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Weidel-Musk-Talk in der Analyse: Desinformation de luxe


Livetalk mit Weidel und Musk
In diesem Moment war für Weidel nichts mehr zu holen


Aktualisiert am 10.01.2025 - 02:32 UhrLesedauer: 8 Min.
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Der Tech-Milliardär erklärte die AfD zur Rettung Deutschlands, während Weidel die Bühne nutzte, um Falschbehauptungen aufzustellen. (Quelle: reuters)
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Alice Weidel und Elon Musk diskutierten über Hitler, Marsflüge und den lieben Gott. Gleich zwei wichtige Ziele erreichte die AfD-Chefin dank der Werbeveranstaltung: Reichweite und Desinformation. Eine Analyse.

Es dürfte schon jetzt die umstrittenste Veranstaltung dieses Wahlkampfs gewesen sein: Am Donnerstagabend traf AfD-Chefin Alice Weidel in einem Livetalk auf der Plattform X auf Tech-Milliardär Elon Musk. Es war der Höhepunkt einer seit Wochen andauernden Werbekampagne von Trump-Berater Musk für die in weiten Teilen rechtsextreme AfD.

Dabei ging es um Hitler, Marsflüge und den lieben Gott; es wurde oft gelacht und noch öfter gelogen. Die Höhepunkte des Gesprächs:

Der Umgang miteinander: Ein Herz und eine Seele

Keine Konflikte, fast keine unterschiedlichen Ansichten: Musk und Weidel waren während des Talks ein Herz und eine Seele. Bei den meisten Themen waren sie sich einig, oft stimmte Weidel Musk mit einem "Ja" zu. Auch dem Tech-Milliardär fiel das offenbar auf: "Ja. Ja. Ja", kommentierte er an einer Stelle. Ob amüsiert, erfreut oder gelangweilt? Fraglich. Die AfD-Chefin hingegen schien bester Laune: Sie lachte immer wieder laut auf.

Ein kleiner Widerspruch: Die Solarenergie

Bei einem Thema machten sich dann doch Unterschiede bemerkbar, zumindest ein wenig. Weidel bezeichnete die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als "erste grüne Kanzlerin", die Atomkraftwerke abgeschaltet habe, um allein Solar- und Windenergie zu fördern. Für die AfD ist die "grüne Transformationspolitik" eines ihrer größten Feindbilder.

Musk unterbrach sie: Er sei ein "großer Fan" der Solarenergie. Schnell aber waren sich die beiden wieder einig, lobten die Vorzüge der Atomenergie und betonten, dass es ein Fehler sei, nur auf Solarenergie zu setzen.

Weidels Englisch: Gut – mit kleinen Aussetzern

Vor dem Talk schien Weidel selbst recht aufgeregt. Sie werde "mit jemandem vor Millionenpublikum (sprechen), den ich gar nicht kenne, in einer Fremdsprache, die ich lange nicht mehr aktiv gesprochen habe", sagte sie am Mittwoch in einem Interview mit dem Medium "Stattzeitung". Zehn Jahre sei es her, dass Englisch ihre Berufssprache gewesen sei.

Dafür lief es im Talk mit Musk ganz gut. Zwar kam Weidel gleich zu Anfang ins Straucheln – als Musk sie bat, ihre Partei kurz vorzustellen, hatte sie Wortfindungsschwierigkeiten. Später fiel ihr das englische Wort für "verstaatlichen" nicht ein. Kurz fragte sie bei jemandem nach, der mit ihr im Raum saß. Doch sie verhaspelte sich kaum und sprach ohne starken deutschen Akzent, über den bei anderen Politikern rasch gespottet wird.

Die größte Lüge: Hitler als Linker

AfD-Chefin Alice Weidel benutzte das reichweitenstarke, internationale Forum für harte Geschichtsklitterung: Sie behauptete wiederholt, die Nazis und Hitler seien links gewesen. "Nationalsozialisten, wie das Wort schon sagt, waren Sozialisten", so Weidel. Hitler sei "Kommunist" gewesen, er habe sich selbst als "Sozialist" gesehen. Die AfD sei das "genaue Gegenteil" davon, eine "libertäre und konservative" Partei.

Hitler, ein Linker? Es ist eine Lüge, die Rechte und Rechtsextreme immer wieder verbreiten. Das Ziel: Die eigene Ideologie reinwaschen und den politischen Gegner diskreditieren, indem man sie mit den Nationalsozialisten in eine Ecke stellt. Kern der nationalsozialistischen Ideologie allerdings waren klar rechtsextreme Elemente wie Rassismus und Ungleichwertigkeit. Sie waren die Basis für die Politik der Nazis, die bis zur vollständigen Entrechtung von und schließlich zum Massenmord an Gruppen wie Juden, Sinti und Roma sowie Behinderten führte. Die politische Linke hingegen verfolgt das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen.

Eine Hierarchisierung und teilweise Entrechtung nach Herkunft oder Genen schwebt in der AfD vielen vor – im Gegensatz zu konservativen Parteien. Zuletzt forderte der Brandenburger AfD-Landesverband im Ost-Wahlkampf ein pauschales Betretungsverbot für Flüchtlinge bei öffentlichen Veranstaltungen, die Brandenburger AfD-Politikerin Lena Kotre wollte die Herkunft von Flüchtlingen per DNA-Test bestimmen und sie in diese Regionen abschieben. Immer wieder fallen AfD-Funktionäre außerdem dadurch auf, dass sie NS-Sprache oder NS-Kennzeichen verwenden. Ein prominentes, aber bei Weitem nicht das einzige Beispiel: der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der eine Anklage vor Gericht für den Versuch nutzte, den SA-Spruch "Alles für Deutschland" wieder breit zu rehabilitieren – zum Teil mit Erfolg.

Das größte Problem: Konsequente Desinformation

Und es blieb nicht bei der Hitler-Lüge: Musk und vor allem Weidel nutzten den Talk immer wieder, um Desinformationen zu verbreiten. Nur zwei Beispiele: Der Talk lief auf Musks Plattform X unter der Überschrift "Gespräch mit der Spitzenkandidatin für die deutsche Regierung", die während der gesamten Dauer prominent eingeblendet blieb. Weidel aber hat keinerlei Aussicht darauf, zu regieren – keine andere Partei will mit ihrer in weiten Teilen rechtsextremen AfD koalieren.

Im Gespräch über deutsche Bildungspolitik behauptete Weidel dann, Kinder in Schulen hierzulande würden "nichts mehr" beziehungsweise "nur noch etwas über Gender Studies" lernen. Kein Mathe, Deutsch und Naturwissenschaften mehr an deutschen Schulen also? Stimmt natürlich nicht, Musk aber griff den Ball dankbar auf, um auf ein Steckenpferd der rechten Szene zu sprechen zu kommen. "Das 'Woke Mind'-Virus hat Deutschland ziemlich stark befallen", behauptete er.

Die größte Gemeinsamkeit: Meinungsfreiheit

Weidel wie Musk betonten die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine funktionierende Demokratie. Hier schienen sie noch mehr als bei allen anderen Themen ein Herz und eine Seele zu sein. Das galt insbesondere für ihre Verallgemeinerungen, Zuspitzungen und Wut auf eine angebliche "linksextreme Agenda", welche die westlichen Zivilisationen laut Musk heimsuchen würde.

Weidel behauptete etwa, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland und Europa durch Verordnungen wie den "Digital Services Act" (DSA) systematisch eingeschränkt werde, den sie als "nichts anderes als ein Zensurwerkzeug" bezeichnete. Musk unterstützte als Besitzer der Plattform X, der sich an die Gesetze der Europäischen Union halten muss, Weidels Sichtweise und fügte hinzu, dass jede Einschränkung der Meinungsfreiheit einen ganz klar erkennen lasse, wer "die Bösen" seien.

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Das war zugleich der Moment, in dem Weidel zum ersten Mal Adolf Hitler erwähnte. Die Abschaffung der Meinungsfreiheit – wie sie unter Adolf Hitler praktiziert wurde – sei der erste Schritt hin zu autoritären Regimen. Weidel sagte wörtlich: "Weißt du, was Adolf Hitler getan hat? Das Erste, was er gemacht hat, war, die Meinungsfreiheit abzuschaffen. Er kontrollierte die Medien, und ohne das wäre er niemals erfolgreich gewesen."

Der DSA allerdings ist kein Zensurgesetz, das in irgendeiner Form mit Hitlers Gleichschaltung vergleichbar wäre. Zwar könnte seine Umsetzung in Einzelfällen unbeabsichtigt zensurähnliche Folgen haben, etwa wenn Social-Media-Plattformen bei ihrer Moderation übervorsichtig handeln. Aber selbst dann würde es sich nicht um direkte staatliche Zensur handeln. Ziel des DSA ist es, Nutzer vor illegalem Verhalten zu schützen. Skepsis gegenüber möglichem Missbrauch ist berechtigt, aber es greift zu kurz, den DSA pauschal als "Zensur" zu bezeichnen. Es geht nicht um neue Einschränkungen der Meinungsäußerung und schon gar nicht um Gleichschaltung.

Weidels größte Schwäche: der Nahostkonflikt

Beim Thema Naher Osten zeigte die AfD-Chefin Schwächen. Weidel räumte ein, dass sie unsicher sei in Bezug auf Lösungen für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Situation beschrieb sie als "zu komplex", um klare Antworten geben zu können. Sie habe sich die geografische Situation vor Ort nach Ausbruch des Krieges "auf Google Maps" angesehen. Dabei sei klar erkennbar gewesen, dass der Gazastreifen "einfach abgesperrt ist, ohne Ressourcen und nicht einmal Wasserversorgung".

Musk hingegen wurde konkret: Der Tech-Milliardär schlug einen klaren Drei-Schritte-Ansatz vor, der die Beseitigung der Hamas, die Verbesserung der palästinensischen Bildung und die Förderung des wirtschaftlichen Wohlstands in der Region umfasst.

Die AfD-Chefin zeigt bei außenpolitischen Themen oft Schwächen, auch im Duell mit BSW-Chefin Sahra Wagenknecht machte sich das bereits bemerkbar. Für das Themenfeld ist an der AfD-Spitze Weidels Co-Chef Tino Chrupalla zuständig. Mit Blick auf die internationalen Krisenherde dieser Welt könnte das für Weidel in diesem Wahlkampf zum Problem werden.

Die größte Leerstelle: Kein Wort zu Putin

Alice Weidel sprach immer wieder den Krieg in der Ukraine an. Aber nicht Putin wurde als Grund für Hunderttausende Tote genannt. Der Name des russischen Aggressors fiel kein einziges Mal. Vielmehr waren sich Weidel und Musk darin einig, dass die Politik der westlichen Regierungen schuld sei. Die AfD-Politikerin sagte: "In dieser kritischen Phase dieses schrecklichen Krieges in der Ukraine könnten viele Menschen aufgrund dieser dummen Politik sterben." Musk pflichtete ihr bei: "Deswegen sind schon viele Menschen gestorben."

Weidel erkundigte sich bei Musk immer wieder danach, wie, wann und ob "seine Regierung" den Krieg beenden würde. Der Tech-Milliardär, der einen inoffiziellen Regierungsposten unter Trump bekommen soll, wollte aber nicht für den kommenden US-Präsidenten sprechen. Musk sagte lediglich: "Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen wird."

Der ehrlichste Moment: Auf der Suche nach Gott

Am Ende des Talks stellte die AfD-Chefin Musk die Frage: "Glaubst du an Gott?" Musk, der sonst um klare Antworten nicht verlegen ist, gab offen zu, es nicht zu wissen. Zwar nehme er wegen der Erschaffung des Universums an, dass es "ein Wesen gibt, das man Gott nennen könnte". Ob es aber ein Wesen gibt, das die Handlungen der Menschen täglich beobachtet und ein moralisches Urteil darüber fällt, daran zweifelt Musk. "Das scheint nicht der Fall zu sein, denn es passieren zumindest einige sehr böse Dinge auf der Welt", sagte er. Er sei jedoch offen, dazuzulernen.

Ihr gehe es ebenso, sagte Weidel. "Ich bin immer noch auf der Suche. Ich weiß nicht, woran ich glauben soll."

Der humorvollste Moment: Die deutsche Bürokratie

Als Alice Weidel darüber klagte, wie schwer es in Deutschland sei, Geschäftsgenehmigungen zu bekommen, wurde heftig gelacht. Elon Musk beschrieb bildstark, welchen Aufwand es bedeutet habe, die Genehmigung für sein Tesla-Werk vor den Toren Berlins in Brandenburg zu bekommen. "25.000 Seiten Papier, nicht digital", sagte Musk. Dazu seien auch noch mehrere Kopien gekommen. Die Bilanz: eine ganze Lkw-Ladung an Papier.

Den Beamten wollte Musk explizit keinen Vorwurf machen. "Die befolgen einfach die Gesetze", sagte er. Aber die, so Weidel und der Tech-Milliardär, müssten eben dringend geändert werden. Unter Donald Trump soll Musk in wenigen Wochen die Leitung einer beratenden Kommission außerhalb der Regierung übernehmen. Deren Hauptaufgabe: Verkleinerung der Bundesverwaltung und Deregulierung.

Der peinlichste Moment: Elon, deine Visionen

Im letzten Teil ihres Talks driftete Elon Musk ins Universum ab. Gelenkt von Weidels Frage, wann er denn endlich auf den Mars fliegen werde, sagte er: "In zwei Jahren". Weidel entfuhr in dieser Phase immer wieder ein "Wow". Sie wirkte so wie eine Schülerin im Physik-Unterricht, die ihren Lehrer anschmachtet. Doch weil Musk kein Ende finden wollte, brach Weidel das Gespräch am Ende ab. Politisch war für sie da nichts mehr zu holen.

Weidels Worte zum Abschluss kamen einer Huldigung gleich: "Es war unglaublich interessant, deinen Visionen zuzuhören." Um dann um Worte zu ringen: "Es ist eine unglaubliche Vision für...für...für jeden von uns!" Musks Eitelkeit förderte daraufhin noch diese Antwort zutage: "Ja, ich denke, dass ich eine Philosophie und Neugier besitze."

Fazit: Werbung und Geschichtsklitterung deluxe

Für Weidel war der Talk mit Musk ein Traum: Rund 200.000 Zuschauer weltweit verfolgten das Gespräch direkt auf Musks Plattform X, im Anschluss folgten Hunderte von Meldungen in anderen Medien. Mehr Gratis-Werbung geht nicht.

Diese Plattform nutzten Weidel wie Musk außerdem intensiv, um rechte Ideologie zu propagieren. Die Geschichtsklitterung, Hitler fälschlicherweise als Linken zu verkaufen, dürfte Weidel sich gezielt vorgenommen haben – und setzte sie mit Erfolg um: Dutzende Medien nahmen ihr Zitat später uneingeordnet in die Überschrift.

Inhaltlich lieferten die beiden dabei insgesamt wenig Neues, streckenweise wurde das Gespräch arg langatmig. Musk wirkte wacher, setzte die Themen, Weidel reagierte häufiger einfach nur auf ihn.

Verwendete Quellen
  • Livetalk mit Musk und Weidel auf X
  • Eigene Beobachtungen
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