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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen den Lehrermangel Im neuen Schuljahr droht massiver Unterrichtsausfall
Bundesweit fehlen dramatisch viele Lehrkräfte an den Schulen. Besonders an Grundschulen droht Unterrichtsausfall. Nur stellenweise helfen die verzweifelten Maßnahmen der Länder.
Deutschland hat zu wenig Lehrkräfte. 50.000 Stellen bleiben laut des neuesten Bildungsberichts aus Bund und Ländern in den kommenden fünf Jahren unbesetzt. Im neuen Schuljahr droht vielerorts massiver Unterrichtsausfall. Besonders betroffen: die Grundschulen. Besonders betroffen: die Förderschulen. Besonders betroffen: die neuen Bundesländer und die Hauptstadt.
t-online.de hat bei allen Kultus- und Bildungsministerien der Bundesländer eine Aufstellung der aktuell neu ausgeschriebenen Stellen und der tatsächlichen Neueinstellungen erfragt. Zudem sollten die Ministerien erklären, wie sie um neue Lehrkräfte werben. Zehn Behörden haben geantwortet – der Rest: schweigt bislang.
Trotzdem lässt sich ein vorläufiges Fazit ziehen: Viele Bundesländer haben Probleme, neue Lehrer zu finden – andere hingegen kaum. Doch selbst in diesen "Bildungshochburgen" ist die Unterrichtsversorgung "auf Kante genäht", wie es der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, formuliert. Um freie Stellen doch noch zu besetzen, sind drastische Maßnahmen im Gespräch – einige sogar bereits in der Umsetzung. Ein Überblick.
Berlin
In der Bundeshauptstadt, wo der Senat erst in der letzten Ferienwoche die endgültigen Zahlen veröffentlicht, droht ein Desaster: Mitte Juni waren dort noch 1.250 Stellen unbesetzt – so viele wie noch nie.
1.000 Quereinsteiger wurden deswegen zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Studenten in lehramtsbezogenen Master-Studiengängen werden Halbjahres- oder Jahresverträge angeboten. Wer vor der Pension steht, wird vielleicht weiterarbeiten.
Können die Maßnahmen die Lücke stopfen? Das ist bislang noch unklar. Zur Not werden Angebote zur Sprachförderung, zur Integration und Inklusion ausfallen müssen – damit der Regelunterricht aufrecht erhalten werden kann.
Mecklenburg-Vorpommern
Im Nordosten der Republik waren zuletzt noch mehr als 300 Stellen offen – vor allem an den Grundschulen, Regional- und Berufsschulen. Endgültige Zahlen sind auch von dort erst in den kommenden Wochen zu erwarten.
Die Linksfraktion im Landtag fordert bereits, das Referendariat der angehenden Lehrkräfte zu verkürzen – von 18 Monaten auf zwölf Monate. Die jungen Pädagogen sollen von Mentoren unterstützt und von Hausarbeiten befreit werden. Die rot-schwarze Landesregierung hingegen setzt auf eine bundesweite Werbekampagne und einen dreiwöchigen Kompaktkurs für Quereinsteiger.
NRW, Baden-Württemberg – und Niedersachsen
Auch im Westen Deutschlands gibt es erheblich Probleme – wenngleich auch hier noch aktuelle Zahlen fehlen. Das Kultusministerium in NRW konnte immerhin angeben, wie der Stand dort im Mai war. Gerade einmal 65 Prozent der 4.000 Lehrerstellen waren zu diesem Zeitpunkt besetzt. Vor allem an Grundschulen und an Förderschulen fehlt fast jede zweite Lehrkraft.
Quereinsteiger sollen auch hier die Lücken füllen. Eine Werbekampagne ist angelaufen. An den Hochschulen sollen ab dem kommenden Wintersemester 250 weitere Studienplätze für das Grundschullehramt entstehen. Außerdem können Gymnasiallehrer an Grund- und Förderschulen unterrichten – wenn sie denn wollen. Darauf setzt auch Baden-Württemberg.
Denn zwar gibt es für den Südwesten bislang ebenfalls noch keinen aktuellen Stand. Im letzten Jahr blieben dort allerdings insgesamt 455 Stellen den Angaben des Ministeriums zufolge unbesetzt. Und es könnte noch schlimmer kommen: Vor einigen Wochen prognostizierte die Behörde gegenüber dem "Südkurier" für das kommende Schuljahr weitere Spannungen. Allein 500 Lehrer könnten künftig an den Grundschulen im Südwesten fehlen.
Die Gegenmaßnahmen unter anderen: Gymnasiallehrer sollen für die Grundschule gewonnen werden – Lehrer werden in sogenannte "Mangelregionen" versetzt. Eine Maßnahme, auf die auch Niedersachsen setzt. Dort sind zwar im Vergleich "nur" 150 Stellen offen geblieben. Trotzdem müssen rund 2.000 Lehrkräfte an andere Schulen abgeordnet werden, um die flächendeckende Unterrichtsversorgung zu gewährleisten.
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
In den neuen Bundesländern drohen ebenfalls Lücken im Lehrpersonal. Sachsen konnte laut Ministerium lediglich 870 von 1.100 Stellen besetzen. 329 der neuen Lehrer sind Quereinsteiger, die seit Mai eine dreimonatige Qualifikation durchlaufen haben.
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In Sachsen-Anhalt hat die Landesregierung einen "großen Kraftakt" hinter sich, um möglichst viele Stellen zu besetzen, beschreibt CDU-Bildungsminister Marco Tullner die Lage. Trotzdem bleiben im neuen Schuljahr von 610 ausgeschriebenen Jobs insgesamt 190 unbesetzt.
Deswegen soll künftig für schwer vermittelbare Jobs eine Zulage gezahlt werden – die Arbeitsverträge werden befristet, um Bewerber nicht zu sehr abzuschrecken. Wer sich außerdem als Gymnasiallehrer für andere Schulformen bewirbt, soll anschließend verbeamtet werden. Gleiches gilt im Nachbarland Thüringen.
Dort konnte mit einer Reihe von "Stellschrauben" die Personallücke auf 70 unbesetzte Stellen gedrückt werden, beschreibt Linken-Bildungsminister Helmut Holler. Die Landesregierung hat die Verbeamtung wieder eingeführt, um Quereinsteiger geworben – und zum Schluss sogar die Lehrberechtigung ehemaliger DDR-Hortnerinnen für Grundschulen anerkannt. Gleichzeitig startet eine 600.000-Euro-Werbekampagne, um Nachwuchskräfte vor allem für ländliche Regionen zu gewinnen.
All das, um mithalten zu können. "Der bundesweite Wettbewerb um die besten Lehrerinnen und Lehrer ist in vollem Gange. Wir müssen mit den aktuellen Entwicklungen Schritt halten", sagt Holter, der sogar eine von Gewerkschaften schon länger ins Spiel gebracht gleiche Bezahlung für Lehrer ins Spiel bringt – egal, ob sie an Grundschulen oder am Gymnasium arbeiten.
Fazit
Die Bemühungen sind da – die Personallücke vielerorts aber auch. Interessenverbände weisen schon lange auf die Entwicklung hin – und fordern Maßnahmen. Aus ihrer Sicht reagiert die Politik viel zu spät.
"Es wurden Prognosen verschlafen und es wurde nicht rechtzeitig gegengesteuert", sagte Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Lehrerverband. "Die Politik hätte die Hochschulen auffordern müssen, die Lehrerausbildungskapazitäten nicht so stark abzubauen." Die Länder hätten nicht rechtzeitig auf den Geburtenanstieg reagiert. "Es hätte viel früher eine massive Lehreranwerbung geben müssen."
Auch aus Sicht des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) ist der Lehrermangel zu einem großen Teil hausgemacht. "Wie kann es sein, dass man in solch eine enorme Lücke hineinschlittert?", kritisierte VBE-Chef Udo Beckmann. "Wenn die Politik nicht massiv nachsteuert und umsteuert, dann sehe ich auf absehbare Zeit keine Entspannung."
Die Eltern sind ebenfalls in Aufregung. "Aus unserer Sicht ist der Lehrermangel zurzeit so schlimm, wie er noch nie war", sagte Bundeselternrats-Chef Stephan Wassmuth. "Wir sind eine Leistungsgesellschaft, das darf man nicht vergessen. Eltern machen sich Sorgen, dass die Grundlagen fehlen." Es könne nicht die Lösung sein, dass Eltern den Unterrichtsausfall mit ihren Kindern in der Freizeit nachholten.
Denn tatsächlich ergaben Stichproben bereits im vergangenen Jahr ein verheerendes Bild. Eine gemeinsame Recherche von "Correctiv.Ruhr" und den "Ruhr Nachrichten" hatte beispielsweise ergeben, dass in Dortmund mehr als doppelt so viele Unterrichtsstunden ausfielen, wie das Land behauptete. Ab dem kommenden Schuljahr soll der Unterrichtsausfall in NRW landesweit durch ein neues Verfahren erhoben werden, teilt das Ministerium nun mit. Viele andere Dinge sind – nicht nur in NRW – für das kommende Schuljahr noch ungeklärt.
- eigene Recherchen
- Bildungsbericht 2018 der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
- Südkurier: "Leere statt Lehrer an der Tafel"
- Correctiv.Ruhr: "Unterrichtsausfall – der Check: In Dortmund fallen doppelt so viele Unterrichtsstunden aus wie das Land behauptet"
- mit Material von dpa