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Nach SPD-Beben: Hessens Ministerpräsident Bouffier gibt Groko 50:50-Chance


Nach SPD-Beben
Hessens Ministerpräsident Bouffier gibt Groko 50:50-Chance

Von dpa, aj

05.06.2019Lesedauer: 4 Min.
Volker Bouffier: Hessens Ministerpräsident hegt Zweifel am Bestand der großen Koalition.Vergrößern des Bildes
Volker Bouffier: Hessens Ministerpräsident hegt Zweifel am Bestand der großen Koalition. (Quelle: imago images/Archivbild)
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Mit der Einigung auf Gesetzentwürfe zur Migration hat die Koalition Handlungsfähigkeit demonstriert. Doch schafft sie das auch bei anderen Knackpunkten? Die Meinungen dazu fallen unterschiedlich aus.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat Zweifel, ob die große Koalition in Berlin über das Jahresende hinaus Bestand hat. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende sagte am Dienstagabend dem privaten Rundfunksender Hit Radio FFH am Rande des Hessenfestes in Berlin: "Ende des Jahres halte ich für möglich. Aber ich würde das im Moment mal 50:50 sehen." Bouffier betonte, nach dem geplanten SPD-Parteitag könne man genauer sagen, ob die Koalition zum Jahresende Geschichte sei oder sich noch einmal aufraffe. "Ich hab Zweifel, ob die Sozialdemokratie nochmal die Kraft aufbringt", fügte der CDU-Politiker hinzu.

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU), warb unterdessen für einen Fortbestand des Regierungsbündnisses aus Union und SPD in Berlin. Er habe sich zwar immer eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen auf Bundesebene gewünscht, sagte Günther im RTL-"Nachtjournal". Doch Politik sei kein "Wünsch-Dir-was": "Es ist müßig, über was anderes in dieser Wahlperiode zu sprechen. Von daher wünsche ich mir ausdrücklich, dass die Koalitionspartner beieinander bleiben und die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl nutzen, um das umzusetzen, was im Koalitionsvertrag steht."

Die große Koalition befindet sich nach dem Rücktritt von SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles in schwerem Fahrwasser. Die Partei wird zunächst kommissarisch vom einem Trio, bestehend aus den Vize-Vorsitzenden Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel, geführt. Interims-Fraktionsvorsitzender ist der Außenexperte Rolf Mützenich. Mit der Einigung auf acht Gesetzentwürfe im Asyl- und Aufenthaltsrecht unmittelbar nach dem SPD-Beben zeigte die Koalition zunächst, dass sie noch handlungsfähig ist.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erteilte Spekulationen über ein Jamaika-Bündnis eine Absage. Falls die große Koalition scheitere, müssten Neuwahlen abgehalten werden, sagte Göring-Eckardt im ZDF-"heute journal". Ein Bündnis mit der FDP sei ohne Neuwahlen nicht denkbar.

SPD ruft Union zu Kompromissen auf

Die SPD hat rief die Union derweil zu Kompromissen bei wichtigen Themen auf, um den Fortbestand der großen Koalition sicherzustellen. "Ob die Koalition die Halbzeitbilanz übersteht, hängt davon ab, ob die Union bereit ist, die festgelegten und vereinbarten Dinge auch zu liefern", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil der Deutschen Presse-Agentur. Unions-Fraktionsvize Andreas Jung (CDU) pochte unterdessen weiter auf die Positionen der Union bei den Themen Grundrente und Soli.

Klingbeil betonte: "Die Koalition ist nicht in der Krise, nur weil die SPD nach einem Personalwechsel eine neue Führung hat – in der Partei und in der Fraktion." "Schwierig ist es für die Regierung vielmehr, dass wir bei vereinbarten Themen nicht vorankommen", sagte Klingbeil. Das Kanzleramt blocke das Klimaschutzgesetz. "Beim Thema Grundrente haben wir eine Verkantung." "An der SPD wird es nicht scheitern. Der Ball liegt jetzt im Feld der Union", betonte der SPD-Generalsekretär.

Bei der Grundrente streiten Union und SPD über eine Bedürftigkeitsprüfung. Sie ist im Koalitionsvertrag vereinbart, die SPD will darauf aber verzichten. Unions-Fraktionsvize Jung pocht nun auf Einhaltung der Koalitionsvereinbarung. "Genau so wollen wir sie umsetzen. Eine Grundrente für Menschen, die nicht von Altersarmut bedroht sind, halten wir weder für gerecht noch für finanzierbar."

Jung nimmt Scholz in die Pflicht

Jung nahm zugleich Finanzminister Olaf Scholz in die Pflicht und mahnte einen baldigen Entwurf für die Abschmelzung des Solidaritätszuschlages an. Die Mittel dafür seien eingeplant, sagte Jung der dpa. Zugleich bekräftigte er: "Und sobald es geht, wollen wir als Union dann die Abschaffung des Soli für alle." Nach dem Koalitionsvertrag sollen nur die unteren Einkommensschichten beim Soli entlastet werden, was etwa 90 Prozent der Soli-Zahler betreffen würde.

Jung mahnte auch eine schnelle Neuregelung der Grundsteuer an. Dem schloss sich der DGB an. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag), die Koalition müsse jetzt endlich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für eine Reform der Steuer auf den Weg bringen. "Wer das Ausbluten der Städte und Kommunen verhindern und den sozialen Zusammenhalt nicht weiter gefährden will, muss jetzt schnell handeln."

Die neue Präsidentin des Wirtschaftsrates der CDU, Astrid Hamker, warnte die Union vor "teuren Rabatten" für die SPD, um die große Koalition zu erhalten. "Die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, das Vorzeigeprojekt der SPD, oder andere soziale Wohltaten sind Fehler, die verhindert werden müssen", sagte Hamker im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag).

SPD beschwört Zusammenhalt

Unterdessen beschworen führende SPD-Politiker den Zusammenhalt der Partei. "Wir sind schon in schwierigem Fahrwasser und es ist unruhig. Aber wenn die Mannschaft zusammenhält auf dem Boot, dann kommt man auch gut durch den Sturm", sagte die kommissarische Vorsitzende Schwesig am Dienstagabend auf der traditionellen Spargelfahrt des konservativen Seeheimer Kreises auf dem Berliner Wannsee. Auch Vizekanzler Olaf Scholz forderte, die SPD müsse sich nun "unterhaken", jeder Einzelne müsse Verantwortung übernehmen.

Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sagte, es tue ihm im 50. Jahr seiner Mitgliedschaft weh, die SPD in einer solchen Situation zu sehen. "Die Lage der SPD ist unzweifelhaft sehr existenziell. Und sie hat offenbar ihre politische Mission im 21. Jahrhundert verloren", sagte der SPD-Kanzlerkandidat von 2013 am Dienstagabend in der ZDF-Sendung "Markus Lanz".

Wann und wie die SPD nach dem Rücktritt von Nahles einen neuen Vorsitzenden wählt, soll am 24. Juni geklärt werden. Unter anderem gibt es Rufe nach einer Urwahl, bei der alle SPD-Mitglieder abstimmen könnten. Allerdings hat sich bisher kein möglicher Kandidat aus der Deckung gewagt.

Der kommissarische SPD-Chef Schäfer-Gümbel sieht Vorteile in einer Doppelspitze. "Eine Doppelspitze kann unterschiedliche Charaktere und Kommunikationsstile verbinden", betonte er. Es dürfe aber keine Flügelrepräsentanz geben. Mit Blick auf eine Urwahl verwies Schäfer-Gümbel in der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch) darauf, dass das Parteiengesetz diese nicht vorsehe. Am Ende müsse ein Parteitag entscheiden. "Wir wollen aber eine breite Beteiligung vorher ermöglichen", betonte der hessische SPD-Politiker. Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs plädierte dafür, dass auch Nicht-Mitglieder bei der Suche nach einem neuen SPD-Chef einbezogen werden sollten.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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