Konstituierende Rede Gysi fordert: Merz soll sich beim Osten entschuldigen

Der neue Bundestag hat sich konstituiert. Alterspräsident Gregor Gysi hielt die Eröffnungsrede und mahnte zu Respekt.
Als Alterspräsident des Bundestags hat der Linken-Politiker Gregor Gysi alle Abgeordnete aufgefordert, den jeweils anderen Standpunkt zu respektieren. Zugleich appellierte Gysi an die Mitglieder des Bundestags, einfacher und bürgernäher zu sprechen. "Im Übrigen müssen wir alle ehrlicher werden", forderte der 77-Jährige.
Gysi begann seine Rede zur Konstituierung des Bundestags mit der Friedenspolitik. Politiker, die auf Rüstung und Abschreckung setzten, dürften nicht als "Kriegstreiber" bezeichnet werden, mahnte er. Andererseits seien Menschen wie er selbst, die auf Diplomatie und eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa einschließlich Russlands setzten, keine "Putin-Knechte".
"Es gibt also unterschiedliche Auffassungen, wie man zum Frieden gelangt", sagte Gysi. "Wir müssen einfach lernen zu respektieren, dass es diese Unterschiede gibt. Wenn wir mehr Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung erreichen wollen, sollten wir in unserer Sprache das Maß wahren, nicht immer bei Menschen mit anderer Auffassung das Übelste unterstellen."
Gysi schlägt neue Beratungsgremien vor
Gysi sprach sich zudem für die Einrichtung "überparteilicher Gremien" beim Parlament aus, um Lösungsvorschläge für wichtige Politikfelder zu erarbeiten. Dort könnten offen, ehrlich und ohne Öffentlichkeit bestimmte Fragen erörtert werden, sagte der Linke-Politiker in seiner Ansprache zur Eröffnung der Wahlperiode.
Als Themen für solche Gremien nannte Gysi eine sichere künftige Rente, Fragen der Steuergerechtigkeit, die Finanzierung des Gesundheitswesens und eine Reform für weniger Bürokratie.
Gysi bat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein Gremium einzusetzen, das sich mit der Sicherung von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzen soll. Dort könnten Parlamentarier aller Ebenen, Kirchen, Gewerkschaften und weitere gesellschaftliche Gruppen vertreten sein. Es müsse gelingen, "im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Grundfesten unseres Grundgesetzes für alle Zeiten zu sichern".
Bundeskanzler soll sich beim Osten entschuldigen
Er forderte zudem den nächsten Bundeskanzler auf, sich bei den Ostdeutschen für Fehler bei der Deutschen Einheit zu entschuldigen. "Das gäbe einen wirklichen Ruck bei der Herstellung der inneren Einheit", sagte Gysi bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags.
"Übernommen hat man aus der DDR nur das Sandmännchen, das Ampelmännchen und den grünen Abbiegepfeil", sagte Gysi. "Damit sagte man aber den Ostdeutschen, dass sie außer diesen drei Punkten nichts geleistet hätten." Dabei sei die DDR etwa bei der Gleichstellung der Geschlechter und bei Kindertageseinrichtungen deutlich weiter als die alte Bundesrepublik.
"Wäre das andere übernommen worden, hätte die ostdeutsche Bevölkerung nicht ein solches Gefühl der Demütigung entwickelt", sagte Gysi.
Gysi gehört dem Bundestag am längsten an
Der 77-jährige Gysi ist Alterspräsident, weil er dem Bundestag mit mehr als 30 Dienstjahren am längsten angehört – mit einer Unterbrechung ist er seit der Deutschen Einheit 1990 Abgeordneter. Die AfD scheiterte zu Beginn der Sitzung mit dem Antrag, wie bis 2017 üblich, solle der an Jahren älteste Abgeordnete und damit ihr Mitglied Alexander Gauland Alterspräsident sein.
Gysi, zu DDR-Zeiten prominenter Anwalt, wurde während des Umbruchs in Ostberlin Ende 1989 letzter Vorsitzender der Staatspartei SED. Daraus wurde die PDS und später die Linke.
- Nachrichtenagentur dpa