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Zum journalistischen Leitbild von t-online.AfD nach der Wahl Ein Opfer für Marine Le Pen
Die AfD-Abgeordneten haben ihren Spitzenkandidaten Krah verstoßen. Ob das reicht, um sie in Brüssel zurück ins Spiel zu bringen, ist ungewiss.
Maximilian Krah gibt sich am Montagmittag in Berlin gut gelaunt – doch der Schlag, der ihm gerade versetzt wurde, ist hart. Gerade haben seine Parteikollegen ihn hinter verschlossenen Türen aus der AfD-Delegation im EU-Parlament ausgeschlossen. Vom Spitzenkandidaten ist Krah so zur Persona non grata geworden.
Ihm bleiben das Mandat, die Mitarbeiter und das Parteibuch – doch vorerst ist er im EU-Parlament völlig auf sich allein gestellt. Katzentisch statt Führungsrolle.
Zu sehr über die Stränge geschlagen hat Krah nicht nur im Wahlkampf nach Ansicht vieler Parteikollegen: mit Schlagzeilen von Spionage- und Schmiergeldskandalen, mit immer neuen Skandal-Videos und -Auftritten. Doch die Entscheidung der gerade gewählten AfD-Abgeordneten im EU-Parlament hat vor allem einen Grund: Sie opfern Krah, um die internationalen Partner, allen voran Marine Le Pen und ihren französischen Rassemblement National (RN), milde zu stimmen, die die AfD Ende Mai aus der Europaparlamentsfraktion "Identität und Demokratie" (ID) ausgeschlossen hatten.
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Le Pen und Co. hatten mehrere Gründe für ihre Entscheidung, allen voran aber einen Namen genannt: Krah. Deswegen die Entscheidung der übrigen EU-Abgeordneten der AfD am Tag direkt nach der Wahl. Statt der gesamten AfD-Delegation soll nur Krah fraktions- und machtlos sein, die anderen aber wieder in den Schoß der ID-Fraktion gelassen werden – hoffentlich, wenn die Franzosen denn einlenken.
Das beste Argument, das die AfD dafür neben Krahs Rauswurf aus der Delegation mitbringt, ist ihr gutes Wahlresultat. Trotz heftiger Skandale hat sie mit knapp 16 Prozent ein Rekordergebnis eingefahren, darf – ohne Krah – 14 Abgeordnete ins Parlament schicken. Das ist ein großer Vorteil am Verhandlungstisch in Brüssel, wo die Größe der Fraktionen vieles bestimmt. Die AfD bietet eine Machtbasis wie nicht viele andere Parteien am rechten Rand im EU-Parlament.
Der zweite Skandal-Spitzenkandidat darf bleiben
Krah, der Ausgestoßene, kritisiert das Votum der Kollegen, als er nach der geheimen Abstimmung den Raum verlässt. "Ich halte den Schritt für falsch", sagt er da vor laufenden Kameras. "Ich halte ihn für strategisch falsch und für das falsche Signal." Eine Partei, die für deutsche Interessen antrete, sollte sich nicht von einer ausländischen Partei vorschreiben lassen, mit wem sie antrete, führt er aus.
Tatsächlich ist die Entscheidung für die AfD, die die nationale Souveränität so sehr betont, in der Außenkommunikation nicht leicht zu erklären. Das gilt vor allem, da sie noch einen anderen Problemfall in ihren Reihen hat: Petr Bystron, die Nummer 2 gleich hinter Krah auf der Europaliste.
Auch Bystron hat im Wahlkampf Negativschlagzeilen und Skandale am laufenden Band geliefert. Er soll Geld aus einem prorussischen Netzwerk angenommen haben. Und im Gegensatz zu Krah wurde Bystrons Immunität als Bundestagsabgeordneter, der er bisher war, bereits aufgehoben, Ermittler durchsuchten seine Wohnungen und Büros in Berlin, in Bayern, auf Mallorca. Immer wieder verstieß auch er gegen das Auftrittsverbot des Bundesvorstands im Wahlkampf.
Auch über Bystron wird deswegen am Montag in der konstituierenden Sitzung der Brüssel-Delegation der AfD diskutiert. Der Bayer aber darf bleiben. Ein Grund dafür: Er legte in der Runde endlich eine eidesstattliche Versicherung vor, die Parteifreunde wie Abgeordnete anderer Parteien schon seit Wochen von ihm fordern. Darin versichert er, kein Geld angenommen zu haben und dass an den Vorwürfen gegen ihn nichts dran sei. Juristisch hat das Papier kaum Gewicht, politisch aber lässt es sich verkaufen.
Wichtiger noch aber dürfte sein: Einen weiteren Mann, ein weiteres Stück ihrer Macht im EU-Parlament, will die AfD nicht verlieren. Krah geht vielen auf die Nerven. Sein Ausschluss aber bleibt vor allem ein strategischer Zug, ein Opfer zum Machterhalt.
Nicht jeder ist mit diesem Opfer einverstanden, auch in der Runde der neuen AfD-Abgeordneten nicht: Acht stimmen in der geheimen Wahl gegen Krah, vier für ihn, drei enthalten sich. In den sozialen Medien werden jene, die gegen Krah stimmten, rasch als "Verräter" beschimpft, als Bücklinge, als Feinde der AfD.
Wird das genügen?
Die Frage ist nun aber vor allem: Wird dieses Opfer genügen, um die Franzosen und die anderen ID-Partner zu besänftigen? Die Meinungen gehen hier weit auseinander. Er wolle mit großem Interesse beobachten, wie die Verhandlungen mit dem RN verlaufen, so sagt es Krah. "Meine Meinung kennen Sie: Sie werden scheitern."
Behält er recht, bliebe der AfD nur die Gründung einer neuen Fraktion. Krah käme das entgegen. Er dürfte darauf spekulieren, dann wieder in die Delegation aufgenommen zu werden. Und schon lange liebäugeln er und der rechtsextreme Flügel in der AfD mit neuen, extremeren Partnern im EU-Parlament. "Hooligan-Fraktion" nennen sie es unter der Hand in aller Deutlichkeit. Im Gespräch mit der Presse wählt Krah lieber den Namen "AfD and friends".
Mit der Überzeugung, dass die Franzosen nicht mehr umzustimmen sind, steht Krah in der AfD nicht allein da. Das Tischtuch sei endgültig zerschnitten, so formuliert es mancher. Als zu schlecht gilt das Verhältnis zum RN schon seit Jahren. Deutlich hatte Marine Le Pen sich bereits nach der Berichterstattung über das Treffen mit Rechtsextremen in Potsdam, bei dem Vertreibungspläne von Millionen Staatsbürgern diskutiert worden sein sollen, von der AfD distanziert.
Und deutlich hatte sie Ende Mai gesagt: Die AfD sei führungslos, maßgeblich beeinflusst von radikalen Strömungen in ihrer Mitte. Vieles klang danach, als sei Krah für Le Pen das extreme Symptom für viele Probleme bei der AfD, nicht aber der alleinige Auslöser für die Entscheidung.
Der neue Delegationsleiter muss vieles richten
Zuversicht allerdings versprüht kurz darauf einer, der bei den Verhandlungen im EU-Parlament eine maßgebliche Rolle spielen wird: René Aust. Der Thüringer stand auf Platz 3 der EU-Liste, nach Krahs und Bystrons Ausfallen übernahm er die wichtigsten Termine im Wahlkampf-Endspurt, duellierte sich mit den Kandidaten der anderen Parteien in den TV-Wahlarenen. Einer, der die Pflichten als Spitzenkandidat übernahm, ohne den Titel tragen zu können.
Die nächste Pflicht folgt für Aust gleich am Montag: Nach Krahs Ausschluss wählen die neuen EU-Abgeordneten der AfD Aust als Leiter ihrer Delegation. Was nach einem hohen Titel klingt, ist kein beliebter Posten. Vorangegangene Delegationsleiter wie Jörg Meuthen oder Nicolaus Fest sind an der Aufgabe gescheitert, die AfD in Brüssel zusammenhalten. Und die Abstimmung mit den rechten Partnern im Parlament gilt als schwierig. Zu egoistisch, zu nationalistisch denken die Parteien, um eine reibungslose Zusammenarbeit zu schaffen.
Der 37-jährige Aust ist deswegen einer der wenigen, die sich überhaupt für den Posten interessieren – und wird nicht nur vom Bundesvorstand favorisiert. Als umgänglich, als Parteisoldat, als Nachwuchshoffnung gilt er. Einer, dem man zutraut, zu schaffen, was Krah und Bystron nicht gelang: nicht zu explodieren, sondern seriös zu agieren.
Bei einer Pressekonferenz am Nachmittag kündigt Aust an, dass die AfD-Delegation bis Anfang Juli einer Fraktion beitreten oder selbst eine gründen müsse. Zuerst einmal wolle man mit den alten Partnern in der ID-Fraktion Gespräche führen. Und er gibt sich selbstbewusst: "Ich sage heute voraus: Die werden erfolgreich sein."
AfD-Chefin Alice Weidel klingt da allerdings vorsichtiger. Sie hat mit den Franzosen bereits Erfahrung, reiste nach der massiven Kritik von Le Pen nach dem Treffen in Potsdam nach Paris und versuchte, das Verhältnis wieder zu kitten. Schon damals nur mit mäßigem Erfolg – die Franzosen blieben distanziert.
Sie rechne damit, dass für den Rassemblement National die Neuwahlen in Frankreich Ende Juni nun ganz im Fokus stünden – und dass das Prioritäten verschieben könnte, sagte Weidel. "Wie und wohin, das kann ich nicht beantworten." Die AfD aber werde "schon ihren eigenen Weg gehen".
Weidel macht damit zur Tugend, wozu die AfD in Brüssel gezwungen ist: Sich weiterhin alle Optionen offenzuhalten.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen