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Machtkampf um CDU-Parteispitze: Steht die Partei vor einer Zerreißprobe?


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Machtkampf um die Parteispitze
Die drohende Zerstörung der CDU

Von Tim Kummert

25.10.2020Lesedauer: 9 Min.
Drei für die CDU: Norbert Röttgen, Friedrich Merz und Armin Laschet, die Kandidaten für den Vorsitz.Vergrößern des Bildes
Drei für die CDU: Norbert Röttgen, Friedrich Merz und Armin Laschet, die Kandidaten für den Vorsitz. (Quelle: getty-images-bilder)

Der Parteitag wird möglicherweise verschoben, intern wächst die Unzufriedenheit mit den Kandidaten. Die CDU steht vor einer Zerreißprobe – und Deutschland vor ungewissen Zeiten.

Ein vertrauliches Treffen vor wenigen Wochen offenbart, wie stark die CDU ins Wanken geraten ist: In der WhatsApp-Gruppe mit dem Namen "Zu neuer Kraft" hatten vier CDU-Bundestagsabgeordnete ihre Parteifreunde zu einem Austausch mit Armin Laschet eingeladen. Es hieß vorher locker im Chat, Laschet wolle über seine Kandidatur für den Parteivorsitz "ins Gespräch kommen". Doch in Wahrheit wurde die Zusammenkunft zum Krisengipfel.

Am 9. September um 20 Uhr fand das Treffen statt, Raum 4.900 im Paul-Löbe-Haus, einem Gebäude des Bundestags. Die Abgeordneten sprachen mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen über seine Bewerbung für den CDU-Vorsitz. Dann hielt Kulturstaatsministerin Monika Grütters, eine Laschet-Unterstützerin, ihr Plädoyer. Es gipfelte in dem Appell: "Armin, du musst es wirklich wollen!"

Noch vor einem halben Jahr galt Armin Laschet als Favorit bei der Wahl für den Parteivorsitz nun rufen ihn selbst seine Befürworter dazu auf, mehr Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Sogar der Kandidat mit den besten Aussichten müsse zum Jagen getragen werden, das sei doch entlarvend für die Lage der Partei, so lautet die Analyse von Teilnehmern der Runde. Einer von ihnen sagt: "Mittlerweile haben wir Ende Oktober, seit dem Treffen wurde nichts besser, Laschet strahlt immer noch kaum Souveränität aus. Und die Partei dümpelt weiter ohne klaren Kurs vor sich hin."

Keiner der Kandidaten kann eine Mehrheit organisieren

Im vergangenen Februar hatte die Noch-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug von der Parteispitze angekündigt. Eigentlich sollte im April ihr Nachfolger gewählt werden, dann kam die Corona-Krise, der Parteitag wurde verschoben auf den 4. Dezember. Die Liste der Kandidaten für den Vorsitz blieb unverändert: Es treten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet mit Unterstützung des Gesundheitsministers Jens Spahn, der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, an.

Doch auch der Termin im Dezember wackelt jetzt. Als Veranstaltung mit 1.001 Delegierten wird er in der Corona-Pandemie kaum wie geplant stattfinden können, deshalb erwägt man eine dezentrale Lösung. Armin Laschet fordert in der "Welt am Sonntag" sogar, den Parteitag ins nächste Frühjahr zu verschieben. Friedrich Merz will hingegen weiterhin am Dezember-Termin festhalten.

Während noch über die Verschiebung diskutiert wird, brodelt es bereits unter der Oberfläche bei den Christdemokraten. Denn bislang gelingt es keinem der Kandidaten, eine absolute Mehrheit in den eigenen Reihen für sich zu organisieren. Man habe man beim vorhandenen Kandidaten-Tableau die Wahl "zwischen Pest und Cholera", sagt jemand aus der Fraktionsführung.

Manche sagen gar, Merkel sei selbst zum Parteiprogramm geworden

Wer in diesen Tagen mit Verantwortlichen in der CDU spricht, bekommt eine Ahnung davon, wie die Fliehkräfte in der Partei zunehmen von der Ebene der Kreisvorsitzenden bis hinein in die höchsten Führungszirkel. Viele befürchten, die CDU könnte bald programmatisch in Einzelteile zerfallen und so immer weniger Menschen an sich binden.

Noch ist die Lage für die größte deutsche Volkspartei aber gut: In den Umfragen steht die Partei bei knapp unter 40 Prozent, das liegt zu großen Teilen an der Kanzlerin. In der Corona-Krise ist Angela Merkel extrem populär – auch in der CDU. Manche sagen, Merkel sei im Laufe der Jahre gewissermaßen zum Parteiprogramm geworden.

"Laschet reagiert ganz natürlich"

Bei der nun anstehenden Frage nach Merkels Nachfolge werden diverse Szenarien parteiintern diskutiert, je nach aktuellem Stand der Corona-Krise. Im Februar, als Corona noch gar keine Krise, sondern lediglich eine hintere Zeitungsmeldung über ein Virus in China war, galt Armin Laschet als Hoffnungsträger. Dann erreichte die Epidemie die Bundesrepublik, es folgte der Lockdown. Laschet war ein Lockerer der Maßnahmen und musste als erster besonders scharfe Einschränkungen in einem seiner Landkreise verkünden.

Sein Ansehen litt, eine ranghohe CDU-Abgeordnete drückt es so aus: "Laschet reagiert ganz natürlich auf Geschehnisse wie einen Corona-Ausbruch. Das sieht dann jedoch wie ein Kurswechsel aus, und das mögen wir CDU-Mitglieder nicht. Wir wollen eigentlich, dass jemand von vornherein eine Meinung hat und damit Recht behält."

Manche halten ihn für den nächsten Chef, andere dieses Szenario für einen Witz

Laschets stärkstes Argument innerhalb der CDU ist trotzdem seine Regierungserfahrung: Er feilt mit der Kanzlerin an den Corona-Beschlüssen, mit seinem Kabinett in Nordrhein-Westfalen arbeitet er Gesetze aus, die regeln, wie Milliarden von Euro verteilt werden. Kürzlich flog der Katholik Laschet nach Rom zum Papst, große Bilder produzieren kann er. Was er nicht kann: Breite Lobby-Arbeit in der Partei betreiben. Dazu fehlt dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten schlicht die Zeit. Aus Laschets Umfeld ist zu hören, dass seine Visitenkarte beim Parteitag die eigene Regierungsarbeit sein soll.

Dass er Chef des größten Landesverbands in der CDU ist, wird gern als Argument ins Feld geführt. Darum gilt er naturgemäß als Favorit.
Doch selbst bei Laschets Unterstützern macht sich allmählich Unruhe breit: Wenn der Chef über Monate nicht an Beliebtheit in der Breite der Partei zulegen kann ist er dann der richtige Mann?

Dass Laschet nun in der "Welt am Sonntag" eine Verschiebung des Parteitags ins Frühjahr anregt, sei Taktik, heißt es im gegnerischen Merz-Lager. So wolle der NRW-Ministerpräsident Zeit gewinnen, um seine Umfragewerte zu verbessern.

Laschets eigentlicher Trumpf ist seine Unterstützung im Parteivorstand: Er gilt als der Kandidat, der gemeinsam mit Jens Spahn am ehesten die verschiedenen Flügel abdecken kann. Spahn, der Konservative gemeinsam mit Laschet, dem Liberalen. Im CDU-Vorstand ist sich mancher auch heute sicher, Laschet werde der nächste Parteichef. Andere halten das für einen Witz.

Musik aus "Gladiator" zum Merz-Auftritt

RTL und ntv befragten die CDU-Basis, wen man sich dort als Vorsitzenden wünscht. Das Ergebnis wurde am Wochenende veröffentlicht und es fiel deutlich aus: 45 Prozent der Parteimitglieder präferieren den ehemaligen Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, 24 Prozent sind für Laschet und 13 Prozent für Röttgen. Merz ist der Star an der Basis, im Gegensatz zu Laschet hat er viel Zeit für die eigene Lobbyarbeit. Und niemandem gelingt es wie ihm, Stimmung für sich selbst zu machen.

Beobachten ließ sich das am vergangenen Donnerstag in Hamburg. Die dortige CDU hatte Merz zu einer Parteiveranstaltung mit Publikum in ein Nobelhotel eingeladen. Um kurz nach halb Acht ging es los, zur Ankunft von Merz im Saal dröhnte eine Melodie aus dem Film "Gladiator". Friedrich Merz schlenderte nicht, er schritt betont langsam und staatstragend zur Musik über den zentimeterdicken Teppich. Halb Kurienkardinal, halb Preisboxer, so wirkte sein Einzug. Tosender Applaus.

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Die Botschaft, mit wem das besser laufen würde? Natürlich mit Merz selbst

In seiner Rede arbeitete der 64-jährige Merz sich an den großen politischen Themen ab: Die Welt werde "neu vermessen, in der Zeit, in der wir leben". Man erlebe gar nun das "Ende der Nachkriegsordnung". Merz war in Hochform, er feuerte einen scharfen Satz nach dem anderen ins Publikum ab. Dort saßen viele ältere Herren und einige junge Frauen, sie nickten eifrig mit dem Kopf. Die Klima-, Wirtschafts und Europa-Politik würden von der deutschen Regierung einigermaßen schlecht gemanagt, findet Merz. Und die indirekte Botschaft, mit wem das alles besser laufen würde, lautete natürlich: Mit ihm selbst.

Und Merz sagte an diesem Abend über den geplanten Parteitag: "Wir müssen ihn stattfinden lassen, trotz Corona und wir sollten auch nicht zulassen, dass da der Vergleich gemacht wird zwischen Volksfest, Oktoberfest und Fußballspiel." Ihm läuft die Zeit davon: Je länger die Pandemie andauert, desto eher hat sein Haupt-Konkurrent Armin Laschet die Gelegenheit, sich als Macher in der Krise darzustellen, sagen Vertraute von Merz.

Die Auftritte im internen CDU-Wahlkampf, der Applaus, die mehr oder weniger versteckten Attacken auf die aktuelle Regierung Merz ist darin bereits geübt. Er hat ein ähnliches Programm bereits 2018 abgespult, als er gegen Annegret Kramp-Karrenbauer antrat. Es sind die gleichen parteiinternen Gruppen, die er jetzt wieder begeistert, sagen Parteiinsider: Die Bundesländer aus dem Osten, die Wertkonservativen und die von Merkel enttäuschten CDU-Mitglieder.

Doch der häufigste Satz, den man sogar bei seinen Fans in der CDU über Merz hört, ist: "Er wirkt wie aus der Zeit gefallen." Zu krachledern, zu konservativ so lauten die Vorwürfe. Merz versucht dieses Image abzulegen wie einen Taucheranzug, indem er sich in letzter Zeit offen für Steuererhöhungen zeigt und sich moderat gibt bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria.

Söder als Kanzler – die Selbstverzwergung der CDU

Allein: Es gelingt Merz nicht, so ist zu hören, den liberalen Teil der Partei kann er nicht umstimmen. Und so kann der Kandidat trotz seiner großen Unterstützung an der Basis nicht bei der mittleren und oberen Ebene der Partei punkten. Dort sind eher wenige konservative Hardliner angesiedelt vielen Landtags- und Bundestagsabgeordneten gilt Merz als zu wenig ausgleichend und zu reaktionär.

Der dritte Kandidat, Norbert Röttgen, gilt zwar in der Außenpolitik als fachlich kompetent, doch ist er nur der Außenseiter im Rennen. Röttgen setzt auf die Stimmung, dass keiner der beiden Favoriten für den Vorsitz überzeugt und signalisiert Offenheit für einen Kanzlerkandidaten Markus Söder, wenn er Parteichef wird. Viele in der Partei haben aber Angst vor dieser Lösung, es sähe wie eine Selbstverzwergung der CDU aus. Intern gilt das nur als Notlösung.

Innerhalb der CDU verharren die Laschet- und Merz-Befürworter in ihren jeweiligen Lagern, es wird kaum Kompromissbereitschaft signalisiert. Die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Katja Leikert formuliert das so: "Noch hat das Rennen um die Kandidatur die Basis nicht so richtig entflammt. Ich hoffe, dass sich das im Laufe des Winters trotz der Corona-Einschränkungen noch ändern wird."

"Bedarf nach inhaltlicher Auseinandersetzung ist gestiegen"

Bei der CDU wird der Parteichef, anders als bei der SPD, nicht von den Mitgliedern, sondern von 1.001 Delegierten auf dem Parteitag gewählt. Es ist der Kampf um genau diese 1.001 Köpfe, der in diesen Wochen begonnen hat. Die Delegierten sind in der Regel Bundestagsabgeordnete, Landräte, Kreisvorsitzende. Viele von ihnen wollen nächstes Jahr ihren Wahlkreis gewinnen. Und sie fragen sich, mit welchem inhaltlichen Profil das für die CDU am ehesten machbar ist. Günter Krings, der als Staatssekretär im Innenministerium arbeitet, sagte t-online: "Der Bedarf nach einer klaren, inhaltlichen Auseinandersetzung in der Partei ist gestiegen. Das ist entscheidend bei der Vorsitzenden-Wahl."

Auch für die nächste Bundesregierung ist die inhaltliche Profilierung der CDU wichtig: Der Kurs von drei großen Koalitionen Angela Merkels hat die Partei geprägt. Mit Armin Laschet käme wohl eine Koalition mit den Grünen in Betracht, Friedrich Merz dagegen betont bei jeder Gelegenheit, wie schade er es findet, dass die FDP so schwach in den Umfragen dasteht. Die offene Frage um den Vorsitz macht es deshalb auch völlig unberechenbar, welche politischen Bündnisse ab dem Herbst 2021 möglich sind. Das Land steht vor ungewissen Zeiten.

Unabhängig von den inhaltlichen Differenzen gibt es CDU aber noch ein weiteres Problem bei der aktuellen Aufstellung der Kandidaten. Es wird personifiziert durch eine junge Frau: Corinna Rotte, 30 Jahre alt, ist CDU-Mitglied aus Paderborn. Laschet, Röttgen und Merz betonen alle gern, dass die CDU jünger, weiblicher und engagierter vor Ort sein solle. Sie wären wohl begeistert von ihr.

Doch die stellvertretende Kreisvorsitzende Rotte ist wiederum vom Kandidaten-Tableau alles andere als begeistert. Sie sagt: "Wir tun als Kreisverband viel dafür, dass sich auch junge Menschen und vor allem junge Frauen bei uns engagieren. Natürlich ist es ein wenig schade, dass bei dem aktuell diskutierten Personal-Tableau für die neue Parteiführung keine Frauen dabei sind." Bei ihr im Kreisverband gebe es zwar eine Tendenz für Friedrich Merz. Jedoch seien nur "wenige Mitglieder voller Überzeugung für einen der Kandidaten."

Die Unzufriedenheit mit den Kandidaten in der Partei ist groß, gleichzeitig wächst die Ungeduld. Während die CDU noch um den richtigen Vorsitzenden ringt, haben andere Parteien die Möglichkeit, Wähler abzufischen. "Die Stammwähler sind immer leicht rechts von uns, die für uns erreichbare Bevölkerung leicht links von uns. Und dazwischen steht die CDU", sagt ein ehemaliger Bundesminister der Partei.

"Die Zerstörung der CDU wie wir sie kennen"

Die Partei ist zerklüftet in drei Teile: Der Vorstand, der mehrheitlich Laschet unterstützt, die Basis, die für Merz brennt und die Delegierten, bei denen viele noch unentschlossen sein dürften. Langsam macht sich die Sorge breit, dass beim anstehenden Parteitag die Spaltung so groß wird, dass die CDU nicht inhaltlich geschlossen ins Superwahljahr 2021 kommt. Intern wird bereits gewarnt: "Wenn uns das nicht gelingt, dann droht uns der gleiche Niedergang wie der SPD. Es wäre die Zerstörung der CDU, wie wir sie kennen", sagt jemand aus der Fraktionsspitze.

Auch die drohende Verschiebung des Parteitags spielt dabei eine Rolle: Sollte die Wahl des Vorsitzenden tatsächlich erst im Frühjahr statt im Dezember stattfinden, drohen die innerparteilichen Gräben noch tiefer zu werden, befürchten manche. Egal wer der neue Vorsitzende wird: Er hätte dann weniger Zeit, die Partei bis zur Bundestagswahl zu einen.

Die amtierende Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat vor zwei Jahren selbst einen harten Kampf mitgemacht und sich durchgesetzt. Das sollte sich jetzt aber nicht wiederholen, findet sie. Zu t-online sagt sie: "Die Neuwahl des Parteivorsitzes fällt in eine Zeit der Krise: Dabei helfen nicht scharfe Attacken, sondern nun muss die CDU vor allem geeint sein und bleiben." Und als Noch-Parteichefin schiebt sie als Warnung nach: "Nur so können wir als größte Volkspartei des Landes weiterhin bestehen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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