Scharfe Kritik an Karliczek Ministerin gibt teure Batterieforschung in ihre Heimat
Deutschland soll moderne Batteriezellen produzieren können. Dafür gibt der Bund 500 Millionen Euro. Weil die Wissenschaftsministerin ihre Heimat fördert, beklagen sich drei Bundesländer bei der Kanzlerin.
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) gerät wegen der Standortwahl für die Batteriezellenforschung in Münster immer schwerer in die Kritik. Die Bundesregierung will in der Batterietechnologie im internationalen Wettbewerb aufholen und kurbelt die Forschung mit 500 Millionen Euro an. Das wurde Anfang des Jahres angekündigt. Ziel ist es, die gesamte Wertschöpfung von der Entwicklung und der Materialherstellung bis zur Wiederverwertung in Deutschland aufzubauen. Batterien werden künftig immer wichtiger, um Elektromobilität zu ermöglichen oder Strom aus Erneuerbaren Energien zu speichern.
Bis zuletzt war umstritten, welche Stadt den Zuschlag für die "Forschungsfertigung Batteriezelle" bekommen soll, die dafür sorgen soll, dass Deutschland im großen Stil und wettbewerbsfähig Batterien produzieren kann. Mehrere Städte hatten sich beworben. Am Freitag gab Karliczek die Entscheidung bekannt: Hauptforschungsstandort wird nun Münster. Karliczek selbst kommt aus dem Münsterland, geboren ist sie in Ibbenbüren, 40 Kilometer nördlich von Münster. Sie vertritt im Bundestag den Wahlkreis "Steinfurt III", in dem auch Ibbenbüren liegt. In Ibbenbüren selbst soll die Wiederverwertung angesiedelt sein.
Ulm galt lange als Favorit
Karliczek hatte am Montag im ARD-"Mittagsmagazin" die Entscheidung verteidigt. "Das überzeugendste Konzept für Batterieforschungsproduktion und Recycling hat Münster vorgelegt", sagte sie. In einem Schreiben an die Regierungsfraktionen formuliert es Karliczek so: "Das Konzept hat sich am überzeugendsten mit der Frage beschäftigt, was mit den Batteriezellen geschehen soll, die in der Fabrik testweise produziert werden." Als zweites Argument führt sie "die fachliche Reputation" und die "hohe internationale Sichtbarkeit" an. Die Entscheidung habe nichts mit dem Standort in der Nähe ihres Wahlkreises zu tun.
Als Favorit für die neue Fabrik, deren Trägerin die Fraunhofer-Gesellschaft sein wird, galt das baden-württembergische Ulm. In der vergangenen Woche war berichtet worden, die Gründungskommission, die das Wissenschaftsministerium eingesetzt hatte, habe Ulm als Standort empfohlen; aber auch, die Forschung zu verteilen.
Ulm soll jetzt wie andere Bewerberstädte auch Standort für einzelne Aspekte der Forschung werden: Auch Salzgitter, Karlsruhe und Augsburg sind dafür vorgesehen. Ostdeutschland geht leer aus.
Interessierte Kritik
Die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, die darauf gehofft hatten, die Forschungsfabrik gehe in ihr Bundesland, beschwerten sich in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Entscheidung Karliczeks. "Mit der Entscheidung für Münster, die wohl einen langwierigen Aufbau neuer Strukturen nach sich zieht, wird wertvolle Zeit im Wettlauf gegen Deutschlands Wettbewerber verloren", heißt es in dem Schreiben an Merkel, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag.
Deutschland könne es sich nicht erlauben, die an den Standorten Ulm, Augsburg und Salzgitter vorhandenen Potenziale in Zukunft ungenutzt zu lassen. Die Regierungschefs Markus Söder (CSU/Bayern), Winfried Kretschmann (Grüne/Baden-Württemberg) und Stephan Weil (SPD/Niedersachsen) fordern Merkel auf, die Standortentscheidung nochmals zu prüfen und die fachlichen Gründe der Entscheidung "transparent und nachvollziehbar" darzulegen.
Söder, Kretschmann und Weil schreiben im Brief an Merkel, bei der Standortentscheidung seien nicht nur forschungs- und innovationspolitische Gesichtspunkte von Bedeutung gewesen. "Soweit bekannt haben in der Auswahlkommission weder die Vertreter der Industrie noch die Vertreter der Fraunhofer-Gesellschaft als Gutachter der Standortbewerbungen für Münster votiert. Vielmehr sah die Auswertung der Fraunhofer-Gesellschaft andere Standorte, wie zum Beispiel Ulm, Salzgitter und Augsburg, an der Spitze des Bewerberfeldes."
Kritik auch aus der SPD
Sowohl aus Bayern als auch aus Baden-Württemberg und Niedersachsen seien hinsichtlich wissenschaftlicher Kompetenz, unternehmerischer Kooperationen, finanzieller Unterstützung der Batterieforschung und Fachkräfte herausragende Standortbewerbungen vorgelegt worden.
Weiter heißt es in dem Schreiben: "Mit der Forschungsfertigung sollte die weltweite Technologieführerschaft von Deutschland im Bereich der Batterietechnik der nächsten Generation behauptet und damit auch die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie gesichert werden. Es ist enttäuschend und für den Forschungsstandort Deutschland angesichts des weltweiten Wettbewerbs um die besten Köpfe ein fatales Signal, Standortentscheidungen von solcher Tragweite überwiegend nach strukturpolitischen Erwägungen zu treffen."
Auch der SPD-Wirtschaftspolitiker Bernd Westphal nannte in einem Brief an Karliczek die Entscheidung, das Zentrum für Batterieforschung in Münster anzusiedeln, einen "groben Fehler". Er sprach sich mit Blick auf den Kohleausstieg für eine Batteriezellenforschung in Kohleregionen aus. Gerade die Menschen in den ostdeutschen Braunkohlerevieren bedürften einer besonderen Aufmerksamkeit, schrieb der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion an die Ministerin des Koalitionspartners. Das Schreiben lag der Deutschen Presse-Agentur vor.
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Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Carsten Schneider, der aus Erfurt kommt, kritisierte die Entscheidung. Sie sei eine bewusste Ausgrenzung Ostdeutschlands, sagte er dem MDR.
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherchen
- Handout des BMBF: Batterieforschung und Transfer stärken (pdf)