Neues Milliarden-Sondervermögen? Was die Bundeswehr jetzt braucht
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Noch mit dem alten Bundestag will der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz ein neues Bundeswehr-Sondervermögen beschließen. Ökonomen melden milliardenschwere Bedarfe an.
Jetzt soll es ganz schnell gehen. Noch mit dem alten Bundestag wollen Union und SPD mithilfe von Grünen und FDP womöglich ein neues, hunderte Milliarden schweres Sondervermögen für die Bundeswehr beschließen. CDU, CSU und die Sozialdemokraten sondieren derzeit die Bildung einer neuen Bundesregierung, doch bereits jetzt stehen sie unter Zugzwang.
Eile ist bei dem Thema gleich aus zwei Gründen geboten. Einerseits muss die Bundesregierung unter dem Eindruck des Eklats zwischen US-Präsident Donald Trump und dessen ukrainischem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj nach Ansicht von Experten schnell handeln, um die deutsche Sicherheit zu gewährleisten. Andererseits droht im neuen Bundestag eine Sperrminorität von AfD und Linken, die Vorhaben wie Sondervermögen, die eine Zweidrittelmehrheit im Parlament benötigen, verhindern könnte – insbesondere wenn es um militärische Belange geht.
Nach Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 hatte der Bundestag ein erstes 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Verteidigung beschlossen. Drei Jahre später ist das Geld bereits in diversen Beschaffungsverträgen für Heer, Luftwaffe und Marine gebunden – und trotzdem reichen die bisherigen Ausgaben offenbar nicht, um die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik zu gewährleisten. Woran fehlt es der Bundeswehr also noch? Und wie hoch könnte ein neues Sondervermögen ausfallen?
Welchen Summen braucht die Bundeswehr?
In exakte Zahlen ummünzen lässt sich das kaum – zu ungewiss sind mögliche politische Entwicklungen, die in Zukunft noch auf Deutschland und Europa zukommen könnten. Zu dieser Ungewissheit trägt auch US-Präsident Donald Trump bei: Der 78-Jährige denkt wohl darüber nach, die Militärhilfen für die Ukraine gänzlich einzustellen. Außerdem könnte Trump auch dem ganzen Kontinent den Schutz entziehen, indem er etwa in Europa stationierte US-Soldaten abzieht.
Unter diesem Eindruck sollen Wirtschaftsexperten am Sonntag nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters und der "Bild"-Zeitung den Sondierungspartnern CDU, CSU und SPD nahegelegt haben, das Sondervermögen Bundeswehr aufzustocken. Dabei erachten die Ökonomen eine Größenordnung von 400 Milliarden Euro für notwendig, auch um ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden.
Vorgetragen haben demnach Clemens Fuest (Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung), Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft), Moritz Schularick (Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft) und der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. Zudem sollen die Experten ein Sondervermögen für die deutsche Infrastruktur über 500 Milliarden Euro gefordert haben.
In der vergangenen Woche hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, dass der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im alten Bundestag ein neues Bundeswehr-Sondervermögen über 200 Milliarden Euro beschließen wolle. Die SPD und auch die Grünen fordern jedoch eine Lockerung der Schuldenbremse.
Welche Waffen und Ausrüstung braucht die Bundeswehr?
Auch hier gibt es bisher nur Hochrechnungen und Schätzungen. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) sowie das Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel haben den militärischen Bedarf zuletzt in einer Studie für ganz Europa beziffert.
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Fiele der Schutz durch die Vereinigten Staaten künftig weg, müssten die europäischen Streitkräfte demnach 50 neue Brigaden aufstellen. Eine Brigade besteht aus rund 5.000 Soldaten, insgesamt sprechen die Studienautoren von 300.000 Soldaten. Außerdem brauche es 1.400 neue Kampfpanzer sowie 2.000 Schützenpanzer. Ferner sollte Europa jährlich etwa 2.000 Langstreckendrohnen produzieren. Dafür müssten die europäischen Verteidigungsausgaben um 250 Milliarden Euro jährlich ansteigen.
Deutschland allein müsste demnach seine Verteidigungsausgaben von 80 auf 140 Milliarden Euro jährlich anheben. Dies entspräche rund 3,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, bisher gibt Deutschland etwa 2,1 Prozent für seine Verteidigung aus.
Nachholbedarf bei Drohnen
CSU-Chef Markus Söder hatte zudem zuletzt in der "Welt am Sonntag" eine eigene Wunschliste für die Bundeswehr formuliert: "Die Bundeswehr braucht eine Vollausstattung. Dazu gehören eine Drohnen-Armee mit 100.000 Drohnen, 800 neue Panzer sowie 2.000 Patriots und 1.000 Taurus nur für Deutschland als ein Schutzschild in der Art des 'Iron Dome'", sagte der bayerische Ministerpräsident. Besonders den Taurus-Marschflugkörper hob er als "wichtigste Präzisionswaffe" Deutschlands vor.
Bereits im Dezember hatte der Taurus-Hersteller MBDA einen Auftrag der Bundeswehr über die Modernisierung der bereits bestehenden Marschflugkörper öffentlich gemacht. Bei den Patriots sowie dem "Iron Dome" handelt es sich um Flugabwehrsysteme.
Vor dem Hintergrund der Entwicklungen des Ukraine-Kriegs sehen Experten besonderen Nachholbedarf bei der Drohnenproduktion. Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine werden unbemannte Kriegsgeräte sowohl in der Luft als auch zu Wasser und Lande eingesetzt. Ingenieure entwickeln die Geräte dabei fortlaufend weiter und passen sie an die Notwendigkeiten im Gefecht an. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Deutschland wächst die Zahl verteidigungsindustrieller Start-ups im Drohnenbereich.
Besonders abhängig sind Deutschland und Europa derweil bei strategischen Hilfsmitteln im Bereich der Geheimdienstinformationen sowie Satellitenkommunikation, die derzeit ausschließlich von den USA gestellt werden. "Aber auch hier kann ein Ersatz gefunden werden, sollte dies notwendig sein", schreiben die Autoren der Studie des IfW Kiel und des Instituts Bruegel.
Welche Parteien haben Zweifel an einer Steigerung der Verteidigungsausgaben?
Dass die Europäer und besonders Deutschland in ihre teils maroden Streitkräfte investieren müssen, ist zumindest in Union und SPD, aber auch in großen Teilen der Grünen und FDP die vorherrschende Meinung. Die Linke hingegen wehrt sich bereits lautstark gegen ein neues Sondervermögen. Die AfD äußert sich zu dem Thema bisher kaum, in der Vergangenheit aber war die Partei beim Thema Aufrüstung gespalten.
Im neuen Bundestag verfügen AfD und Linke zusammen über eine Sperrminorität. Sowohl für eine Reform der Schuldenbremse als auch für die Einrichtung oder Aufstockung von Sondervermögen wäre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat nötig, weil sie im Grundgesetz verankert ist.
Im alten Bundestag gibt es diese Sperrminorität nicht. Die Zustimmung auch der Grünen ist allerdings nötig. SPD und Grünen ist wiederum wichtig, dass es nicht nur mehr Geld für die Bundeswehr gibt, sondern auch eine Reform der Schuldenbremse kommt.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erinnerte in der ARD-Sendung "Caren Miosga" daran, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zu einem EU-Sondergipfel in Brüssel treffen. "Da muss Deutschland eine Position haben", sagte sie. Deutschland müsse auf den Tisch legen: "Was sind wir bereit, für unseren Frieden in Europa zu leisten?"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
- Kiel Policy Brief, No. 183, Februar 2025: "Europa ohne die USA verteidigen: eine erste Analyse, was gebraucht wird" (PDF)
- zeit.de: "So könnte sich Europa wehren" (kostenpflichtig)
- faz.net: "Teure Waffen, wenig Wirkung: Ein Plan für die Bundeswehr" (kostenpflichtig)