Presseschau zum Unionsstreit "Es wäre dramatisch für Europa, wenn Merkel verschwände"
Seit Tagen halten CDU und CSU die Öffentlichkeit mit ihrem Streit auf Trab, auch die europäische Presse schaut gebannt nach Berlin. Ein Blick in die Kommentarspalten.
Die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" kommentiert den Streit zwischen CDU und CSU so: "Es ist schwer, das Kontroverse in Seehofers Vorschlag zu sehen, auch wenn er sicher damit zusammenhängt, dass in Bayern im Oktober gewählt wird und sich die CSU von der AfD unter Druck gesetzt fühlt. Andersrum hat Merkel recht, dass eine europäische Lösung die beste wäre. Doch nachdem sie bald drei Jahre vergebens versucht hat, eine solche zu erreichen, ist es vielleicht ein wenig optimistisch zu glauben, dass das beim EU-Gipfel in zehn Tagen gelingt – selbst mit bilateralen Vereinbarungen.
Vorläufig hat Seehofer sein Ultimatum für Merkel gemildert, ein Bruch der Regierung ist verhindert, jedenfalls für ein paar Wochen. Das ist gut, denn Europa braucht ein starkes Deutschland. Doch Merkels Tage als Anführerin sind bald gezählt. Das zeigt das Drama in Berlin."
Der "Tagesanzeiger" aus Zürich schreibt: "Wie in Berlin schwindet auch in der EU die Autorität der einst starken Frau. Ihre Gegner spüren ihre Schwäche und wittern Morgenluft. Geschwächt und angeschlagen knüpft Angela Merkel ihr politisches Schicksal an eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise. Doch im Streit um Solidarität und Lastenteilung scheinen die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Unwahrscheinlich, dass die Gegenspieler der Bundeskanzlerin ausgerechnet jetzt beispringen, ihre Macht zu verteidigen. Der Spielraum für einen pragmatischen Mittelweg zwischen den ideologischen Extrempositionen schwindet."
Die österreichische Zeitung "Der Standard" schreibt: "Ob es bei irgendwem, selbst bei Merkel, noch um das Schicksal von Menschen oder eine bessere Ordnung für Europa geht, sei dahingestellt. Es tobt der Machtkampf, es geht darum, wer sich durchsetzt: Merkel oder Seehofer? Selbst wenn es eine Lösung gibt am Ende der zwei Wochen, fragt man sich jetzt schon: Wie wollen diese beiden danach noch den Rest der Legislaturperiode (immerhin dreieinhalb Jahre) miteinander auskommen? Es scheint unmöglich."
Der in London erscheinende "Guardian" sieht es so: "Angela Merkel will die Lasten durch die Flüchtlinge auf ganz Europa verteilen und das ist richtig so. Doch jedwede dauerhafte Lösung muss über die Grenzen der Zufluchtsländer hinausreichen. Damit ist nicht gemeint, dass Nordafrika mit Internierungslagern gefüllt wird. Langfristig wird die Gewährung großzügiger Hilfe für die Herstellung von Frieden und von Voraussetzungen für die Schaffung von Wohlstand von grundlegender Bedeutung sein."
Auf t-online.de heißt es: "Wir werden Zeuge eines spektakulären Desasters, mit denen die Unionsparteien CDU und CSU im Streit um die Asylpolitik Selbstdemontage betreiben und dabei die Regierung aufs Spiel setzen. Die Vehemenz, mit der Forderungen eskaliert werden, ist beeindruckend. Warum aber hat die Debatte um eine geordnete Asyl- und Integrationspolitik nicht schon eher in dieser Intensität stattgefunden? Den Menschen in unserem Land mag es sicher gefallen, dass endlich mit wahrnehmbarer Konsequenz in den Regierungsparteien gestritten und um Lösungen gerungen wird. Doch es entsteht mehr und mehr der Eindruck, dass nur machtpolitische und egoistische Ziele hinter dem Gezänk stecken. Dafür aber ist das Thema viel zu ernst.
Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" meint: "Bundeskanzlerin Merkel hat von ihrer Schwesterpartei CSU zwei Wochen Zeit bekommen, um Wege zu finden, die Zuwanderung nach Deutschland einzuschränken. Was immer sie tun wird, einen Humanitätspreis wird sie dafür nicht erhalten. In der Migrationsfrage gibt es keine einfachen Lösungen. Allen westlichen Ländern ist der Widerspruch bewusst zwischen humanistischen Idealen und der Notwendigkeit, die Zuwanderung zu beschränken, weil es an politischer und gesellschaftlicher Tragkraft mangelt. Das führt zu Kompromissen, die sich stets unbequem anfühlen werden."
In der norwegischen Tageszeitung "Aftenposten" ist zu lesen: "Es wäre dramatisch für Europa, wenn der starke, stabilisierende Faktor, der Merkel gewesen ist, verschwände. Auf der anderen Seite ist Merkel schon lange geschwächt. Eine Erneuerung in der deutschen Politik kann auch positive Folgen haben. Das Dilemma ist, dass ein chaotischer Wechsel jetzt, mit folgender Neuwahl und verstärkter Unterstützung für die verantwortungslosen Rechtspopulisten, weder Deutschland noch Europa nutzt. Deswegen ist zu hoffen, dass Merkel diese Krise überlebt."
- dpa, AFP