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Ampel-Aus: Danke, Christian Lindner


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Der provozierte Rausschmiss
Danke, Christian Lindner

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 12.11.2024 - 13:02 UhrLesedauer: 5 Min.
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Entlassener Finanzminister Christian Lindner: Er hat mit einer regierungsunfähigen Regierung Schluss gemacht. (Quelle: Chris Emil Janssen/imago-images-bilder)

Olaf Scholz hat ihn rüde hinausgeschmissen. Oder hat Christian Lindner seinen Rausschmiss bewusst provoziert? Beides stimmt. Konsequenz ist die Neuwahl. Und das ist gut so.

Wenn Sie meine Kolumnen hier bei t-online schon öfter gelesen haben, erinnern Sie sich vielleicht, dass ich mit Christian Lindner und der FDP sehr kritisch ins Gericht gegangen bin. Als Lindner Anfang dieses Jahres zum ersten Mal die "Wirtschaftswende" propagierte, an der in der vergangenen Woche die Regierung gescheitert ist, stufte ich das als "mäkelnde Forderung unter vielen im langwierigen Beziehungskrieg der Ampelpartner" ein. In einem anderen Beitrag hielt ich der FDP vor, dass sie den politischen Liberalismus, eine ihrer geistesgeschichtlichen Wurzeln, vernachlässigt. Sie komme jetzt ganz als Lobbyorganisation von Unternehmern und reichen Erben daher.

Eine "Wachstumsinitiative" sollte im Sommer die Wirtschaftswende konkretisieren. Lindner warf sich in Pose und behauptete, dieses Programm werde Deutschland aus der Rezession helfen. Mein Urteil lautete: Nein, das ist nur ein 31 Seiten langer Wunschzettel, der kein Problem löst. Und als die inzwischen in Panik geratenen Liberalen kurz vor den Wahlen im Osten seltsame Forderungen aufstellten, zum Beispiel kostenloses oder günstiges Flatrate-Parken in der Innenstadt, stand über meiner Kolumne der Titel: "Hat die FDP den Verstand verloren?"

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Also, ich gehöre nicht zum engeren Kreis der Friends of Christian. Nach den turbulenten Tagen des Koalitionsbruchs sehe ich allerdings Anlass, mein Urteil über Christian Lindner zu revidieren. Oder besser: den Lindner des Herbstes 2024 neu und anders zu beurteilen als den Ampelmann der vergangenen drei Jahre. Sowohl politisch als auch persönlich.

Schluss mit einer regierungsunfähigen Regierung

Zunächst politisch. Ich formuliere es einmal pathetisch: Deutschland ist Christian Lindner einen Dank schuldig. Weil er mit einer regierungsunfähigen Regierung Schluss gemacht hat. Doch, er war's, auch wenn Lindner selbst darauf beharrt, dass es Scholz war. Der hat ihn schließlich rausgeschmissen. Aber Lindner hat diesen Rausschmiss provoziert. Wenige Tage vor den entscheidenden Haushaltsberatungen der Koalition schickte er Scholz und Habeck ein 18 Seiten langes Papier, in dem er seine Wirtschaftswende auf den Punkt brachte. Genauer: auf drei Punkte.

Lindner forderte Einschnitte beim Bürgergeld, bei der Rente und andere Sparmaßnahmen im Sozialetat. Olaf Scholz hatte sich aber im Bundestag und auf dem SPD-Parteitag persönlich dafür verbürgt, dass es mit ihm als Kanzler keinen Sozialabbau geben werde. Von Habeck verlangte Lindner einen radikalen Kurswechsel beim Klimaschutz. Natürlich war ihm klar, dass der grüne Klimaminister in dieser Frage so wenig kompromissfähig war wie Scholz im Sozialen. Obendrein sollten sich die Partner mit der Schuldenbremse, die inzwischen zum Markenkern der Liberalen wurde, endlich abfinden.

In diesem Papier zeigte Lindner die Sollbruchstellen der rot-gelb-grünen Regierung auf. Der Finanzminister und FDP-Chef wollte offenkundig raus aus der Koalition. Nur die Details – Weg und Zeitplan – waren noch offen. Angesichts der Wirtschaftskrise, in der Deutschland steckt, angesichts der internationalen Herausforderungen von Trump bis Nahost, angesichts der internen Lähmung der Ampel war diese Grundentscheidung richtig. Geradezu eine Erlösung.

Eine Abrechnung vom Teleprompter abgelesen

Für Olaf Scholz war es Verrat. Sie haben sein Statement gesehen und gehört, nachdem es am Mittwochabend zum endgültigen Bruch gekommen war: Der Abkanzler nannte Lindner kleinkariert, egoistisch, verantwortungslos. Kompromisse habe er immer wieder "sachfremd" blockiert, ihm sei es nicht um das Land gegangen, sondern nur um die eigene Klientel. Wenn Sie mit Ihrem Chef drei Jahre lang eng zusammengearbeitet haben, wenn Sie gemeinsam Krisen durchlebt haben, wenn Sie sich gegen Angriffe von außen wehren mussten – und wenn unterschiedliche Auffassungen am Ende doch zur Trennung führen, wünschen Sie sich dann einen Chef wie Scholz, der Sie vor aller Öffentlichkeit niedermacht?

Das war übrigens keine Wutrede, aus der Emotion des Augenblicks heraus. Der Kanzler hat die 14 Minuten lange Abrechnung vom Teleprompter abgelesen, Wort für Wort. Das heißt: Dieser Text war vorbereitet, von langer Hand. Wem eine solche Behandlung widerfährt, der genießt meine spontane Solidarität, egal in welcher Partei er ist. Auch wenn er Christian Lindner heißt und selbst nicht gerade zum demütigen Auftritt neigt.

Der Lindner der vergangenen Tage vertrat die liberale Sache allerdings politisch klar, im Ton angemessen. Und hinter der Maske des Politikers war der Mensch zu erkennen. Am Abend, unmittelbar nach der Scholz-Philippika, wirkte er angefasst, betroffen. Am Tag danach unterdrückte er die Tränen, als er in einer Pressekonferenz nach seinen Emotionen und nach Volker Wissing gefragt wurde, der ihm als Weggefährte in den Turbulenzen abhandengekommen ist.

Musste das wirklich sein?

Weder politisch noch habituell haben Christian Lindner und Ricarda Lang viel gemein. Aber es gibt eine aufschlussreiche Parallele: Nach ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz sagte die Grüne selbstkritisch, sie habe immer versucht, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, so ernsthaft, glatt und perfekt wie möglich zu sein. Im Rückblick frage sie sich, warum sie als Spitzenpolitikerin nicht freier und klarer gesprochen hat. Lindner sagte jetzt, es habe ihn betroffen gemacht und er habe menschlich darunter gelitten, dass er als Partner der Ampelkoalition öffentlich sehr oft nicht sagen konnte, was er für richtig hielt.

Die Zyniker in den Medien sind schnell mit ihrem Urteil zur Stelle: alles nur Theater, da bettelt einer um Mitgefühl. Das stimmt nicht. In Krisen wie in der vergangenen Woche fallen die Fassaden des politischen Betriebs; dahinter wird eine Welt sichtbar, in der Partnerschaft und Feindschaft nah beieinanderliegen, in der Freundschaft allenfalls zweckgebunden und immer mit einem Ablaufdatum versehen ist. Je höher das Amt, desto eiserner wird Disziplin gefordert, bis hin zur Selbstverleugnung.

Als der Bundespräsident den drei FDP-Ministern ihre Entlassungsurkunden überreichte und Wissing seine Ernennungsurkunde, jetzt auch noch zum Justizminister, verlangte das Protokoll von den Protagonisten, sich zum "Familienfoto" aufzustellen. Schauerlich. Der versteinerte Scholz, der um Fassung ringende Lindner, der verunsicherte Wissing, die Kälte der ganzen Szenerie: Musste das wirklich sein?

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Was wird aus Lindner und seiner Partei?

Zurück zu Lindner. Was wird aus ihm und seiner Partei? Haben die Liberalen bei der Neuwahl eine Chance, wieder in den Bundestag zu kommen? In den vergangenen Monaten war ich sehr skeptisch angesichts des Ampel-Desasters. Jetzt vermute ich, dass es reichen könnte. Warum? Stellen Sie sich einmal 20 Menschen aus Ihrem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis vor und fragen Sie sich, ob einer oder eine von denen die Sache mit der Schuldenbremse völlig richtig findet und deshalb FDP wählt. Mehr ist ja nicht nötig, das macht hochgerechnet 5 Prozent. Mir scheint das realistisch.

Christian Lindner hat in der akuten Krise vieles richtig gemacht. Aber es gibt ein ABER, in Großbuchstaben. Kaum war er raus aus dem Amt, hat er angekündigt, nach der Wahl wolle er wieder regieren – und wieder Finanzminister werden. Da bin ich strikt dagegen.

Erstens, weil Lindner nicht nur ein Opfer der Ampelkoalition ist. Er ist politisch genauso gescheitert wie Scholz und Habeck. Dass alle drei jetzt gleich wieder Ansprüche auf die Kanzlerschaft oder das wichtigste Ministerium anmelden, zeugt weder von Einsicht noch von Bescheidenheit. Und zweitens: Deutschland kann sich in den nächsten vier Jahren eine weitere Koalition der rot-grünen Illusionen ebenso wenig leisten wie eine Regierung, die das Dogma der Schuldenbremse über alles andere stellt.

Deshalb, bei aller Hochachtung vor dem Christian Lindner des Novembers 2024: Es ist nicht die Zeit fürs Weitermachen. Es ist Zeit, Abschied von der ohnehin nur auf Zeit verliehenen Macht zu nehmen. Das fällt offenbar schwer, politisch und persönlich. Aber es ist besser so, nach diesen drei Jahren.

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