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FDP-Krise: Liberale in existenzieller Notlage


Ursachen der Partei-Krise
Hat die FDP den Verstand verloren?

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

24.09.2024 - 12:13 UhrLesedauer: 5 Min.
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Große Augen angesichts kleiner Zahlen: Die FDP findet sich bei den Splitterparteien wieder. (Quelle: IMAGO/imago)

Die FDP hat schon oft regiert, mit der Union oder mit der SPD. Sie hat Höhen und Tiefen erlebt. Nach Niederlagen ist sie immer zurückgekommen. Aber so kritisch wie heute war die Lage noch nie. Werden die Liberalen noch gebraucht?

Thüringen 1,6 Prozent. Sachsen 0,9 Prozent. Brandenburg 0,8 Prozent. Das sind Ergebnisse einer Splitterpartei. Die Tierschutzpartei war in Sachsen erfolgreicher, in Brandenburg eine Partei namens Plus. Das sind aber auch Ergebnisse einer Regierungspartei, der FDP. Bei den Septemberwahlen sind die Liberalen gedemütigt worden. Die Botschaft der ostdeutschen Wähler ist eindeutig: Wir brauchen diese Partei nicht.

Wozu auch? Versuchen Sie bitte selbst, die Frage zu beantworten, für welche Politik die FDP steht. Ihnen fallen wahrscheinlich zwei Punkte ein: Die FDP hält an der Schuldenbremse fest. Und die FDP ist gegen ein Tempolimit auf der Autobahn. Zwei aus der Zeit gefallene Positionen.

Praktisch der gesamte wirtschaftspolitische Sachverstand des Landes findet, dass Deutschland massiv investieren muss, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Liberalen finden, dass Deutschland massiv sparen muss. Seit Anfang des Jahres propagieren sie eine liberale "Wirtschaftswende", Anfang Juli wurde daraus eine "Wachstumsinitiative" mit einem Sammelsurium an Maßnahmen. Jetzt ist Ende September, beschlossen ist im Bundestag so gut wie nichts. Scheint alles nicht so dringend zu sein.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Zwei Drittel der Deutschen sind für ein Tempolimit auf Autobahnen. Die einen wegen der Ökologie. Die anderen, weil ihnen die Aggro-SUVs, die von hinten auf sie zuschießen, unangenehm sind. Wieder andere, weil sie im Auslandsurlaub erleben, dass es unterwegs auch entspannter zugehen kann. Mit den Liberalen ist darüber nicht zu reden. Die sind dann gleich auf 180. Sie sehen die Freiheit in Gefahr. Oder jedenfalls das, was sie unter Freiheit verstehen.

2017 ließ Christian Lindner die Koalitionsverhandlungen mit Angela Merkel und den Grünen platzen. "Besser nicht regieren als schlecht regieren", lautete die Begründung. Seit drei Jahren regiert Lindner mit SPD und Grünen – und zwar schlecht. Nein, nicht nur weil die Koalition sich in einen Dauerstreit verstrickt hat. Auch weil die Liberalen sich als wankelmütige, unzuverlässige Partner erwiesen haben. Im Bundeskabinett ließen sie Habecks Heizungsgesetz durchgehen, im Bundestag machten sie Opposition dagegen. In der EU stimmte die Regierung dem Zeitplan für den Umstieg vom Verbrenner zur Elektromobilität zu, in allerletzter Minute torpedierten die Liberalen den Kompromiss. Sie blamierten Deutschland.

Freies Parken für alle

Kurz vor den Wahlen im Osten blamierte sich die FDP selbst – mit der Forderung nach kostenfreiem Parken in unseren Innenstädten. Unter Verkehrsexperten, Stadtplanern und Bürgermeistern gibt es einen breiten Konsens: Wer die Innenstadt attraktiv machen will, muss sie für Menschen attraktiv machen, nicht für Autos. Kopenhagen, Wien, London, Paris, Tallin, das sind Städte, deren Mobilitätsstrategie international als vorbildlich gilt. Kostenloses oder billiges Flatrate-Parken sehen sie nicht vor. Liberale gelten als weltläufige Menschen. Sie können aber auch schrecklich provinziell sein.

Vielleicht denken Sie jetzt, der Elder Statesman hat was gegen die Liberalen. Das stimmt nicht. Vor sehr langer Zeit hat die FDP mir einmal einen Preis verliehen, den Karl-Hermann-Flach-Preis für liberalen Wirtschaftsjournalismus. Ich habe gezögert, die Auszeichnung anzunehmen, weil ich als Journalist weder Mitglied einer Partei bin noch einer Partei nahe stehe; allenfalls stehe ich den Parteien unterschiedlich weit fern. Den Preis habe ich trotzdem angenommen – wegen des Namenspatrons. Flach war ein liberaler Denker und Parteimanager, aber auch ein exzellenter Journalist, er hat für die "Frankfurter Rundschau" geschrieben. Ich komme auf ihn noch zurück.

Ein paar Mal in meinem Leben habe ich die FDP auch tatsächlich gewählt, meistens wegen einzelner ihrer Protagonisten. Wegen Hans-Dietrich Genscher, dem Weltreisenden in Sachen Frieden und Freiheit. Oder wegen Klaus Kinkel, einem knorrigen schwäbischen Liberalen. Als Innenminister ging Kinkel nach Stuttgart-Stammheim in den Knast, um persönlich mit den Terroristen der RAF zu reden. Er wollte sie von der Aussichtslosigkeit ihres Tuns überzeugen und die Spirale der Gewalt durchbrechen.

Wann mich Christian Lindner zuletzt beeindruckte

Zuletzt hat mich Christian Lindner beeindruckt. Das war 2017. Lindner kandidierte als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die hippe Berliner Agentur Heimat schneiderte ihm eine außergewöhnliche Wahlkampagne auf den Leib. Es begann mit einem Werbevideo im schwarz-weißen Doku-Stil, Lindner sprach über Digitalisierung, Start-ups, Bildung, die Zukunft. Auf Facebook und Instagram erschienen ungewöhnliche Fotos: Lindner bei der Arbeit im Auto, mit Dreitagebart, Lindner im Unterhemd, abgekämpft. Ein Politiker für die Netflix-Generation. Er traf den Ton, er hatte Erfolg. Kurz darauf, bei der Bundestagswahl, sahen wir diesen Lindner noch einmal. Zum letzten Mal.

Heute tritt Lindner auf wie der Cheflobbyist des Status quo. Ein politischer Vermögensberater, der Unternehmern und anderen Wohlhabenden Schutz vor dem Sozialismus und grünen Umtrieben verspricht. In ihrer Geschichte hat die FDP mehrfach versucht, aus dieser Nische der Klientelpolitik herauszukommen. Karl-Hermann Flach war einer der Autoren der legendären Freiburger Thesen der FDP. Vor mehr als einem halben Jahrhundert wollten die Liberalen mit diesem Programm mehr werden als eine gutbürgerliche Honoratioren-Partei. Sie wollten in die Gesellschaft hineinwirken, auch andere Schichten erreichen. Sie hielten einen sozialen Liberalismus für möglich.

Jahrzehnte später unternahm Guido Westerwelle einen ähnlichen Versuch. Seine "Strategie 18" hatte dasselbe Ziel, nämlich die Partei aus dem 5-Prozent-Ghetto ihrer Stammwähler herauszuholen. Nur versuchte er es nicht mit sozialem Liberalismus, sondern mit radikalem Neoliberalismus. Das entsprach in den Nullerjahren durchaus dem Zeitgeist. Im Wahlkampf 2009 holte die Westerwelle-FDP 14,6 Prozent, mehr als je zuvor oder danach. Die Liberalen zogen in die Regierung Merkel ein, es wurde allerdings ein Desaster. CSU und FDP beschimpften sich gegenseitig als "Wildsau" oder "Gurkentruppe". Ähnlichkeiten mit der Ampelkoalition sind zufällig. Oder nicht?

Bei der folgenden Bundestagswahl erreichte die FDP noch 4,8 Prozent – das war das Aus. Im nächsten Jahr droht ihr dieses Schicksal wieder. Und in der Republik ist nicht mal ein Bedauern zu spüren.

Voodoo-Priester der Schuldenbremse

Die Frage lautet nicht: Wer braucht die FDP? Sondern: Wer braucht diese FDP? Eine Partei, die ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand gegen die Vodoo-Ökonomie der Schuldenbremse eingetauscht hat. Obwohl die Wirtschaft stagniert, die Industrie leidet, Volkswagen in die Krise gerät.

Jetzt plötzlich haben die Liberalen auch Migration und innere Sicherheit als zentrale Probleme des Landes entdeckt. Das hat sie jahrelang eigentlich nicht interessiert. Polizei und Justiz forderten wieder und wieder mehr Rechte: Telekom und Vodafone sollten die Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern, es ging um mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum, um die Gesichtserkennung bei der Fahndung im Internet. Immer kam ein Datenschutzbeauftragter um die Ecke und erklärte, warum das nicht geht. Fast immer war es ein Liberaler.

Die FDP hat ihren Spirit verloren, ihren gesunden Menschenverstand, ihre Zuverlässigkeit. Und ihre Reputation. So, wie sie jetzt ist, wird sie nicht gebraucht. "Machen Sie sich um die FDP keine Sorgen, die kriege ich schon wieder hin", sagte Christian Lindner kürzlich mit einer Mischung aus Trotz und Zuversicht. Ich, Christian Lindner. Da wandelt einer auf dem schmalen Grat zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung. Die Absturzgefahr ist extrem hoch – für Lindner und für die FDP.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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