Internationale Pressestimmen "Merz löscht das Erbe Angela Merkels aus"
Deutschland ist in Aufruhr, weil die Union unter Friedrich Merz erstmals rechte Stimmen für politische Vorhaben nutzt. Doch auch aus dem Ausland kommen Kritik und Besorgnis.
Es war ein historischer Tag im deutschen Parlament: Trotz anderweitiger Versprechen hat die CDU unter Kanzlerkandidat Friedrich Merz Stimmen der extremen Rechten in Kauf genommen, um einen Fünfpunkteplan in der Migrationspolitik durchzubringen. Der Antrag hat keine rechtlichen Folgen, schlägt aber trotzdem hohe Wellen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sowie Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag, sprachen von einer "Zäsur". Die Reaktionen aus dem Ausland sind deutlich.
"Merz riskiert viel"
Der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" zufolge geht Unionsfraktionschef Friedrich Merz mit seinem Vorgehen in der deutschen Debatte über die Migrationspolitik ein beträchtliches Risiko ein. Weiter schreibt die Zeitung, dass Deutschland sich an die Regeln der Europäischen Union halten und sich korrekter verhalten müsse als "Viktor Orbán in Ungarn".
Weiter wird darauf hingewiesen, dass Merz eine Koalition mit der AfD ausschließe, eine Mehrheit mit der FDP nach der Bundestagswahl aber unwahrscheinlich sei. "Die Chance ist groß, dass Merz eine Lösung vorschlägt, die er gar nicht umsetzen kann", heißt es.
Abschließend warnt "Die Presse" vor möglichen Gradwendungen: "Außer Merz macht es wie die Österreicher und reißt die Brandmauer nach Rechtsaußen doch noch ein. Dann hätte Europa seine politische Mitte verloren."
"Dieser Tag wird als traurig in die Geschichte eingehen"
Die italienische Zeitung "La Repubblica" schreibt in Reaktion auf die deutsche Abstimmung vom Mittwoch, dass die CDU unter der Führung von Friedrich Merz den "cordon sanitaire" gegenüber der AfD durchbrochen habe. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Seuchenbekämpfung, beschreibt aber seit Jahrzehnten die in Europa lang verbreitete Praxis, insbesondere rechtsextreme und populistische Parteien zu isolieren und eine Zusammenarbeit zu vermeiden.
Weiter schreibt die italienische Zeitung, dass der von Merz vorgelegte Antrag zur Eindämmung der Einwanderung "offen gegen die europäischen Regeln" verstoße. Damit, so der Kommentar, sei ein Tabu gebrochen – "und löscht das gesündeste Erbe aus der langen Ära Angela Merkels aus". Merkel ihrerseits hatte stets an ihrem Prinzip "Niemals mit der AfD" festgehalten. "Dieser Tag wird traurig in die Geschichte eingehen", so das Fazit. Am Donnerstag kritisierte Merkel Merz für sein Manöver scharf.
"Ein kolossaler Fehler"
Der schweizerische "Tages-Anzeiger" spricht im Hinblick auf die Abstimmung im Bundestag am gestrigen Tag von einem "kolossalen Fehler" des Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz. Die Brandmauer der demokratischen Mitte, die die Politik vor der in Teilen verfassungsfeindlichen AfD schützen solle, sei zwar noch nicht gänzlich eingestürzt, "ein paar Ziegel würden ihr jedoch schon fehlen".
Da Merz eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen und selbst gesagt hatte, dass so ein Bündnis seine Partei "zerstören" würde, stoßen die "markigen Ansagen zur Migration kurz vor der Wahl" in der Beurteilung der Schweizer Zeitung auf Unverständnis. Auch wenn Deutschland eine strengere Asyl- und Migrationspolitik brauche, könne man von einer "staatstragenden Partei wie den Christdemokraten" bessere Vorschläge erwarten als "radikale Ansagen wie 'Grenzen zu' und 'Ausländer raus'". Solche Parolen reihten sich eher in den rechts- und menschenverachtenden Populismus der AfD ein.
Mit der gestrigen Abstimmung, so der "Tages-Anzeiger", gebe Merz der AfD-Kandidatin Weidel recht, die sage: "Eine echte Asylwende gibt es nur mit der AfD."
Brandmauer faktisch eingerissen
Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" sieht einen "symbolträchtigen Antrag", der einen Bruch mit dem in Deutschland und der EU geltenden Asylrecht darstelle. Weiter schreibt die Zeitung, dass mit der Entscheidung, die Abstimmung im Parlament auf diese Weise zuzulassen, die Brandmauer, die "eine Zusammenarbeit mit Parteien, die den Rechtsstaat nicht respektieren", verhindern sollte, faktisch eingerissen worden sei.
Nicht mehr Merkels CDU
Die portugiesische Zeitung "Público" schreibt von einem "historischen Tag". Die Tatsache, dass sich die CDU der Stimmen der AfD bedient habe, zeige, dass die Partei nichts mehr mit der CDU von Altkanzlerin Angela Merkel zu tun habe – jener Kanzlerin, die einst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung 2015 sagte: "Wir schaffen das." Mittlerweile näherten sich die Positionen der CDU in Fragen der Flüchtlingspolitik denen der AfD an, so der Kommentator.
Die jüngsten Ereignisse seien zudem ein Zeugnis einer gescheiterten Einwanderungspolitik der politischen Mitte, die "Unfähigkeit und Unvorbereitetheit an den Tag gelegt" habe – etwas, das ein Thema von solcher Bedeutung nicht verdient habe.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa