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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Robert Habeck Plötzlich wird er zu Dr. Doom
Robert Habeck reist durch Ostdeutschland. Die Stimmung ist schlecht, die Wirtschaftslage auch. Warum drückt der Wirtschaftsminister ausgerechnet jetzt zusätzlich aufs Gemüt?
Er soll jetzt gefälligst mit ihnen reden. "Robert, komm raus! Wir wollen dich sehen!", brüllt jemand. Mehr als 50 sind es hier auf einer Straße in einem kleinen Ort im Thüringer Wald. Sie haben Traktoren mitgebracht und Plakate. "Zu viel ist zu viel!" steht auf einem, "Die Ampel muss weg!" auf einem anderen.
Sie sind wütend, so wie sie es in diesen Wochen vielerorts sind, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Eigentlich wollten sie ihn abpassen, ihn zur Rede stellen. Doch Robert, der grüne Vizekanzler Robert Habeck, hat mit seinem Dienstwagen eine andere Straße genommen. Und er kommt auch nicht raus. Zu hitzig, zu gefährlich.
Während die Wütenden draußen "Wir sind das Volk!" brüllen und über Lautsprecher davor warnen, dass der "deutsche Bevölkerungsanteil" zurückgedrängt werde, redet Habeck drinnen mit einem anderen Teil des Volkes über deren Sorgen. Mit den Chefs des Nougatherstellers Viba nämlich, die dringend Fachkräfte suchen, egal woher, und die zu wenige finden. Auch wegen – nun ja – dieser Art von Wütenden.
Robert und die Schokoladenfabrik. Das hätte auch angenehmer werden können.
Zwei Tage reist Robert Habeck in dieser Woche durch Ostdeutschland, erst durch Sachsen, dann durch Thüringen. Es ist ein schwieriger Besuch. Die Proteste, auch die persönlichen Angriffe, die ist der Grüne gewohnt, damit muss er inzwischen überall in Deutschland rechnen.
Das eigentliche Problem für den Wirtschaftsminister ist, dass nicht nur die Stimmung schlecht ist, sondern die Lage auch. Der Wirtschaft geht es mies, seiner Wirtschaft. Und statt etwas zu tun, streitet die Ampel vor allem darüber, was man alles tun könnte oder aber auf keinen Fall tun darf. Zu allem Unglück wird es auch politisch nicht gemütlicher. Bei den drei ostdeutschen Wahlen dieses Jahr droht eine bärenstarke AfD – und schwache Grüne. Wie geht Robert Habeck damit um?
"Habeck, der Idiot"
Es geht schon munter los. Mittwochmittag, Messe Leipzig, Halle 5. Die Mitteldeutsche Handwerksmesse läuft. An den Ständen wird geschnitzt, gehobelt, gelötet, und vor allem wird geworben, für den eigenen Betrieb, für das Handwerk insgesamt. Plötzlich bahnt sich ein Mann mit großem Gefolge den Weg durchs Gewusel.
"War das nicht der Habeck?", sagt jemand. Kaum da, ist er schon wieder weg.
"Habeck, der Idiot", murmelt ein anderer.
"Buuh!", bellen zwei Männer. Ihr Hund bellt nicht.
Robert Habeck muss nun erst mal auf eine Bühne, bevor er schnitzen, hobeln und löten darf. Dort sitzt er mit dem Chef des Deutschen Handwerks zusammen, mit Jörg Dittrich, der nicht versteht, warum das alles so lange dauert mit dem Staat und dem Bürokratieabbau. Und er sitzt mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen zusammen, mit Michael Kretschmer von der CDU, dem es ähnlich zu gehen scheint. Jedenfalls redet er sich fast in Rage darüber, was der Staat alles tun müsse.
"Da hat sich das Luftholen gelohnt", scherzt der Moderator nach Kretschmers Tirade. Und Robert Habeck sagt: "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie sind auch der Staat."
"Dramatisch schlecht"
Doch Habeck sagt noch mehr auf der Bühne in Leipzig, sehr viel mehr. Das Zitat, das anschließend von ihm aus der Runde über die Nachrichtenticker laufen wird, ist ein bemerkenswertes: "Das ist wirklich dramatisch schlecht", lautet es. "So können wir nicht weitermachen." Und der Wirtschaftsminister meint damit ausgerechnet: die Wirtschaft.
In diesem Jahr werde sie wohl nur um 0,2 Prozent wachsen, sagt Habeck. Schlechter als bislang gedacht. So musste er es in den Jahreswirtschaftsbericht schreiben, den er nächste Woche vorstellen wird. Ein Miniwachstum, wenn überhaupt. Und vor allem, nachdem die Wirtschaft im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent geschrumpft war.
Wenn ein Wirtschaftsminister die Wirtschaftsentwicklung "dramatisch schlecht" nennt, und damit auch seine eigenen Hausaufgaben, dann ist das erklärungsbedürftig. Vor allem, weil sich Habeck bisher als Optimismusbeauftragter verstanden hat, um die Lage nicht noch mit mieser Laune zu verschlechtern. Und jetzt wird er plötzlich zu Dr. Doom, zum Untergangspropheten?
Habeck gibt auf der Bühne selbst einen Hinweis, was ihn wohl antreibt. Auf die Frage nach dem "Warum?" der Krise antwortet er sich selbst: Unter anderem, sagt er, weil die Ampel sparen müsse. "Fehlendes Geld hat direkte Auswirkungen auf das Wachstum." Weil sich die Leute ohne Strom- und Gaspreisbremse eben weniger kaufen könnten. Zum Beispiel.
Raus aus den warmen, gemütlichen Ecken
Habeck bleibt dort nicht stehen. Zu viel Bürokratie und zu wenige Fachkräfte sind weitere Probleme, die er sieht und die auf seiner Reise immer wieder an ihn herangetragen werden. Seine Globalanalyse besteht aus drei weiteren Erklärungen für die Misere: Mit der billigen Energie aus Russland ist es vorbei. Mit dem Outsourcen unserer Sicherheit an die USA ebenfalls. Und auch auf China als Absatzmarkt und Werkbank können wir uns nicht mehr bedingungslos verlassen.
Was für Habeck am Ende aber eben auch immer auf seine Hauptbotschaft hinausläuft, die auf seiner Reise stets mitschwingt: Eigentlich brauchen wir jetzt mehr Geld, sonst wird das nichts.
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"Alle müssen raus aus ihren warmen, gemütlichen Ecken", sagt Habeck auf der Bühne. Es fällt nicht schwer, das als einen Gruß an seine Koalitionspartner zu verstehen, vor allem an die FDP. Und vielleicht hilft aus Habecks Sicht tatsächlich nur noch ein bisschen Untergangsrhetorik, noch etwas mehr Druck, um Finanzminister Christian Lindner umzustimmen, mehr Geld aufzutreiben. Durch eine Reform der Schuldenbremse, durch ein Sondervermögen, wie auch immer.
Denn Habecks Problem ist: Das mit dem zusätzlichen Wachstum ist kurzfristig gar nicht so einfach. Vieles, was die Ampel bisher plant, wirkt höchstens mittelfristig, wenn es denn hilft: Mehr Fachkräfte kommen nicht übermorgen. Und weniger Bürokratie steigert das Bruttosozialprodukt auch nicht über Nacht.
Mit mehr Geld, so Habecks Kalkül, können Staat und Privatleute schnell mehr kaufen. So helfen sie der Wirtschaft – und ganz nebenbei den Chancen des Wirtschaftsministers und seiner Partei bei den nächsten Wahlen. Und vielleicht hilft das auch etwas gegen die Wut.
Unten "grüne Idiotie", oben die AfD
Was die Wut im Land, die Wut in Ostdeutschland für die Politik bedeutet – mit dieser Frage wird Robert Habeck auf seiner Reise auch ganz explizit konfrontiert. Es ist Mittwochabend, der Vizekanzler ist bei einem Talk der "Leipziger Volkszeitung" zu Gast.
Unten vor der Tür werfen zwei Dutzend Demonstranten mit Bollerwagen und Megafon Habeck vor, die "Wirtschaft vor die Wand zu fahren" mit seiner "grünen Idiotie". Oben unter der Glaskuppel wird der Vizekanzler gefragt, was denn passiere, wenn die AfD bei den Landtagswahlen die stärkste Kraft werde.
Er hielte das "für ein sehr schlechtes Szenario für das Land", antwortet der Wirtschaftsminister, auch für die "ökonomische Situation". Es gebe gute Gründe dafür, sich "nicht der Wahlmüdigkeit hinzugeben".
Es klingt dann doch etwas ratlos. So ratlos, wie gerade alle Parteien auf eine AfD zu starren scheinen, die vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg überall mit um die 30 Prozent deutlich vorn liegt.
Bedrohung in Sachsen
Noch etwas ratloser wird Robert Habeck, als eine Zuschauerin schildert, was es derzeit heißt, für die Grünen in Sachsen Kommunalpolitik zu machen. Bedrohungen nämlich und persönliche Angriffe. Es nicht mehr zu wagen, allein auf Marktplätzen zu stehen, sondern nur noch in Gruppen.
"Die Reaktion ist", sagt die Frau, "dass sich viele nicht mehr trauen, sich in die erste Reihe zu stellen." Die Grünen finden nicht mehr genug Grüne, heißt das. Der Demokratie, so muss man es sagen, gehen auf dem Land die Demokraten aus.
Wie man die Leute ermutigen, wie man sie schützen könne, will die Grüne also von ihrem Vizekanzler wissen.
Er könne da aus seiner beschützten Welt schwer Rat geben, antwortet Habeck. "Das wäre, glaube ich, nicht angemessen", findet er. Er könne verstehen, dass man sich nicht traut. Gemeinschaftliches Auftreten könne helfen, sich Alliierte zu suchen auch. Die Demokratie lebe davon, dass sich Menschen engagierten.
Es brauche Zivilcourage, findet Habeck. Und dazu gehöre auch eine sprachliche Sensibilität. "Es ist etwas ins Rutschen geraten. Dinge sind sagbar geworden, die früher nicht sagbar waren." Besonders die Leute, die in Mikrofone reinsprächen, Politikerinnen und Politiker, dürften Menschen nicht von der Debatte ausschließen.
Es ist ein Appell. Und kein Plan.
- Reise mit Robert Habeck nach Sachsen und Thüringen am 14. und 15. Februar