken beschäftigen muss. Sonst entsteht den deutschen Unternehmen in 10, 15 Jahren ein Wettbewerbsnachteil. In Skandinavien wollen sie bis 2035 nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre emittieren, als sie herausziehen können – in Deutschland peilen sie das für 2050 an.
Herr Marx, wir danken Ihnen für das Gespräch.