Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die stärkste Macht der Welt Merkel lachte – und alle hörten zu

Humor kann Berge versetzen und politisches Packeis brechen. Aber er ist weltweit abhandengekommen. Plädoyer für die Renaissance einer einzigartigen menschlichen Fähigkeit.
Der Mensch, notiert Henri Bergson in seinem berühmten Aufsatz "Le Rire" aus dem Jahr 1900, sei "das Tier, das lachen kann". Genau diese Gabe macht ihn also letztlich zum Menschen und einzigartig. Aristoteles soll das als Erster gedacht und geschrieben, Kant, Thomas Hobbes und der Dichter Jean Paul den Gedanken später aufgegriffen haben. Wie Bergson in seinem (so untertitelten) "Essay über die Bedeutung des Komischen" ausführt, kann man die Bedeutung seiner Wirkmacht allenfalls unter-, nie überschätzen. Sie ist kolossal.
Bergson sagt, das Lachen als menschlich einzigartige Fähigkeit sei eine "soziale Geste", es müsse definitiv "eine soziale Bedeutung haben". Vielleicht ist es sogar mehr: Es ist die Kraft, die eine Gesellschaft in ihrem Innersten zusammenhält. Und es ist deshalb so fatal, dass uns das reine Lachen, das kindlich unschuldige Lachen, das von jeder Bitternis und jedem Zynismus freie Lachen abhandengekommen ist. Bis hinein in die höchsten Höhen der Weltpolitik und in die Reihen der Weltenlenker.

Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.
Ist er endgültig übergeschnappt?, mag sich jetzt der eine oder die andere denken. Aber ich meine das ganz ernst. Humor, das Lachen, das Komische sind der Klebstoff einer Gesellschaft, eines Gemeinwesens, letztlich der Weltgemeinschaft. Natürlich hat das Lachen auch eine subversive Kraft, weshalb es in autokratischen Systemen, auch in Kirchen und Religionen seit jeher gefürchtet und auch unterdrückt wird. "Der Name der Rose" von Umberto Eco handelt auf brillante Weise davon. Aber ohne Lachen verkümmern der Mensch und die Zivilisation. Timm Thaler, mit Tommy Ohrner in der Rolle seines Lebens, hatte keine gute Wette abgeschlossen, als er sein Lachen in einem faustischen Pakt verkauft hat.
Es lohnt sich, bei Politikern, Staats- und Regierungschefs ein Augenmerk zu richten darauf, ob sie herzhaft und befreit lachen können. Der Befund: Da ist etwas verloren gegangen, und es gibt eine unselige Korrelation zwischen problematischen Figuren des Weltgeschehens und ihrer Fähigkeit zu lachen.
Haben Sie Donald Trump jemals lachen sehen wie einen Barack Obama? Okay, er verzieht sein Gesicht manchmal zu einer Grimasse, die wohl ein Lachen sein soll. Aber dieser eingefrorene Gesichtsausdruck sieht eher aus wie das aufgemalte Grinsen des Jokers als böser Gegenspieler von Batman. Ist von Tayipp Recep Erdoğan, dem Diktator vom Bosporus, irgendein Bildnachweis vorhanden, dass er in den letzten 15 Jahren einmal öffentlich gelacht hätte?
Viktor Orbán? Oder der Kriegstreiber Wladimir Putin: Ja, manchmal umspielt ein mokanter Zug seine Lippen, aber das ist kein Lachen, das von Herzen kommt. Das ist ein maliziöses Irgendwas, das eher aus der Galle kommt, das mit Humor, Komik und Lachen so viel zu tun hat wie Zynismus. Der wiederum ist der böse, der vor lauter Bitternis schlecht gewordene Bruder des Humors. Der Kain zum Abel.
Liebenswerter Humor? Fehlanzeige
Im Netz und den sozialen Medien das Gleiche: Häme, Zynismus, Schmähungen, die witzig sein sollen, es aber selten sind. Fast nie liebenswerter Humor, der so leicht viele Konflikte in einem gemeinsamen Lachen aufheben kann. Oder könnte. Lachen löst. Denjenigen, der anfängt, und diejenigen, die dann animiert mitmachen.
Das hat schon politisches Packeis gebrochen. Kofi Annan, früherer UN-Generalsekretär, mit einem eleganten Humor ausgestattet, den er gezielt einsetzte. Einmal soll er bei einer extrem schwierigen Friedensverhandlung nach Darstellung von Ohrenzeugen gesagt haben, wenn man schon keinen Frieden fände, dann fände man wenigstens einen Grund, weiter zusammenzusitzen. Das lockerte die Atmosphäre auf und machte verfeindete Delegierte wieder gesprächsbereit. Queen Elizabeth II. war berühmt für ihren unwiderstehlich trockenen Humor. Und ich könnte wetten, ohne es beweisen zu können, dass Jean-Claude Juncker, damals EU-Ratspräsident und von großem Witz, Donald Trump in dessen erster Amtszeit mit humorvoller Raffinesse davon abbrachte, die nun verheerend wirkenden Schutzzölle schon seinerzeit einzuführen.
Hinweise auf Humorexistenz
Hierzulande, muss man sagen, haben das Lachen und der Sinn fürs Komische im Politischen noch ein relatives Refugium. Gerhard Schröder lachte zu Amtszeiten für sein Leben gern, schmiss sich bei einem Witz meistens schon weg vor Lachen, bevor die Pointe kam. Angela Merkel verfügte (und verfügt sicher immer noch) über einen feinen Witz und eine Freude daran, wenn ihn andere mit ihr teilen. Einmal, ich habe die Szene schon mal beschrieben, hat sie ihrem Regierungssprecher im Flugzeug davon erzählt, dass sie sich am Wochenende einen DVD-Player und Louis-de-Funès-Filme gekauft habe. Um verhaltensauffällige Franzosen zu studieren und zu verstehen (damals hatte sie es mit Sarkozy zu tun). Ist das nicht liebenswert komisch?
Olaf Scholz bekam und bekommt beim Lachen Sehschlitze als Augen, ein Lachen, das Markus Söder (auch humorfähig) so treffend als "schlumpfig" bezeichnet hat. Und auch bei Friedrich Merz sind mir im Zuge punktuell teilnehmender Beobachtung Indizien von Humorexistenz aufgefallen. So jedenfalls hat er dreingeschaut, als t-online-Chefredakteur Florian Harms und ich unser großes t-online-Interview im Bundestagswahlkampf mit einem Asterix-Exkurs begonnen haben. Ich finde, das sieht bei allem Ernst der Sache nach Freude am Komischen aus.
Man könnte einwenden: Gibt ja auch nicht viel zu lachen in diesen Zeiten. Kriegsgefahr, Klimawandel, Absturz der Weltwirtschaft. Alles existenzielle Gefahren. Das stimmt. In dieser Lage ist es, zugegeben, schwer bis unmöglich, im Stile eines Brian, der Jesus-Figur der genial komischen Monty Python's, noch am Kreuz singend auf die strahlend schönen Seiten des Lebens zu blicken.
Die Frage ist nur: Was kommt wovon? Was ist Ursache und was Wirkung? Ist das Lachen aus der Welt verschwunden, weil es nicht mehr viel zu lachen gibt? Oder ist die Welt so geworden, weil die stärkste Macht der Welt, das Lachen und das Komische, aus ihr verdrängt wurde?
Dazu auf der Zielgeraden noch einmal ausführlich der Nobelpreisträger Bergson in einer Schlüsselpassage seines Aufsatzes: "Versuchen Sie nur einmal", schreibt er, "an allem, was gesagt und getan wird, Anteil zu nehmen (…), und Sie werden sehen, wie die gewichtslosesten Dinge wie unter Berührung eines Zauberstabs gewichtig werden, wie alles sich düster färbt." Und dann fährt er fort: "Stellen Sie sich nun abseits, betrachten das Leben als unbeteiligter Zuschauer – und manches Drama verwandelt sich in eine Komödie."
Das hat Bergson geschrieben, gute hundert Jahre bevor es dazu kam, dass das digitale Habitat uns alle, vom einfachen Staatsbürger bis zum Weltenlenker, permanent triggert und kirre macht. Umso wertvoller ist sein Hinweis heute. Der Teufelskreis des Traurigen und Tragischen ist nur zu durchbrechen, wenn man dem Lachen und dem Humor wieder ihren Platz in unserem Leben zurückgibt.
So. Und jetzt, wenn Sie es nicht schon die ganze Zeit glucksend getan haben, können Sie gerne lachen. Mit mir lachen, über mich lachen, auf meine Kosten lachen, mich auslachen. Alles ist erlaubt. Hauptsache, Ihr Lachen ist heiter und nicht hämisch. Nur dann tut es gut. Ihnen und der ganzen Welt.
- Henri Bergsons "Das Lachen", eigene Überlegungen