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FDP im Tief: Warum es Christian Lindner und den Liberalen so schlecht geht


Meinung
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Liberalismus in der Krise
Das sind die Gründe für den FDP-Absturz

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

27.02.2024Lesedauer: 4 Min.
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FDP-Chef und Finanzminister: Christian Lindner und die Liberalen stecken im Umfragetief fest. (Quelle: Thomas Koehler/t-online)
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Christian Lindners FDP kämpft ums Überleben. In der Ampelkoalition gibt es für sie nichts mehr zu gewinnen. Bei Neuwahlen auch nicht. Der politische Liberalismus ist in seiner Existenz bedroht, meint unser Kolumnist.

Ein Begriff macht Karriere: die Wirtschaftswende. Christian Lindner hat sie vor vier Wochen zum ersten Mal gefordert, prompt ist sie zum Modewort im Berliner Regierungsviertel geworden. Sprachlich bedient sich der FDP-Chef bei den Grünen, "Wende" ist ja deren Lieblingswort: Klimawende, Energiewende, Mobilitätswende. Zur Zeitenwende des Kanzlers passt sie auch. Politisch ist Lindners Forderung allerdings eine Kampfansage an die Koalitionspartner: Wir können auch anders! Nämlich raus aus der Ampel.

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die FDP auf vier, vielleicht nur auf drei Prozent. Im Herbst sind Landtagswahlen im Osten der Republik, in den Umfragen spielt die Partei keine Rolle. Wo immer in diesem Jahr gewählt wird, scheint der Verlierer schon vorher festzustehen: die Liberalen. In der Ampelregierung werden sie nicht mehr glücklich. Alle drei Partner leiden unter dem Scheitern dieser Koalition. Aber den Liberalen geht es an die Existenz.

Ende vergangenen Jahres sprach sich noch eine knappe Mehrheit der FDP-Mitglieder für den Verbleib in der Regierung aus. Inzwischen zweifeln sie alle daran, weil die Verzweiflung um sich greift: die Basis, Lindner, Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der Elder Statesman Wolfgang Kubicki. Wäre ein Ende mit Schrecken nicht doch die bessere Lösung?

Erinnerungen an den Herbst 1982 werden wach

Eine alte Geschichte wird jetzt wieder erzählt: Herbst 1982, die FDP regiert mit der SPD, Helmut Schmidt ist Kanzler. Man streitet sich über alles und jedes, vor allem über die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der Wirtschaftsminister heißt Otto Graf Lambsdorff, FDP. Er schreibt ein Papier mit Forderungen auf, die für die Sozialdemokraten unannehmbar sind. Nach ein paar turbulenten Tagen zerbricht die sozialliberale Koalition, Schmidt wird abgewählt, Helmut Kohl zieht mithilfe der FDP ins Kanzleramt ein.

Inhaltlich gibt es verblüffende Parallelen zu damals. Lambsdorff bemängelte die Unklarheit über den Kurs der Regierung, forderte eine Steuerentlastung für die Unternehmen, eine Entbürokratisierung, beklagte zu hohe Sozialausgaben, setzte sich für den Ausbau der Kernenergie ein. Vier Jahrzehnte später scheint sich die Geschichte zu wiederholen.

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Aber Vorsicht, 2024 ist nicht 1982. Lambsdorffs Papier war eindeutig ein Scheidungsantrag, Lindners Wirtschaftswende ist eine mäkelnde Forderung unter vielen im langwierigen Beziehungskrieg der Ampelpartner. Lambsdorff buchstabierte die liberalen Vorstellungen auf neun eng beschriebenen Seiten Punkt für Punkt durch, Lindners Wirtschaftswende ist eine Überschrift ohne Text. Er legte zwar noch einmal nach und "präzisierte" seine Wende als "Dynamisierungspaket, das Arbeitsmarkt, Klimaschutz, Energiepreise, Bürokratie und Steuern umfasst". Aber konkret ist nur der Vorstoß, den Solidaritätszuschlag komplett abzuschaffen. Der Rest ist wolkiges Polit-Marketing.

Der entscheidende Unterschied zu damals

Es gibt noch einen entscheidenden Unterschied: 1982 konnte die FDP aus der sozialliberalen Koalition aussteigen und gleich in der nächsten Regierung weitermachen. Die zweite Machtoption, also die mit den Christdemokraten, gibt es heute nicht, mangels Mehrheit. Wenn die Ampel erlischt, läuft das auf Neuwahlen hinaus. Die Perspektiven für die Liberalen sind, siehe oben, schlecht.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt.

Das Mitregieren in der rot-grün-gelben Koalition ist nur ein Grund für den Absturz der FDP. Die Freien Demokraten haben immer dann Erfolg gehabt, wenn sie zwei liberale Strömungen in der Gesellschaft unter ihrem Dach versammeln konnten: den politischen Liberalismus und den Wirtschaftsliberalismus. Heute präsentieren sie sich ganz als Wirtschaftsliberale. Auf diesem Feld sehen sie sich selbst als Hüter der ökonomischen Vernunft. Aber von außen werden sie eher als Lobbyorganisation von Unternehmern und ein paar reichen Erben wahrgenommen. Das reicht nicht für fünf Prozent.

Und der politische Liberalismus? Hat sich diese traditionsreiche Bewegung erledigt, womöglich zu Tode gesiegt? Die Liberalen haben einst mit dem Bürgertum gegen den Adel gekämpft, gegen den Absolutheitsanspruch der Kirche, gegen die preußische Obrigkeit, gegen Autoritäten jeglicher Art, gegen den Staat, der die Freiheitsrechte seiner Bürger einschränkt. Die Erfolge sind unbestreitbar: Wir sprechen heute ausdrücklich vom liberalen Rechtsstaat, der Freiheit und Bürgerrechte garantiert. Die Gleichberechtigung der Geschlechter, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, die Ehe für alle, der Schutz vor Diskriminierung: Gesetzlich ist das inzwischen alles geregelt, auch wenn es Defizite im Alltag gibt.

Andere haben längst die liberalen Ideen gekapert

Politisch haben sich andere Parteien die Grundgedanken dieses Liberalismus angeeignet, die Grünen vorweg. Sie definieren ihn um, auf die woke Art. Heute geht es um die Freiheit, eine Tüte Cannabis zu rauchen. Und um die Rechte von kleinsten Minderheiten. Die Regierung will demnächst noch die freie Wahl des Geschlechts einführen – okay, ohne Polemik: die freie Wahl des Geschlechtseintrags im Personalausweis. Ein liberaler Justizminister versucht uns zu erklären, warum diese verqueere Idee ein Fortschritt im Sinne des Liberalismus sein soll. Das kann nur schiefgehen.

Meistens war es der Staat, gegen den die Liberalen die Freiheit verteidigten – der Polizeistaat, der Überwachungsstaat, der ausufernde Sozialstaat. Jetzt, in der Zeitenwende, gibt es für die meisten Menschen eine andere Priorität: Sicherheit. Äußere Sicherheit, innere Sicherheit, soziale Sicherheit. Auch in der Wirtschaft verschieben sich die Prioritäten: Abhängigkeiten verringern, vor allem von China, Lieferketten sichern, wenn nötig mit Fregatten im Roten Meer – darum geht es 2024. Ein starker Staat ist gefordert. Dafür stehen die Konservativen. Und die Sozialisten. Hin und wieder sogar die Grünen. Die Liberalen eher nicht.

Das heißt: Die FDP gibt auf die Fragen von heute die Antworten von gestern. Schuldenbremse sichern, Tempolimit verhindern: Zwei aus der Zeit gefallene Forderungen sollen ihr ein unverwechselbares Profil im politischen Wettbewerb garantieren? Und jetzt neu im liberalen Angebot: die Wirtschaftswende. Ein Schlagwort, ohne Substanz. Das ist zu wenig.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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