Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Innovationen der Militärindustrie Jetzt wird Europas Abhängigkeit zum Problem
Drohnen spielen mittlerweile eine wesentliche Rolle im Ukraine-Krieg – nicht nur in der Luft. Nun muss der Westen darauf reagieren, schreibt Ulrike Franke in einem Gastbeitrag.
Im vergangenen Jahr war das Thema Drohnen in aller Munde. Im russischen Krieg gegen die Ukraine spielen unbemannte Systeme eine zentrale Rolle. Weltweit befinden wir uns in einer Phase der schnellen Innovation im Bereich Drohnen und Drohnenabwehr. Auch in Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von verteidigungsindustriellen Start-ups, die Drohnen und Systeme zur Drohnenbekämpfung entwickeln und bauen.
Drohnen gelten als zentraler Bestandteil der Kriegsführung der Zukunft. Es ist daher davon auszugehen, dass das Tempo der Entwicklung der Systeme eher weiter zu- als abnimmt. Welche Drohnenentwicklungen waren im vergangenen Jahr relevant? Was ist für 2025 zu erwarten? Und welche Lehren müssen Europa und Deutschland daraus ziehen?
Nicht alle Drohnen fliegen: Wasser- und Bodendrohnen spielen wachsende Rolle
Der Begriff "Drohne" ist in der Vorstellung der meisten Menschen klar mit unbemannten Flugzeugen verbunden. In der Tat fliegt der bei weitem größte Teil der Drohnen weltweit durch die Luft. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende unterschiedliche Flugdrohnensysteme. In der Ukraine geht die Bandbreite von Drohnen, die Spielzeughelikoptern ähneln, zu Systemen mit fast 20 Metern Spannweite. Millionen Flugdrohnen sind über der Ukraine und Russland im Einsatz, werden zur Überwachung eingesetzt, dirigieren Angriffe, werfen Bomben ab oder leiten Signale weiter.
Allerdings sind unbemannte Systeme zunehmend auch auf und unter Wasser im Einsatz oder laufen und rollen über den Boden. Die Ukraine, ein Land, das de facto keine Militärmarine besitzt, hat einen signifikanten Teil der russischen Schwarzmeerflotte versenkt – insbesondere mittels Wasserdrohnen. Die Regierung sammelt Spenden, um die laut Regierungsangaben "weltweit erste Flotte von Marinedrohnen" aufzubauen. Hierbei handelt es sich um unbemannte Boote oder U-Boote, letztere sind Torpedos nicht unähnlich. 2025 wird ein Jahr werden, in dem viele Streitkräfte vermehrt in Marinedrohnen und ihre Abwehr investieren werden.
Bodendrohnen – meist werden sie Roboter, in Bundeswehrsprache gar "Schreitroboter" genannt – ähneln hingegen kleinen Panzern, nur ohne Besatzung. Sie werden in der Ukraine zum Minenlegen genutzt oder auch zur Entminung. Auch hier schreitet die Entwicklung schnell voran, wobei die bisherigen Systeme noch vergleichbar einfach sind. Grundsätzlich ist für unbemannte Systeme der Boden die schwierigste Umgebung: Überall gibt es Hindernisse, ob natürliche wie Vegetation und Flüsse, oder menschengemachte wie Schützengräben und Panzersperren.
Die Innovationsfähigkeit der Ukraine ist beeindruckend
Kriege befeuern immer auch Innovation im militärtechnologischen Bereich. Trotzdem ist die Geschwindigkeit der Innovationszyklen beeindruckend, die sich in der Ukraine – und zum Teil auch in Russland – im Bereich Drohnentechnologie und -abwehr beobachten lassen. Innerhalb weniger Monate, teilweise Wochen, werden neue Systeme entworfen, gebaut, eingesetzt und auf Basis der erlangten Erkenntnisse umgebaut. So ein Vorgang dauert in Friedenszeiten viele Jahre.
Zur Person
Ulrike Franke (Jahrgang 1986) ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR). Sie forscht zu deutscher und europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik, insbesondere zur Rolle von Drohnen und neuen Technologien in der Kriegsführung. Frank hält einen PhD-Titel der Universität Oxford.
Insbesondere die Kooperation der ukrainischen Streitkräfte mit Privatfirmen und Start-ups aus In- und Ausland hat es der Ukraine erlaubt, immer wieder temporäre militärische Vorteile gegenüber Russland zu schaffen. Für die Unternehmen haben diese Kooperationen den Vorteil, dass ihre Systeme direkt im Kampfeinsatz getestet werden.
Allerdings ist auch die russische Seite in der Lage, schnell auf veränderte Bedingungen zu reagieren, und hat gerade im Bereich der elektronischen Drohnenabwehr viele Fähigkeiten. Der Druck auf die Ukraine und Russland, neue Fähigkeiten zu entwickeln, wird wohl auch 2025 hoch bleiben. Das bedeutet für andere Länder wie Deutschland, dass sie in diesem Bereich aktiv sein müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Abhängigkeit von chinesischen Drohnen und Bauteilen ist groß
Jahrzehntelang waren Drohnen rein militärische Systeme, die primär von Ländern wie den Vereinigten Staaten und Israel hergestellt worden sind. Heute aber sind Drohnen inzwischen auch für den zivilen Markt interessant. Drohnen werden genutzt, um Fotos und Videos zu machen, Gasleitungen und Zugstrecken zu inspizieren oder einfach als Zeitvertreib. Der zivile Drohnenmarkt kam in den frühen 2010er-Jahren in Schwung. Schnell gelang es chinesischen Firmen, Konkurrenten mit niedrigen Preisen aus dem Markt zu drängen. Inzwischen haben chinesische Unternehmen eine Monopolstellung auf dem zivilen Drohnenmarkt.
Lange Zeit löste dies im Westen keine Besorgnis aus – schließlich wird das meiste, was westliche Kunden kaufen, in China hergestellt. Nun allerdings, da eigentlich zivile Drohnen zu Hunderttausenden auf den Schlachtfeldern der Welt auftauchen, wird diese Abhängigkeit zum Problem. China hat eigene geopolitische Interessen und könnte Drohnenlieferungen unterbinden oder an politische Forderungen knüpfen. Und die Abhängigkeit geht noch weiter.
Auch die meisten der für den Bau von Drohnen benötigten Komponenten werden in China hergestellt. Die ukrainische Drohnenindustrie ist stark abhängig von chinesischen Bauteilen – ob billigen Plastikteilen oder anspruchsvolleren Komponenten wie Motoren und Sensorik. Die Ukraine versucht, gegen dieses Problem vorzugehen und mehr im eigenen Land zu produzieren. Auch Deutschland und seine Verbündeten müssen versuchen, in diesem Bereich unabhängiger von China zu werden, gerade im Lichte der zunehmend engen chinesisch-russischen Partnerschaft.
Westen muss Verteidigungsindustrie ausbauen
Der russisch-ukrainische Krieg hat gezeigt, dass in einer militärischen Auseinandersetzung die europäischen verteidigungsindustriellen Kapazitäten schnell an ihre Grenzen kommen würden. Der Westen und gerade Europa haben in den letzten Jahrzehnten in der Militärtechnologie stark auf Qualität gesetzt – und dabei den Aspekt der Masse aus den Augen verloren. Das hat schwerwiegende Folgen: Europas Verteidigungsindustrie ist derzeit nicht in der Lage, schnell große Stückzahlen an militärischem Gerät zu produzieren. Das gilt insbesondere für Drohnen.
Die europäische Verteidigungsindustrie und Drohnenproduktionskapazität müssen daher ausgebaut werden. Es geht weniger darum, heute viele Drohnen zu produzieren und einzulagern. Arsenale, die durch die Unterstützung für die Ukraine geleert wurden – oder von vorneherein nicht ganz gefüllt waren – sollten natürlich wieder ausreichend bestückt werden. Aber die vergangenen drei Jahre haben gezeigt, wie schnell Drohnentypen ihre Nützlichkeit verlieren können. Ändert sich die Gefechtslage oder werden Gegenmaßnahmen entwickelt, kann ein Drohnensystem, das gestern noch wichtig war, heute schon irrelevant sein. Mindestens müssen Systeme neuen Gegebenheiten angepasst werden, also schnell modifiziert werden.
Daher muss die europäische Verteidigungsindustrie in die Lage versetzt werden, die Produktion bei Bedarf hochzufahren. Sie sollte ermutigt werden, modulare Systeme zu bauen, deren Teile ausgetauscht werden können, als eine Art eingebaute Fähigkeit zur Anpassung. Und vor allem muss die europäische Industrie in der Lage sein, Produkte und Produktionslinien bei Bedarf schnell zu ändern. Die militärisch-industrielle Basis Europas ist eine der größten Schwächen des Kontinents.
Drohnen werden auch 2025 ein wichtiges Thema bleiben. Es ist zu hoffen, dass der Krieg gegen die Ukraine nächstes Jahr zu Ende geht. Die militärtechnologischen Entwicklungen, die dieser Krieg bewirkt hat, werden aber auf lange Zeit einen Einfluss haben.
- Eigene Überlegungen