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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experten appellieren an Merz und Klingbeil "Letzte Chance" für die Rente?

Schwarz-Rot wagt bei der Rente keine umfassende Reform – sondern will sogar noch mehr Geld ausgeben, etwa für die Mütterrente. Ein Fehler, wie jetzt zahlreiche Experten warnen.
Es ist ein sehr deutlicher Appell kurz vor dem Ende der Koalitionsverhandlungen, formuliert von fast 30 prominenten Köpfen aus der deutschen Wirtschaftswissenschaft: In einem Brief an die Chefs von CDU, CSU und SPD dringen zahlreiche Ökonomen auf mutige Reformen bei der gesetzlichen Rente. Grund: Durch den baldigen Renteneintritt der Vertreter der "Babyboomer"-Generation stehe dem System absehbar ein "enormer Stresstest" bevor.
In dem zweiseitigen Schreiben, das sich direkt an Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) sowie an die Vorsitzenden der SPD, Lars Klingbeil und Saskia Esken, richtet, warnen die Experten, dass die bisher von Schwarz-Rot anvisierten Schritte in der Rentenpolitik in die völlig falsche Richtung gingen. Wörtlich heißt es: "Mit großer Sorge nehmen wir die bisherigen Vereinbarungen im Bereich der Rentenversicherung zur Kenntnis." Viele der verhandelten Ideen seien nicht nur "enorm kostspielig und wenig zielgerichtet", etwa das Festhalten an der Rente mit 63. "Sie planen darüber hinaus das Rentenniveau zu stabilisieren und eine weitere Anhebung der Mütterrente", so die Volkswirte. "Wir möchten Sie eindringlich bitten, von all dem Abstand zu nehmen."
Der Brief liegt t-online vor, zunächst hatte die "Bild"-Zeitung darüber berichtet. Unterschrieben hat ihn die Crème de la Crème der deutschen Volkswirtschaftslehre: insgesamt 28 Ökonominnen und Ökonomen, darunter vier der fünf aktuellen "Wirtschaftsweisen" sowie zahlreiche frühere Angehörige des Beratergremiums der Bundesregierung. Zu den Mitzeichnern zählen etwa Monika Schnitzer (Ludwigs-Maximilian-Universität München), Veronika Grimm (Universität Nürnberg), Ulrike Malemendier (University of Berkley, Kalifornien) und Christoph Schmidt (Uni Essen) und Volker Wieland (Uni Frankfurt).
Hinzu kommen ausgewiesene Rentenexperten wie Martin Werding (Universität Bochum), der Münchner Volkswirt Axel Börsch-Supan, aber auch andere bekannte Ökonomen wie Justus Haucap und Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Rasanter Anstieg der Rentenbeiträge
Der Brief platzt mitten in die entscheidende Phase der Koalitionsverhandlungen auf höchster politischer Ebene. Laut dem ursprünglichen Zeitplan wollten die Unionsparteien und die SPD bereits am morgigen Mittwoch einen finalen Koalitionsvertrag vorlegen, inzwischen ist nicht ausgeschlossen, dass die Gespräche noch ein bisschen länger, womöglich bis zum Ende der Woche, dauern könnten.
Anders als die Streitthemen Migration und Wirtschaftspolitik dürfte eine Einigung in Fragen der gesetzlichen Rente leichter fallen. Denn: Sowohl CDU/CSU als auch die SPD wollen es tunlichst vermeiden, eine ältere Wählerschaft zu verprellen. Gerade das Absenken des Rentenniveaus, wie es viele Experten immer wieder fordern, damit die Beiträge der Jüngeren nicht so stark steigen, gilt als unpopulär und hat trotz mancher Stimme aus der CDU, die das fordert, wohl nur wenig Chance auf Umsetzung.
Ein Fehler, wie jetzt auch die Unterstützer des Briefs festhalten: "Eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem aktuellen Niveau von 48 Prozent, wie sie in den Medien kolportiert wird, dürfte in den kommenden 20 Jahren zusätzliche 520 Milliarden Euro kosten. Die Beiträge müssten bis 2030 zusätzlich um 0,4 Prozentpunkte steigen; im weiteren Verlauf um weitere 1,1 Prozent." Scharfe Kritik üben die Experten außerdem an der Ausweitung der Mütterrente, ein Projekt, das vor allem der CSU wichtig ist. Dies würde den Steuerzahler, so heißt es, jährlich 4,5 Milliarden Euro extra kosten.
"Alle Leistungsausweitungen unterlassen"
"Wir sind davon überzeugt: Um die Tragfähigkeit der Rentenfinanzen dauerhaft zu sichern, müssen all diese teuren Leistungsausweitungen unterlassen werden", stellen die Ökonomen fest. Stattdessen sollte die kommende Regierung lieber "Maßnahmen diskutieren, die die finanzielle Stabilität des Systems erhöhen": Etwa die Abschaffung der Rente mit 63, die vor allem eine von allen finanzierte Umverteilung zugunsten gut verdienender Facharbeiter und Beschäftigter im öffentlichen Dienst sei.
Zudem sollte das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung der Menschen gekoppelt werden, die sei ein "wichtiger Baustein für ein generationengerechtes Rentensystem". Zum Abschluss warnen die Experten noch einmal mit Nachdruck: "Die kommende Legislaturperiode ist wohl die letzte Chance, einen wenigstens im Ansatz gerechten Ausgleich zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern im Rentensystem herzustellen. Wir appellieren eindringlich an Sie: Bitte sorgen Sie dafür, dass das deutsche Rentensystem, die Beitragszahler in unserem Land und insbesondere jüngere Generationen nicht noch größeren Belastungen ausgesetzt werden."
An einer größeren Rentenreform war bereits die Ampelregierung gescheitert. Zwar hatten sich SPD, Grüne und FDP auf ein zweites Rentenpaket geeinigt, das unter anderem den Einstieg in einer kapitalgedeckten Säule in der gesetzlichen Rente vorsah. Wegen des Koalitionsbruchs wurde diese Reform aber nicht mehr umgesetzt.
- Brief an die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD