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Wahlforscher im Interview: "Die CSU bewegt sich auf dünnem Eis"


Interview
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Wahlforscher Thorsten Faas
"Die CSU bewegt sich auf dünnem Eis"

InterviewVon Jonas Schaible

Aktualisiert am 20.06.2018Lesedauer: 6 Min.
CSU-Chef und Bundesinnenminister Seehofer und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder: Was wollen sie – und wollen sie dasselbe?Vergrößern des Bildes
CSU-Chef und Bundesinnenminister Seehofer und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder: Was wollen sie – und wollen sie dasselbe? (Quelle: Andreas Gebert/dpa)
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Der Konflikt zwischen Kanzlerin und Innenminister könnte die Regierung zerstören. Um die Details des Asylplans gehe es dabei nicht wirklich, sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Die Strategie der CSU hält er für riskant.

Herr Faas, was treibt die CSU an?

Thorsten Faas: Ich bin gar nicht sicher, ob es die CSU als Einheit tatsächlich gibt, auch wenn sie so auftritt. Es ist klar, dass die Hauptakteure in der CSU unterschiedliche persönliche Interessen haben.

Wer will was?

Horst Seehofer ist in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Markus Söder dagegen hat als bayerischer Ministerpräsident die heroische Aufgabe vor sich, die absolute Mehrheit zu verteidigen. Wenn ihm das nicht gelingt, wird man das ihm anlasten. So hat man hat das Gefühl, dass Seehofer aus München getrieben wird. Dazu kommen Stimmen aus der zweiten Reihe, die gar nicht schüchtern sind.

Wo steht denn der gar nicht schüchterne Landesgruppenchef Alexander Dobrindt?

Es ist schwer zu sagen, an wessen Seite er steht, weil er einerseits politisch in Berlin zu Hause ist, aber auch in der CSU aufstrebt. Augenscheinlich hat er sich zum Ziel gesetzt, der Landesgruppe wieder mehr Gewicht zu geben. Was man auch klar sagen kann: Er hat nichts dafür getan, den Konflikt zu entschärfen. Er hat ihn sogar angeheizt, so wie er das während der Koalitionsverhandlungen schon getan hat.

Trotzdem dringt aus der CSU fast kein Widerspruch nach draußen, als sei jede innerparteiliche Kritik illegitim. Wie nehmen Sie das war?

Das zeichnet die CSU ja aus: Dass sie hart ringt, mitunter auch mal kurzen Prozess mit Spitzenpersonal macht, aber dann schnell zu Geschlossenheit in der Außendarstellung zurückkehrt. Anderen Parteien gelingt das nicht so gut. Würde jetzt jemand widersprechen, müsste er fürchten, als Nestbeschmutzer zu gelten, dem man den möglichen Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl anlasten würde.

Damit sind wir beim entscheidenden Thema. Die gängige Deutung lautet ja: Die CSU handle nur mit Blick auf die Landtagswahl. Halten Sie das für plausibel?

Ja, absolut. Die CSU hat in Bayern einen dominanten Status, sie reklamiert mit gewissem Recht und großem Selbstbewusstsein, die Bayernpartei zu sein – und der Ausweis dafür ist die absolute Mehrheit. Wenn dieser Status gefährdet ist, führt das zu radikalen Maßnahmen. Die politischen Karrieren von Beckstein und Huber waren schnell erledigt...

… Huber war frisch Parteichef, Beckstein war gerade erst Ministerpräsident, als die CSU 2008 die absolute Mehrheit verlor. Beide traten bald danach zurück.

Genau. Seehofer holte dann 2013 die absolute Mehrheit zurück, aber jetzt ist der Status wieder gefährdet. Wir reden ja nicht nur über Umfragewerte, das Ergebnis der CSU in Bayern bei der Bundestagswahl war in den Augen der CSU desaströs.

Also tut die Partei jetzt alles, um wieder die Mehrheit in Bayern zu holen?

Ja, aber die CSU bewegt sich auf dünnem Eis. In dem Moment, in dem jede Handlung so verstanden wird, als ziele sie nur auf die Landtagswahl, wirkt das auf Wähler schnell zynisch. Als gehe es gerade nicht um die Sache, nur um Machterhalt.

Und das verändert die Haltung der Wähler?

Ja, man weiß aus früheren Wahlen, dass Maßnahmen nicht den erhofften Effekt bringen, wenn dieser Eindruck vorherrscht. Man könnte also argumentieren, dass es die Glaubwürdigkeit der CSU sogar beschädigt, wenn sie sich kurz vor der Wahl plötzlich daran zu erinnern scheint, was ihre Wähler wollen. Aber durch die AfD sieht sie sich offenbar gezwungen, so zu agieren. Die CSU sieht keine Alternative zum harten Kurs nach rechts.

Die Partei versucht, den Eindruck von kühler Kalkulation dadurch zu zerstreuen, dass sie gebetsmühlenartig betont, es gehe um die Sache …

… aber das ändert nichts am allgemeinen Eindruck und den öffentlichen Beschreibungen. Da kann die Partei hundertmal sagen, das sei nicht so. Das müsste die CSU eigentlich auch wissen.

Was hätte die CSU denn alternativ tun können?

Wenn man sich anschaut, wie viele Flüchtlinge aktuell kommen und wie die Verwaltung damit umgeht, könnte man sagen, die Situation ist aktuell nicht so kritisch, dass man das Thema so groß machen muss. Der Unterschied zur Bundestagswahl ist interessant: Da wurde das Thema Flüchtlinge gerade auch im TV-Duell von außen an die Parteien herangetragen. Im Gegensatz dazu hat die CSU jetzt beschlossen, das Thema aktiv in den Vordergrund zu rücken. Es gäbe aber Alternativen: Bayern steht ziemlich gut da, man könnte also auch über die eigene Erfolgsbilanz reden. Man könnte andere Themen betonen, nicht das eine, von dem man nie weiß, ob es nicht doch eher der AfD hilft.

Sie glauben also nicht, dass der Plan der CSU aufgeht?

Das weiß ich nicht, aber die Strategie der CSU ist extrem riskant. Wenn es um einen harten Kurs gegen Flüchtlinge geht, hat sie mit der AfD inhaltlich große Konkurrenz. Wenn man dann noch annimmt, dass dieser neue Kurs vielleicht gar nicht so glaubwürdig ist, kann das der Partei sogar schaden. Aber wir wissen aktuell nicht, wie die Stimmung in Bayern ist, weil wir keine aktuellen Umfragen haben.

Könnte es eigentlich sein, dass Beobachter wie wir zu zynisch sind und dass es der CSU wirklich um die Sache geht?

Das Problem besteht grundsätzlich schon: Wenn wir jeden Vorschlag als Teil eines Spiel beschreiben, legt das nahe, dass es nie um die Sache geht. Im Englischen nennt man das “Game Frame”, das ist ein kalter, zynischer Blick auf Politik. Wenn man aber nüchtern auf den momentanen Streit schaut, dann muss man schon fragen: Warum macht die CSU das Thema gerade jetzt so groß? Warum diese scharfe Wortwahl? Warum diese Zuspitzung? Warum stellt sie das Funktionieren des Staates und die Rechtsstaatlichkeit in Frage? Sachliche Gründe gibt es nicht wirklich. Da drängt sich doch der Eindruck auf, dass das Kalkül ist.

Der Regierungsstreit kreist um einen Plan, den offenbar selbst der Unions-Fraktionschef Kauder nicht kennt, die SPD auch nicht, die Öffentlichkeit sowieso nicht. Was ist denn davon zu halten?

Das ist ein weiterer Hinweis, dass es nicht nur um Sachfragen gehen kann. Sonst würde da besser informiert. Tatsächlich wird ein Stellvertreterkampf ausgefochten. Es geht um Symbolik, es geht um eine Frage: War es richtig, was Merkel 2015 gemacht hat, oder falsch?

Seehofer ist Innenminister, stimmt sich aber nicht mit der Koalition ab, sondern mit der CSU. Wie bewerten Sie diese Verquickung von Regierungsamt und Parteiamt?

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Dass in einer Koalition auch Parteien eine Rolle spielen, obwohl das nicht aus dem Grundgesetz hervorgeht, ist üblich und unproblematisch. Aber man kann als Partei mehr oder weniger allein handeln, mehr oder weniger provozieren. Die CSU provoziert gerade extrem.

Können Sie sich vorstellen, dass CDU und CSU die Fraktionsgemeinschaft aufkündigen?

Daran kann keine Seite ein Interesse haben. Aber es ist nichts ausgeschlossen. Merkel und Seehofer, unterstützt von der CSU, haben sich sehr eindeutig positioniert – und die Positionen sind nicht kompatibel. Man hat sich durch Zuspitzung in eine Situation manövriert, die man nur dadurch lösen konnte, dass man sich Zeit gegeben hat. Ich weiß nicht, wie sie dahinter zurück wollen. Man könnte sich höchstens vorstellen, dass Personal ausgetauscht wird, aber das wäre eine massive Eskalation.

Was heißt das?

Wenn die Kanzlerin einen Parteichef als Minister entlässt, dann entlässt sie faktisch seine Partei aus der Koalition, zumindest wenn er deren Unterstützung hat. Und die hat Seehofer, vielleicht mehr, als ihm lieb ist. Das wäre der Bruch der Koalition und auch der Fraktionsgemeinschaft. Zumindest so lange Merkel im Amt ist. Und ich nehme nicht wahr, dass sie in der CDU offen herausgefordert wird.

Sollte es zum Bruch kommen, müsste die CDU nur einen Landesverband aufbauen, die CSU 15 Landesverbände. Ist das organisatorisch zu stemmen? Und kann die CDU deshalb mehr Druck ausüben?

Sicher wäre es für die CDU leichter. Andererseits: Wie leicht es in diesen Zeiten ist, auch mit ganz neuen Bewegungen ohne großen organisatorischen Unterbau erfolgreich zu sein, zeigt Emmanuel Macron. Zumindest kurzfristig. Wir wissen nicht, ob das nachhaltig ist. Beide Parteien haben außerdem viel Erfahrung, ich denke, dass sie das hinkriegen würden. Aber ich bezweifle, dass sie es wirklich möchten.

Was halten Sie von der Umfrage, die jetzt sagt, die CDU könnte 22 Prozent bekommen, die CSU 18? Ist so etwas verlässlich?

Teile der CDU wollen einen konservativen Kurs, wo gehören sie hin? Wohin gehören liberale Kräfte in der CSU? Solche Fragen mussten sich Unions-Wähler bisher nie stellen. Es gibt keinen Präzedenzfall. Insofern ist das alles mit Vorsicht zu genießen. Wir wissen nicht, was passieren würde.

Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler. Er ist Professor für „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ an der Freien Universität Berlin.

Verwendete Quellen
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