Ende des Einsatzes So läuft der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan
Der Abzug aus Afghanistan stellt die deutschen Soldaten vor ungewohnte Probleme: Wie transportiert man etwa einen 27 Tonnen schweren Stein nach Deutschland? Ein Überblick über einen Mammut-Umzug.
Das Problem von Oberst Frank Klaumann wiegt gut 27 Tonnen und steht von Nationalflaggen umgeben in einer ruhigen Ecke des Bundeswehr-Camps im nordafghanischen Masar-i-Scharif. Rund 800 Containerladungen Waffen, Munition und Fahrzeuge wird der Cheflogistiker des Abzuges vom Hindukusch in den kommenden Wochen auf die rund 4.500 Kilometer lange Reise nach Deutschland schicken, aber es war der schwere, grob behauene Felsbrocken, der ihm am meisten Kopfzerbrechen bereitet.
Soldaten wie Minister haben hier der Gefallenen in dem seit fast 20 Jahren dauernden Einsatz gedacht, und auch wenn es schwierig wird: Die Truppe will den Gedenkstein unbedingt mitnehmen, er soll beim Einsatzführungskommando in Potsdam aufgestellt werden.
"Das ist die große Herausforderung, den so zu verpacken, dass er sich während des Transportes nicht selbstständig macht, sondern gut gesichert in der Maschine sein wird", sagt Klaumann, der inzwischen davon ausgeht, eine gute Verpackungslösung für den Stein gefunden zu haben.
Auch auf die restlichen etwa 800 Containerladungen, die er per Flugzeug oder Spedition auf den Weg bringen muss, blickt er gelassen. Schließlich habe die Bundeswehr gegenüber einem privaten Umzug einen großen Vorteil: "Bei uns ist das Material, was wir hier vor Ort haben, katalogisiert. Wir wissen ziemlich genau, was wir haben, wie groß es ist, wie schwer es ist und wie wir es wieder verpacken müssen und wie wir es dann nach Hause bringen." Nur den Gedenkstein, den hätten die Soldaten zunächst doch etwas leichter geschätzt, räumt der Oberst ein.
Ein General fährt Fahrrad
Seit Monaten schon bereitet die Truppe in Masar den Abzug vor. Auch Kommandeur Ansgar Meyer musste sich bereits von einigem trennen. Nicht nur sein Büro sieht karger aus, seit Erinnerungsgaben und Bilder abgehängt und auf den Weg nach Deutschland gebracht wurden. Auch sein ungepanzertes ziviles Auto ist bereits weg, seither ist Meyer mit Muskelkraft im Feldlager unterwegs. "Ich habe mich von diesem Auto getrennt und habe dafür ein Fahrrad empfangen", sagt der General.
Ursprünglich hatten die USA, ohne deren mächtige Militärmaschinerie die Bundeswehr nicht am Hindukusch bleiben kann, ihren Abzug bis zum 11. September geplant. Inzwischen ist der 4. Juli im Gespräch, und bei den Deutschen in Masar sorgt das für Zeitdruck. Cheflogistiker Klaumann nennt die straffe Zeitplanung die größte Herausforderung – und hofft, dass keine Flugzeuge ausfallen und seine Planungen durcheinanderbringen.
"Wir sind sehr optimistisch, dass wir es schaffen, die Dinge mit nach Deutschland zu nehmen, die wir auch mit nach Deutschland nehmen müssen", sagt der Oberst. "Wir haben die Planungen, was die Flüge und auch die Landtransporte angeht, schon so eng getaktet, dass wir das Maximum hier herausholen können." Sollte es aber zu Flugzeugausfällen kommen, müsse man überlegen, ob mehr Material zurückgelassen oder der Abzug etwas nach hinten geschoben werde.
Abtransport auch über die Straße
Auf jeden Fall mit zurück nach Deutschland gehen Waffen, Munition und gepanzerte Fahrzeuge, und zwar mit dem Flugzeug. Unkritischeres Material wie ein Teil der Bürocontainer wird von Speditionen über die Straße transportiert. Vor dem Einpacken kommt der Dampfstrahler zum Einsatz, damit keine Keime oder Ungeziefer mit auf die Reise gehen.
Was am Hindukusch bleibt, sei entweder so abgenutzt, dass es nur noch verkauft oder verschenkt werden könne, sagt Klaumann. Oder es handle sich um Material, das die Afghanen weiter nutzen könnten, wenn sie den Stützpunkt übernehmen – handelsübliche Fahrzeuge etwa, die zum Betrieb des halb zivilen, halb militärischen Flugplatzes, der am Rande des Camps liegt, genutzt werden könnten.
Die zentrale Betreuungseinrichtung der Bundeswehr, wo Getränke ausgeschenkt und Snacks verkauft werden, besteht im Gegensatz zu den sonst üblichen Containerbauten im Camp aus gemauerten Häusern, die sich um einen Innenhof gruppieren. Sie soll für die letzten Soldaten vor Ort so lange wie möglich offen bleiben. Andere Annehmlichkeiten fielen schon vor dem Abzug der Corona-Pandemie zum Opfer.
Feldpost und Wäscherei schließen
Bei dem ein paar hundert Meter entfernt gelegenen, privat betriebenen Pizzarestaurant gebe es seither nur noch Gerichte zum Mitnehmen, sagt Kommandeur Meyer. Auch die meisten Fitnessräume hätten wegen der Pandemie gesperrt werden müssen, wobei es zuletzt vorsichtige Öffnungen gegeben habe. Nun wird jedoch schrittweise bald alles schließen, was bisher zum normalen Leben im Camp gehörte: Bis Anfang Juni wird die Feldpost dichtmachen, die Wäscherei dann zwei Wochen später, wie Klaumann ankündigt.
Ein paar Dinge müssen indes bis zum Schluss verfügbar sein, Gabelstapler und Feuerlöschzüge etwa. "Das ist wie bei einem normalen Umzug auch, die Dinge, die man zum Verpacken benötigt, die man dann für den letzten Schwung in die Maschine hinein benötigt, alles das sind die Dinge, die man dann zum Ende hinausnimmt", sagt der Oberst.
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Auch was zur Verteidigung des Feldlagers gegen Angriffe nötig sei, bleibe bis ganz zum Schluss – ebenso wie das Krankenhaus, das allerdings immer stärker schrumpfe. "Das Lazarett wird natürlich in seiner Kernfunktion noch bis zum letzten Tag da sein, nur wird es natürlich in den einzelnen Fachbereichen immer kleiner gebaut werden in den nächsten Wochen, sodass wir dann zum Ende nur noch eine kleine Klinik haben, auf die wir dann zurückgreifen können."
Zum Schluss wird die Bundeswehr das, was vom Feldlager übrig ist, sowie den militärischen Teil des Flugplatzes an die Afghanen übergeben. "Die Unterkünfte beispielsweise bleiben stehen, die Bürocontainer, es wird Werkhallen geben, und auch die großen Instandhaltungszelte werden hier stehen bleiben", sagt Kommandeur Meyer. Derzeit werde die Infrastruktur so hergerichtet, dass sie sicher sei und niemanden gefährde, der damit nicht vertraut sei. Das Feldlager solle ordentlich übergeben werden.
- Nachrichtenagentur Reuters