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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP will offenbar Koalition platzen lassen Auf einmal sind sich alle einig
Seit Wochen wird in der Koalition darüber spekuliert, ob der FDP-Chef die Ampel verlassen will. Nun ist man offenbar überzeugt, dass Lindner sich entschieden hat.
Am Ende ist es manchmal nicht mehr als eine offene Zahnpastatube. Wenn eine Beziehung nach Jahren in die Brüche geht, dann tut sie das zwar in der Regel, weil die Probleme tiefgreifender sind. Weil es grundsätzlich an der Kommunikation hakt. Oder weil man unterschiedliche Dinge vom Leben will. Man versucht dann eine Weile darüber hinwegzusehen, weil man doch eigentlich will, dass es klappt. Bis es irgendwann reicht. Der Auslöser für die Eskalation kann dann schon eine offene Zahnpastatube im gemeinsamen Badezimmer sein, die der Partner oder die Partnerin vergessen hat.
Im Moment scheint Christian Lindner nur noch auf die Zahnpastatube zu warten. Denn es ist so: Seit einigen Monaten hat der Ampelstreit ein neues Ausmaß angenommen. Die FDP erweckt den Eindruck, sich nicht entscheiden zu können, ob sie Teil der Koalition sein will oder nicht. Jedenfalls klingt manche Aussage mehr nach Opposition als Regierung. Mittlerweile macht nicht einmal mehr der Kanzler einen Hehl daraus, dass die Stimmung im Keller ist. Der hatte zuvor lange versucht, Durchhalteparolen zu predigen. Nach monatelangem Hin und Her scheint die Entscheidung jetzt gefallen zu sein.
Nicht mehr die Frage nach dem "Ob", sondern dem "Wie"
In Koalitionskreisen ist man mittlerweile überzeugt, dass Lindner die Ampel verlassen will. Es habe hier in den vergangenen Wochen noch einmal eine entscheidende Veränderung gegeben. Während vorher unklar gewesen sei, ob der FDP-Vorsitzende und seine Partei wirklich raus aus der Koalition wollten, gehe es jetzt nur noch um die Frage nach dem "Wie". Lindner suche noch nach einem geeigneten Anlass, heißt es.
Die Situation spitzte sich zuletzt weiter zu, als der Finanzminister seine Ampelpartner aktuell noch einmal mit einem neuen Grundsatzpapier konfrontierte. In dem Papier, das t-online vorliegt, macht Lindner auf 18 Seiten eine Reihe von Vorstößen zur "Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen", um "Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden". Darunter mehrere Sofortmaßnahmen, wie die Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Eine Änderungen an der Schuldenbremse sowie neue Sondervermögen lehnt Lindner dagegen strikt ab. Erinnerungen werden wach: Mit einem Wirtschaftspapier hatte die FDP schon einmal 1982 eine Koalition verlassen. Es ging als das "Lambsdorff"-Papier in die Geschichte ein.
Horcht man in die FDP hinein, klingt der Tenor, die Ampel betreffend, erst einmal pessimistisch, wenngleich nach wie vor schwankend. Man glaube zwar nicht mehr, dass die Ampel sich noch einmal berappeln könne, heißt es dort. Allerdings sei bislang noch unklar, ob sich wirklich ein passender Anlass bieten werde, um auszusteigen. Man könne die Regierung auch nicht einfach so platzen lassen. Auf die Frage nach dem Zeitpunkt einer endgültigen Entscheidung sagt ein Mitglied des Fraktionsvorstandes: "Wir bleiben dabei, es ist der Herbst der Entscheidung. Und der Herbst geht kalendarisch bis zum 21. Dezember.
Auch bei den Grünen sind einflussreiche Politiker mittlerweile der Überzeugung, dass sich die Regierung eigentlich aufgegeben hat. Und vor allem, dass Christian Lindner jetzt alles tut, um zu provozieren. Etwa, um doch noch vom Kanzler rausgeworfen zu werden und den Schritt nicht selbst gehen zu müssen. Allerdings zweifeln die Grünen, dass Olaf Scholz das tun wird – und in der Tat ist es nicht sehr wahrscheinlich.
Allein vergangene Woche beklagte sich Lindner öffentlich, dass er nichts vom Industriegipfel des Kanzlers wusste und von Robert Habecks Deutschlandfonds-Papier auch nicht. Dem grünen Wirtschaftsminister warf er für seine Idee gleich "konzeptionelle Hilflosigkeit" vor. Als Antwort auf den Kanzler veranstaltete er seinen eigenen Gipfel.
Bei den Grünen halten sie das öffentliche Schauspiel mittlerweile für unverantwortlich. Es gibt auch einflussreiche Grüne, die einen Bruch inzwischen für besser halten, als das Ganze auf diese Weise noch ein Jahr weiterzutreiben. Allerdings gibt es unter den grünen Führungsleuten keine Mehrheit dafür, selbst diesen Schritt zu gehen. Man will so viel wie möglich für den Erhalt der Koalition tun.
Herbst der Entscheidung: Und die US-Wahl?
Bislang ist man in der Koalition überzeugt, dass Lindner in jedem Fall die US-Wahl am 5. November abwarten wird. Denn das Ergebnis wird sich auch auf Europa maßgeblich auswirken. Zumal womöglich eine ganze Weile nicht klar sein wird, ob die Vizepräsidentin und Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, oder der Republikaner und Ex-Präsident Donald Trump gewonnen hat. Mit Blick auf aktuelle Umfragen könnte das Rennen durchaus knapp werden.
Bleibt der Haushalt. Der soll bis zum 14. November stehen. Lindner hatte bereits angekündigt, nur dann weiterzumachen, wenn es gelinge, einen stabilen Etat auf die Beine zu stellen. Bislang klamüsert man daran noch. Vor allem, weil die globale Minderausgabe derzeit noch zu groß ist. Also Geld, das im Haushaltsplan fehlt, aber im Laufe des Jahres über Einsparungen oder Mehreinnahmen ausgeglichen werden kann. Aus dem Kabinett heißt es, man werde mit aller Kraft versuchen, die globale Minderausgabe so klein wie möglich zu bekommen, um Lindner so einen potenziellen Ausstieg zu erschweren.
Allerdings könnte der FDP-Chef sich im Zweifel auch einen anderen Grund suchen, wenn er wirklich rauswill. Etwa, dass ihm die Maßnahmen zum Ankurbeln der Wirtschaft nicht ausreichen. Oder das Rentenpaket, über das sich FDP und SPD schon lange streiten. Man sollte eigentlich meinen, dass das Schicksal einer Koalition nicht an einer Zahnpastatube entschieden wird. Aber manchmal ist es am Ende genau das.
- Eigene Recherchen und Gespräche