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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Merz' Zukunft in der CDU Friedrich, der Größte
Er verliert die Wahl zum CDU-Chef – und beansprucht sofort den Job des Wirtschaftsministers für sich. Was viele irritiert, ist für die Anhänger von Friedrich Merz nur logisch. Und davon gibt es in der Partei viel mehr, als Armin Laschet lieb sein kann.
Es ist der 27. Februar 2020, als zwei Fans von Friedrich Merz in Thüringen explodieren. Ein Mann Ende 50 geht an diesem Tag zum Rand der Brauerei-Halle in der Kleinstadt Apolda, wo die Presse sitzt. Gleich soll hier "FM", wie ihn seine Anhänger nennen, anlässlich des Politischen Aschermittwochs auftreten. Der Mann baut sich vor einem Reporter der "Thüringer Allgemeinen" auf und schreit: "Eine Unverschämtheit ist das, wie Sie über Herrn Mohring schreiben! Sie sind eine Beleidigung auf zwei Beinen, können Sie überhaupt noch in den Spiegel schauen?"
Der Journalist schweigt. Eine Frau eilt herbei, auch sie beschimpft den Reporter: "Schämen Sie sich!" Sie wiederholt: "Schämen! Sie! Sich!", und rückt dabei mit ihrem hochroten Gesicht bis auf wenige Zentimeter an den Journalisten heran. Der bleibt still. Die Frau wird noch wütender, ihre rechte Hand scheint sich zu heben, die Szene droht zu eskalieren.
Für ein paar Sekunden wabert der Hass durch die Halle
Der Journalist der Lokalzeitung, das wird schnell klar, steht in diesem Moment für alles, was gerade angeblich schiefläuft: für die missliebige Berichterstattung über den Merz-Anhänger Mike Mohring, der vom obersten Parteizirkel zum Rückzug als Fraktionschef im Landtag bewogen wurde, nachdem er nach den Turbulenzen um die Ministerpräsidentenwahl nicht schnell genug auf den Kurs der Parteichefin Kramp-Karrenbauer einschwenkte. Angeblich wurde die CDU-Führung in ihrer Mohring-kritischen Haltung von der Presse unterstützt.
Der Saal ist extrem voll, 1.500 Menschen sind gekommen. Es röhrt die Blaskapelle, es duftet nach Hering und Salzkartoffeln, die Luft ist bierschwer. Und für ein paar Sekunden wabert der Hass durch die Halle. Bis es einem Fotografen zu bunt wird, er brüllt zurück: "Jetzt reicht’s!", die zwei Merz-Anhänger ziehen schimpfend ab.
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An diesem Tag zeigte sich einmal mehr, wie aufgeladen die Stimmung im Lager von Friedrich Merz ist. Nun, fast ein Jahr später, wurde nicht der Merz-Fan Mohring abgesetzt, sondern Friedrich Merz ist nicht CDU-Chef geworden. Beim gestrigen Parteitag wählten die Delegierten Armin Laschet. Merz unterlag, wenn auch nur knapp, zum zweiten Mal nach 2018.
Die Frage, wie es mit Friedrich Merz weitergeht, entscheidet auch darüber, wie es mit der CDU weitergeht. Sein Lager ist zu groß, als dass die Galionsfigur der Konservativen einfach weggeschoben werden kann.
Konservativer Grüßaugust ohne Macht?
Nachdem am Samstag die Entscheidung gefallen war, kam es zu einem Gipfeltreffen: Hinter verschlossenen Türen, so berichten es Vertraute, hätten Merz, Laschet und Röttgen etwa eine halbe Stunde lang verhandelt, wie es nun weitergehen soll. Laschet bot Merz wohl einen Platz im Präsidium an, Merz lehnte ab. Er hätte dort eine Frau verdrängt, erklärte er später. Vertraute sprechen dagegen davon, Merz habe nicht "der konservative Grüßaugust ohne reale Macht" in der CDU-Führung sein wollen.
Kurz nach dem Treffen dann der Paukenschlag: Merz sagte der Nachrichtenagentur "Reuters", er habe Armin Laschet "angeboten", sofort das Amt des Wirtschaftsministers zu übernehmen und ins Kabinett zu wechseln. Aus seiner Sicht sollte das so laufen: aus der Messehalle ins Wirtschaftsministerium.
Es war das Modell: Armin, der Parteichef und Friedrich, der Größte. Mancher Anhänger glaubt eh, es sei Merz im Kern egal, wer unter ihm Vorsitzender ist.
Die Partei sehnt sich nach Stabilität
Doch das Amt des Wirtschaftsministers hat aktuell Peter Altmaier inne, einer der Vertrauten von Kanzlerin Merkel. Die ließ über ihren Sprecher innerhalb von wenigen Minuten ausrichten, dass eine Kabinettsumbildung nicht geplant sei. "Kein Thema" sei die, sagte auch Laschet und flüchtete sich ins Allgemeine: Man "überlege, wie sein Beitrag für unsere Partei aussehen kann". Seitdem ist es still um Friedrich Merz.
Man fragt sich, was Merz zu seinem Ausbruch bewogen hat. Er muss geahnt haben, dass es acht Monate vor der Bundestagswahl fast ausgeschlossen ist, dass Merkel einen ihrer loyalsten Minister feuert. Doch dahinter steht auch die Taktik eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat. Die Bundestagswahl steht an, die Partei sehnt sich nach Stabilität, dass in zwei Jahren plötzlich wieder ein neuer CDU-Chef gewählt wird, darauf kann Merz kaum hoffen.
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Als Merz im Jahr 2018 Annegret Kramp-Karrenbauer unterlag, hielt er sich ein Jahr lang zumindest öffentlich zurück. Dann, als Kramp-Karrenbauer ihren Rücktritt ankündigte, witterte er seine zweite Chance. Er ist klug genug zu wissen, dass es eine dritte in der Politik fast nie gibt. Nochmals abzutauchen wie im Jahr 2019, das kommt für ihn aktuell wohl nicht in Frage. Merz ist mittlerweile 65 Jahre alt. Jetzt oder nie.
Wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt, legt er los
Und man darf annehmen, dass auch das geforderte Amt des Wirtschaftsministers kein Selbstzweck für ihn ist. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es für Friedrich Merz nur einen Mann gibt, der eigentlich Kanzler sein sollte: Friedrich Merz. Dieses Ziel verfolgt er weiterhin, der Vorstoß könnte seine Möglichkeit sein, im politischen Spiel zu bleiben. Trotz der Niederlage.
Zugleich erinnert sein mit öffentlichem Rumpeln vorgebrachtes Angebot ein wenig an eine Szene im letzten Winter: Im November 2020 beschloss das CDU-Präsidium den Parteitag im Dezember abzusagen. Merz glaubte, da wollten die Parteioberen seine Chancen vereiteln und erklärte vor laufender Fernsehkamera, es laufe "der letzte Teil der Aktion Merz verhindern".
Das sorgte, ähnlich wie sein Wirtschaftsminister-Vorstoß jetzt, für helle Aufregung in der CDU. Nun zeigt Merz zum zweiten Mal: Wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt, dann legt er los. Und wirklich zu schaden scheint es ihm nicht. Zumindest nicht an der Parteibasis. Und auch nicht bei den Delegierten des Parteitags.
Merz als Wetzstein für die konservative Kante
Auf viele wirkt Merz' Verhalten zwar abschreckend – aber eben nicht auf seine Anhänger. Er bedient das Bild eines Politikers, der auch mal mit der Faust auf den Tisch haut, wenn ihm etwas nicht passt.
Merz und die CDU, das ist seit zwei Jahren eine "Fast-50-Prozent"-Geschichte. Seine Anhänger sitzen zu großen Teilen in Ostdeutschland, aber auch in Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg. Und diese CDU-Mitglieder sehnen sich nach einer klareren Kante der Partei. Merz sehen sie als Wetzstein, der diese klare Kante der CDU wieder hervorbringen soll.
Für sie ist Merz weiterhin der einsame, verhinderte Held. Dass viele Parteiobere sich in den Tagen vor der Wahl für Laschet ausgesprochen haben, gibt dieser Erzählung nur neue Nahrung. Gestern hieß es zwar, in den WhatsApp-Gruppen der Merz-Fans breche plötzlich die Wut aus, nach dem Sieg von Armin Laschet. Das stimmte auch, aber nur für wenige Minuten. Anschließend war es still. Jetzt herrscht der kalte Frust.
Merz verhandelt aktuell mit Laschet
Und nun stellt sich die Machtfrage: Merz hat Laschet unter enormen Druck gesetzt. Wenn Laschet nun nicht einschwenkt, wenn er nicht Merz in irgendeiner Weise entgegenkommt, könnte er einen großen Teil der Partei verprellen.
Im Merz-Lager wurde am Sonntagmorgen schon beschwichtigt: Dass Merz jetzt sofort als Wirtschaftsminister antreten solle, sei ja nur ein Vorschlag – möglich wäre das ja auch nach der nächsten Bundestagswahl. In diesen Stunden, so ist zu hören, verhandelt Merz mit Laschet über seine Zukunft in der CDU.
Merz könnte immer sagen, alles versucht zu haben
Angela Merkel, so viel ist klar, hat kein Interesse daran, dass ihr Erzrivale Merz in eine prominente Position kommt. Weder jetzt, noch nach der Wahl. Die Frage nach der Zukunft von Friedrich Merz ist damit auch eine Frage nach der neuen Macht von Armin Laschet.
Sollte Merz keine Perspektive bekommen, könnte er künftig immer erklären, alles versucht zu haben. Nur dieses Mal sei der letzte Teil der "Aktion Merz verhindern", eben erfolgreich gewesen.
Eine Merz-Anhängerin aus der CDU-Spitze sagt t-online: "Laschet behauptet immer, in NRW alle so toll eingebunden zu haben. Das soll er jetzt mal im Bund beweisen!" Und wenn er das nicht macht? Dann, so die Abgeordnete, verliere Laschet nicht nur das Vertrauen der Merz-Anhänger, sondern möglicherweise auch etliche CDU-Wähler.
- Eigene Recherche