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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bildungsministerin Stark-Watzinger "Deutschland ist Schlusslicht in Europa"
Ministerin Bettina Stark-Watzinger will mit der Ampel eine neue Wirtschaftspolitik umsetzen. Sonst sei nicht nur der Wohlstand in Gefahr, sondern auch die Demokratie.
Als Ministerin steht sie seltener im Rampenlicht als manch ein Kabinettskollege, innerhalb ihrer Partei aber hat ihr Wort Gewicht: Bettina Stark-Watzinger ist Bundesministerin für Bildung und Forschung und zugleich stellvertretende Bundesvorsitzende der Liberalen. In dieser Funktion eröffnet sie am heutigen Samstag den 75. Bundesparteitag in Berlin, der ganz im Zeichen der Wirtschaftspolitik steht.
t-online hat Stark-Watzinger vorab zum Gespräch getroffen. Im Interview erklärt sie, warum es die Liberalen in den Umfragen gerade so schwer haben, wieso sie gegen neue Schulden für Forschungsförderung ist und wie sich der Gesetzgebungsprozess ändern muss, damit die Politik nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für Innovation stärker mitdenkt.
t-online: Frau Stark-Watzinger, Sie eröffnen heute einen Parteitag in schweren Zeiten für die Liberalen. In Umfragen pendelt die FDP zwischen 4 und 6 Prozent. Warum haben die Deutschen so wenig Lust auf Freiheit?
Bettina Stark-Watzinger: Dieser Parteitag findet vor allem in wirtschaftlich schweren Zeiten statt, sowohl für die Unternehmen als auch für die Menschen in unserem Land. Wir erwarten dieses Jahr ein Wachstum von nur 0,3 Prozent, das kann niemanden zufriedenstellen. Deutschland ist damit Schlusslicht in Europa. Unser Auftrag ist es deshalb, für deutlich mehr Wachstum zu sorgen. Wir als Liberale sind überzeugt, dass es dafür eine Wende in der Wirtschaftspolitik braucht.
Bei den Wählern scheint das aber noch nicht angekommen zu sein. Wie sehr frustriert Sie das?
Mich bedrückt, dass es derzeit so wenig Optimismus in Deutschland gibt – gerade bei jungen Menschen. Wir müssen deutlich machen, dass das Beste noch vor uns liegt. Umso wichtiger ist es, dass wir als Partei jetzt klar sagen, was wir ändern wollen.
Ganz neue Zahlen von Forsa zeigen: Die FDP hat die geringste "Bindekraft" aller Parteien im Bundestag, nur 29 Prozent der FDP-Wähler von 2021 würden abermals ihr Kreuz bei den Liberalen machen. Woran liegt das?
In der Tat stehen wir vor anderen Herausforderungen als die Volksparteien, die noch immer mehr vom traditionellen Wählerverhalten profitieren. Für uns Freie Demokraten war und ist es immer wichtig, mit unseren Themen und unserem politischen Handeln zu überzeugen. Unser Kernanliegen – die Freiheit des Einzelnen – hat es in Zeiten, in denen die Menschen Sicherheit suchen, nicht immer leicht, ist aber aktueller denn je. Freiheit ist die Grundlage von allem und dafür stehen wir.
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Die aktuellen Umfragen belegen auch: In allen Altersgruppen liegt der Anteil weiblicher Anhänger unter dem der männlichen. Ist die FDP eine Junge-Männer-Partei?
Nein. Es gibt viele starke Frauen in der Partei, sowohl in Führungspositionen als auch an der Basis. Gerade mit unserer Europa-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zeigen wir, wie stark Frauen sind und dass sie an die Spitze gehören. Sie ist eine tolle Wahlkämpferin und ein tolles Rollenvorbild.
Bislang gewannen viele Stammwähler den Eindruck, die FDP tue in der Ampel zu wenig für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes. Ist das der Grund für die nun proklamierte "Wirtschaftswende"?
Es sind herausfordernde Zeiten! Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mussten wir als Bundesregierung erst einmal die Zeitenwende und ihre Folgen wie die Energiekrise bewältigen. Jetzt geht es aber um die Frage: Wie schaffen wir mehr Wachstum und Wohlstand? Darum braucht es jetzt eine neue Wirtschaftspolitik, mit der wir Deutschland fit machen für die Zukunft. Das Gute ist: Die Basis dafür ist da. Es gibt viele herausragende Unternehmen, die innovationsstark sind und viel bewegen können. Nur müssen wir sie entlasten, vor allem, indem wir bürokratische Fesseln lösen.
Jetzt klingen Sie fast ein bisschen wie der Kanzler, der sagt: Läuft doch alles ganz gut, lasst uns das Land mal nicht schlechtreden.
Die Grundlage für mehr Wachstum ist da. Aber wir müssen uns ehrlich machen: Die Produktivität in Deutschland steigt nicht mehr, zugleich sinkt absehbar die Zahl der hierzulande geleisteten Arbeitsstunden. Hier müssen wir ansetzen – sonst ist nicht nur unser aller Wohlstand in Gefahr, sondern irgendwann auch unser demokratisches System. Wir sehen: Die Zustimmung zu unserer Demokratie, zu unserer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung hängen auch von unserer Leistungsfähigkeit ab. Das wurde in den 16 Jahren unter der früheren Kanzlerin Angela Merkel verschlafen.
Der Zwölf-Punkte-Plan der FDP zur Wirtschaftspolitik hat vor allem den Koalitionspartner SPD sehr erzürnt. Wäre es im Sinne der Umsetzung nicht besser gewesen, solch ein Papier erst einmal innerhalb der Koalition zu diskutieren?
Weder die SPD noch die Grünen fragen uns vorher, wie wir zu ihren Forderungen etwa nach Steuererhöhungen stehen. Das ist übrigens auch okay so. Parteien unterscheiden sich, selbst wenn sie miteinander koalieren. Als Freie Demokraten positionieren wir uns ganz klar: für die soziale Marktwirtschaft und die Entlastungen der Menschen und Unternehmen. Das ist der Weg, den wir für richtig halten.
Sie wollen innerhalb der Koalition und in der Regierung dafür werben, die Punkte umzusetzen. Wie genau dürfen wir uns das vorstellen?
Der erste Schritt ist schon gemacht. Vorschläge aus dem Papier haben bereits Eingang gefunden in die Gespräche zwischen dem Bundeskanzleramt, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium. Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner sind sich in der Diagnose auch einig und sie werden nun über konkrete Schritte sprechen. Unsere Positionierung als Partei war da ein Weckruf.
Die Grünen würden gern viel mehr Geld per Förderbescheid verteilen als Sie und die Liberalen. Was ist falsch daran, Forschung – auch in einzelnen Unternehmen – noch stärker staatlich zu fördern?
An der Stelle müssen wir differenzieren. Forschung an Hochschulen oder Forschungseinrichtungen staatlich zu fördern, ist absolut richtig. Das machen wir im großen Stil, daran ändert sich auch nichts, im Gegenteil: Etwa bei Schlüsseltechnologien, wie der Künstlichen Intelligenz, unterstützt der Bund Forschungseinrichtungen zusätzlich, um vorne mit dabei zu sein und nicht den Anschluss an die USA verlieren. Anders sieht es dagegen bei größeren Subventionen für einzelne Unternehmen aus, da bin ich zurückhaltender.
Warum?
Weil der Staat nie exakt wissen kann, welches Unternehmen und welche Technologie am Ende wirklich Erfolg haben werden. Besser als Subventionen zu verteilen, ist es deshalb, die Rahmenbedingungen für Forschung, Innovationen und Transfer insgesamt zu verbessern und auf Technologieoffenheit zu setzen. Etwa durch die deutliche Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung, wie wir sie im Wachstumschancengesetz verankert haben. Das ist ein absoluter Innovationsbooster.
Da geht es um ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro. Die Wirtschaft klagt: viel zu wenig, damit das einen echten Effekt haben könnte. Warum nehmen wir nicht einfach neue Schulden auf, um private Investitionen in Erfindungen zu fördern, sei es durch Steuererleichterungen oder Fördergelder?
Schulden sind ein süßes Gift. Und auch die sogenannte "Goldene Regel", der zufolge Kredite für Investitionen in die Zukunft in Ordnung sind, hat schon früher nicht funktioniert. Politiker können sehr erfinderisch sein, wenn es darum geht, ihre Lieblingsprojekte so zu definieren, dass sie unter bestimmte Ausnahmeregeln fallen. Ich halte davon nichts – schon allein deshalb nicht, weil wir inzwischen so viel mehr Zinsen für Staatsschulden zahlen müssen, die dann künftige Generationen zusätzlich belasten. Aber die Politik kann Innovationen auch ganz ohne weiteres Geld fördern.
Bettina Stark-Watzinger, Jahrgang 1968, ist im Ampelkabinett Ministerin für Bildung und Forschung und zugleich stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP. Für Aufsehen sorgte sie im März 2023, als sie als erstes deutsches Regierungsmitglied seit 26 Jahren Taiwan besuchte, obwohl Deutschland die Republik offiziell nicht anerkennt. Stark-Watzinger stammt aus Frankfurt am Main, ist verheiratet und Mutter zweier Töchter.
Wie denn?
Indem wir den Gesetzgebungsprozess verändern. Bislang ist es so, dass die Gesetzesfolgenabschätzung vor allem darauf fokussiert, welche Gefahren und Risiken sich ergeben könnten. Wir sollten ein Innovationsprinzip ergänzen – dann müsste geprüft werden, welche zusätzlichen Chancen in einem Gesetz liegen.
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Und Sie meinen wirklich, das wird die stark gesunkene Zahl von Patentanmeldungen steigern?
Es wäre jedenfalls ein weiterer Baustein. Auch wenn die aktuellen Zahlen alles andere als befriedigend sind, es geht um mehr als Patente. Wir haben viele kluge Köpfe in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Aber deren Ideen gelangen noch zu selten in den Markt oder die Gesellschaft. Sie werden häufig nicht weiterverfolgt oder es entstehen Produkte oder Unternehmen im Ausland, zum Beispiel im Silicon Valley. Das heißt: Die Kommerzialisierung unseres Ideenreichtums findet zu oft nicht oder woanders statt. Das müssen wir ändern.
Wie wollen Sie das anstellen?
Zum einen durch die Bundesagentur für Sprunginnovationen, die wir Ende 2023 per Gesetz befreit haben, damit sie schneller und flexibler agieren kann bei der Förderung bahnbrechender Ideen. Hinzu kommt die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation, kurz DATI. Sie zielt darauf ab, Forschungsergebnisse noch stärker in die Anwendung in Unternehmen zu bringen. Das Interesse an der DATI ist schon jetzt enorm, deshalb treiben wir die Gründung weiter voran. Ein wichtiger Beitrag zur Wirtschaftswende.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie mit der "Wirtschaftswende" bei den Koalitionspartner komplett abblitzen und keinen einzigen Punkt umgesetzt bekommen?
Das ist eine hypothetische Frage. Angesichts der Lage halte ich es für undenkbar, dass wir als Regierung gar nicht auf die schwachen Konjunkturaussichten reagieren. Das wäre unverantwortlich, auch gegenüber der nächsten Generation. Ich glaube an die Kraft des Arguments und dass wir sehr gute haben.
Frau Stark-Watzinger, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Bettina Stark-Watzinger