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Trump und Selenskyj: Gespräch im Weißen Haus wird zum Eklat


Trump-Eklat mit Selenskyj
Das spricht für eine geplante Provokation


Aktualisiert am 01.03.2025 - 12:04 UhrLesedauer: 7 Min.
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Im Video: Die brisantesten Szene zwischen den beiden Staatsmännern. (Quelle: t-online)
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Der diplomatische Eklat zwischen Donald Trump, J. D. Vance und Wolodymyr Selenskyj erschüttert die Ukraine und Europa. Was steckt hinter dieser öffentlichen Demütigung? Die Folgen sind von dramatischer Tragweite.

Bastian Brauns berichtet aus Washington

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Vielleicht war das der Hinweis, den es an diesem historischen Tag benötigte. Kurz nachdem der amerikanische Präsident und sein Vizepräsident den ukrainischen Präsidenten aus dem Weißen Haus geworfen hatten, trat der republikanische Senator Lindsey Graham ebendort vor die Mikrofone der aufgeregten Reporter.

Wolodymyr Selenskyj war gerade vom Gelände gefahren worden. Und Graham trat direkt nach. Der ukrainische Präsident müsse sich entweder "grundlegend ändern oder gehen", sagte Graham und sprach von einem Desaster im Oval Office. "Ich kann nicht glauben, dass die meisten Amerikaner nach dem, was sie heute gesehen haben, mit Selenskyj zusammenarbeiten wollen."

Wollen die Amerikaner den ukrainischen Präsidenten, ganz wie Putin es sich auch wünscht, einfach loswerden und ihn zum Rücktritt zwingen? Kam es deshalb zu diesen vielen Provokationen?

Vieles an diesem Tag in Washington wirkt im Nachgang wie eine bewusst gestellte Falle. Denn wer sich die ganzen, ungewöhnlich langen, rund 40 Minuten des Gesprächs im Oval Office noch einmal ansieht, erkennt eigentlich keinen Grund, weshalb der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance plötzlich Selenskyj attackierte und behauptete, er verhalte sich respektlos.

In Wahrheit hatte Selenskyj da gerade lediglich versucht, klarzumachen, dass einem Waffenstillstand mit Putin nicht so einfach zu trauen sei. Er verwies auf Emmanuel Macron und Angela Merkel und die einstigen Minsk-Vereinbarungen. Dann fragte er J. D. Vance höflich, welche Art der Diplomatie er denn meine, wenn er von der Gesprächsbereitschaft von Trump in Bezug auf Putin spreche.

Trump setzte den ersten Nadelstich

Die erste kleine Provokation lieferte Donald Trump, als er seinen ukrainischen Amtskollegen, den er bereits mehrfach als Diktator bezeichnet hatte, an der Schwelle des Weißen Hauses begrüßte. "Oh, schaut her, er hat sich herausgeputzt", kommentierte er das bekannte Outfit von Selenskyj. Seit Putins Überfall trägt dieser auch bei offiziellen Anlässen ganz bewusst keinen Anzug. Der Ukrainer nahm es gelassen und mit einem Lächeln hin. So weit, so Trump.

Die Szene war aber offenkundig kein Zufall. Denn in der radikalen MAGA-Bewegung gehören wüste Lästereien über Selenskyjs fehlenden Dresscode zum täglichen Inventar der Anschuldigungen. Während Elon Musk das Oval Office mit T-Shirt und schwarzer Baseballmütze betreten darf, werden beim angeblich undankbaren "Bettler" Selenskyj andere Maßstäbe gesetzt.

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Wenig verwunderlich, dass die Frage eines Reporters im Oval Office dann kurze Zeit später ebendiesem Dresscode galt. Der Journalist Brian Glenn war vom rechtskonservativen Fernsehsender Real America's Voice eigens eingeteilt worden, um an diesem Tag im Weißen Haus Fragen stellen zu dürfen. Er ist der feste Freund der rechtsradikalen Kongressabgeordneten und Verschwörungsideologin Marjorie Taylor Greene.

Glenn fragte Selenskyj: "Warum tragen Sie keinen Anzug?", und schob direkt hinterher: "Ich nehme an, viele Amerikaner haben ein Problem damit, dass Sie das Oval Office nicht respektieren." Selenskyj reagierte mit Humor. Er würde vielleicht bald "etwas Besseres" zum Anziehen finden, sagt er. Zwischen diesen Zeilen schwang mit: Vielleicht, wenn Putin nicht mehr mit Raketen schießt.

Es hätte einen Ausweg gegeben

War es Zufall, dass das Weiße Haus vor dieser Eskalation ausgerechnet auch der russischen Nachrichtenagentur Tass den Zutritt zum Oval Office gestattete? Im Nachgang heißt es von offizieller Seite, da sei ein Fehler unterlaufen. An Versehen oder Zufälle zu glauben, fällt schwer im Washington dieser Tage. Denn die Trump-Regierung sperrt inzwischen Journalisten aus dem Oval Office einfach aus, wenn sie mit deren Berichterstattung nicht einverstanden ist. Mehr dazu können Sie hier lesen.

Klar ist, die Eskalation im Weißen Haus, der Abbruch der Gespräche, die Nichtunterzeichnung des Rohstoff-Vertrags und der Rauswurf von Selenskyj wären vonseiten der Trump-Regierung vermeidbar gewesen, wenn man es denn gewollt hätte. Stattdessen unterzogen Donald Trump, J. D. Vance, im Beisein auch von Außenminister Marco Rubio und Verteidigungsminister Pete Hegseth den ukrainischen Präsidenten buchstäblich einer Art Verhör.

"Haben Sie sich denn jemals bedankt?", ätzte der Vizepräsident gegen Selenskyj. Vielfach hatte sich der ukrainische Präsident in den vergangenen drei Kriegsjahren für die Unterstützung bedankt. Bei US-Präsident Joe Biden, mehrfach in Reden vor dem amerikanischen Kongress, in Fernsehinterviews und auch bei US-Präsident Donald Trump. Doch darum ging es in Wahrheit nicht.

Ein unfairer Schaukampf

Trump und Vance wollten Selenskyj klarmachen, dass er nach ihren Regeln zu spielen hat, weil sonst sein Spiel vorbei sei. Trump blieb in seiner Poker-Sprache und sagte vor den Augen der Weltöffentlichkeit, der Ukrainer habe keine Karten in der Hand und deswegen auch keine Ansprüche zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt war längst sichtbar, was hier geschieht:

Hier findet ein offenes, ehrliches und zunehmend hitziges Gespräch nicht hinter verschlossenen Türen statt, wie es üblicherweise der Fall wäre. Trump, Vance und Selenskyj führen es vor den Fernsehkameras. Solche Momente mit Staatsgästen im Oval Office dienen in der Regel einem kurzen Fototermin, zwei kurzen Bemerkungen und vielleicht einigen kurzen Fragen der anwesenden Reporter mit ein paar Antworten.

Doch die Trump-Regierung gibt sich betont transparent, zumindest dort, wo sie es sein möchte. Statt eines Hintergrundgesprächs also ein unfairer Kampf in Überzahl mit Heimvorteil gegen Selenskyj auf offener Bühne. Die frühere US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, wurde noch am Freitag beim Fernsehsender MSNBC deutlich. "Es besteht aus meiner Sicht kein Zweifel, dass das eine Falle war", sagt sie.

Die Signale, die mit diesem Vorführen von Selenskyj am Freitag gesendet wurden, waren eindeutig:

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Sie galten 1. der eigenen, radikalen Wählerschaft, sie galten 2. Wladimir Putin und sie galten 3. den Ukrainern und den Verbündeten: 1. Seht her, wir lassen diesem von euch gehassten Halunken, der eurer Steuergeld auf korrupte Weise verschwendet, nichts durchgehen. 2. Seht her, wir verstehen die Sichtweise von euch im Kreml, wir blamieren ihn bis auf die Knochen. 3. Seht her, wir lassen euch im Zweifel ganz alleine, wenn ihr nicht tut, was Amerika will. Und Selenskyj muss am besten weg.

Russland gewinnt schon wieder

Doch es gab noch mehr solche Botschaften, die die bisherigen Verbündeten Amerikas aufschrecken lassen dürften. Insbesondere jene, die eng mit den US-Geheimdiensten zusammenarbeiten. Trumps neue Direktorin für die Koordination aller amerikanischen Geheimdienste, Tulsi Gabbard, kommentierte das Verhalten ihres Vorgesetzten mit den Worten: "Vielen Dank an Donald Trump für die unerschütterliche Führung beim Eintreten für die Interessen des amerikanischen Volkes und des Friedens."

Was Trump gesagt habe, sei "absolut wahr", schrieb sie weiter auf der Plattform X. Selenskyj versuche seit Jahren, die USA in einen Atomkrieg mit Russland und in einen Dritten Weltkrieg hineinzuziehen. "Niemand hat ihn deshalb bislang zur Rede gestellt", so Gabbard. Die neue Geheimdienstkoordinatorin stand schon vor ihrer Nominierung in der Kritik, weil sie seit Jahren Putins Erzählungen bedient und darum auch gerne in den russischen Staatsmedien zitiert wird.

Die Reaktionen aus Moskau kamen schnell. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew kommentierte die Vorgänge in Washington auf X mit wüsten Beschimpfungen gegen Selenskyj. "Das freche Schwein hat im Oval Office endlich eine ordentliche Abfuhr bekommen. Und Donald Trump hat recht: Das Kiewer Regime 'spielt mit dem Dritten Weltkrieg'", so Medwedew.

Der Weg führt weiter in die Autokratie

Was an diesem Freitag in Washington geschehen ist, wird nachwirken. Einmal mehr haben insbesondere die Europäer live mitverfolgen können, welche Stunde in den Vereinigten Staaten geschlagen hat. Der Hohn, der Zynismus und der Applaus, den Trump und Vance für ihren Auftritt in den eigenen Reihen erfahren, zeigt, wie geschlossen die ehemalige republikanische Partei und heutige MAGA-Bewegung hinter dem Präsidenten und seinem Stellvertreter stehen.

Am Abend berichtete die "New York Times" von einem nächsten Schritt in Richtung Autokratie. Voice of America (VOA), der staatlich finanzierte amerikanische Auslandssender, droht, seine Unabhängigkeit zu verlieren. Unter der neuen Führung wurden in den vergangenen Wochen Personalermittlungen gegen Journalisten von Voice of America eingeleitet, weil diese kritisch über Trump berichtet haben oder als kritisch aufgefasst wurden. Mehrere Artikel, die Kritik an der aktuellen US-Regierung enthielten, wurden demnach zuletzt auch nicht veröffentlicht oder umgeschrieben.

In den Vereinigten Staaten von Amerika geschehen derzeit sehr wahrscheinlich keine Zufälle und auch kein spontanes Desaster im Weißen Haus mit Selenskyj. Die US-Regierung verfolgt einen Plan – und der ist nicht geheim, sondern für alle Welt sichtbar.

Was kann jetzt geschehen?

Wie der Weg der Ukraine und der Europäer mit diesen USA aussehen soll, ist zur Stunde unklar. Obwohl es umgehend Solidaritätsbekundungen aus den europäischen Hauptstädten gab, weiß dort zugleich jeder: Ohne Amerika, das ist die harte Realität, geht in Wahrheit insbesondere sicherheitspolitisch nichts. Selenskyj versuchte bei einem Interview mit Fox News noch ein wenig Schadensbegrenzung. Er bedankte sich abermals beim amerikanischen Volk und bedauerte den Vorfall. Trump hingegen schloss eine sofortige Wiederaufnahme von Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten aus.

Was bei diesem Interview allerdings wie schon im Weißen Haus deutlich wurde: Das Bemühen von Selenskyj, Englisch zu sprechen, ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Hätte der ukrainische Präsident im Oval Office mit einem Dolmetscher gearbeitet, wären vielleicht manche Missverständnisse ausgeblieben. Zumindest hätte es das hitzige Tempo herausgenommen. Die Differenzen wären trotzdem geblieben.

Ein ukrainischer Diplomat sagte in Washington, womöglich könnte die EU jetzt mit Staats- und Regierungschefs, die im Weißen Haus geschätzt werden, versuchen, die Wogen mit Washington zu glätten. Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni wäre dafür etwa eine Kandidatin. Sie könnte der Trump-Regierung vermitteln, dass Selenskyj es nicht so gemeint habe und der Ukrainer eben unter dem Eindruck des dreijährigen Krieges stehen würde. Dann wären vielleicht auch wieder Verhandlungen möglich, so der Diplomat. Meloni forderte wenig später tatsächlich einen baldigen EU-USA-Gipfel.

Diese Hoffnung könnte enttäuscht werden, wenn die Trump-Regierung in Wahrheit keine Sicherheitsgarantien für die Ukraine und ihre Verbündeten in Europa geben will. Das wurde an diesem Tag mehr als deutlich. Dabei hängt an dieser Frage letztlich fast alles. Die EU, samt Großbritannien, kann es nur schwer alleine mit der aggressiven Atommacht Russland aufnehmen.

Donald Trump könnte gemerkt haben, dass ein schneller Frieden, wie er ihn seinen Wählern versprochen hat, in Wahrheit gar nicht möglich ist. Mit Selenskyj hat er bei seinem Besuch im Oval Office einen einfachen Schuldigen gefunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen, Recherchen und Gespräche vor Ort
  • Live-Aufzeichnungen des Presse-Pools des Weißen Hauses (englisch)

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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