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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Beim Potsdamer Geheimtreffen dabei Der extrem rechte Influencer
Auf Instagram hatte er gut 100.000 Follower, redete über Darmgesundheit und straffes Bindegewebe. Doch Henning Pless ist eigentlich ein strammer Rechtsextremer.
Wie viele Formen kann Stuhl haben? Sieben, sagt Henning Pless, ein Heilpraktiker aus Kiel. Der Stuhl unterscheidet sich laut Pless in Form und Konsistenz, kann etwas über die Gesundheit eines Menschen aussagen. Solche und andere Weisheiten gibt der "Darmexperte", wie er sich selbst nennt, auf Instagram von sich und hat dort über die Jahre eine beachtliche Followerschaft aufgebaut. Mehr als 100.000 Menschen vertrauen ihm und seinen Darmtipps.
Pless war beim Treffen im Gasthaus Adlon dabei, bei dem die Teilnehmer über die Deportation von Millionen Menschen in Länder außerhalb Europas fantasiert haben.
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Hier trafen sich im vergangenen November AfD-Politiker, Rechtsextremisten und Mitglieder der "Werteunion", so berichtete es die Rechercheplattform "Correctiv". Bei dem Treffen soll es um Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland gegangen sein. Der angebliche Organisator des Treffens ist Gernot Mörig. Ein bekannter Zahnarzt aus Düsseldorf, der seit Jahren in rechten Kreisen aktiv ist, "Bundesführer" des rechtsextremen "Bund Heimattreuer Jugend" gewesen ist.
Und Bekannter des Heilpraktikers Henning Pless aus Kiel. War der Darmexperte also nicht zufällig auf diesem Treffen? Denn Pless ist auch über Mörig hinaus in der völkisch-rechtsextremen Szene eng vernetzt. Wenn nicht sogar ein Ideengeber für die kruden Theorien, wie eine Recherche von t-online nahelegt.
"Heilpraktiker" aus Kiel
Es ist eine unscheinbare Praxis in der Mitte von Kiel. Immer wieder gehen Leute ein und aus, schätzen die Dienste ihres Heilpraktikers Henning Pless. Er ist in Teilen der Kieler High Society ein angesehener Mann, auf Facebook befreundet mit Kieler Politikern oder im Einsatz für den Fußballverein Holstein Kiel. Auch wenn schon seit vielen Jahren eine dunkle Wolke über dem "Darmexperten" Pless schwebt. Denn dass Pless bestens in rechte Kreise vernetzt ist und teilweise hohe Position in Organisationen innehatte, die im Visier des Verfassungsschutzes waren, ist in Kiel ein offenes Geheimnis.
Pless' rechtsextreme Haltung war bekannt
Immer wieder gab es Demonstrationen vor Pless' Praxis, organisiert von antifaschistischen Gruppen, die schon 2014 auf die problematische Vergangenheit von Pless hingewiesen haben. Der ist nämlich schon in der Jugend mit rechtsextremem Engagement aufgefallen. Kurz nach der Gründung der "Die Heimattreue Jugend" (HJ) wurde Pless dort Bundesführer. Die DHJ war eine Vorgängerorganisation der "Heimattreuen Deutschen Jugend", die 2009 vom Bundesinnenministerium verboten wurde.
Adolf Hitler als "Held unserer Geschichte"
In der Begründung für das Verbot im März 2009 schreibt das Ministerium, die "HDJ ist eine rechtsextremistische Jugendorganisation mit neonazistischer Ausrichtung". Funktionäre der HDJ würden sich offensiv zu Adolf Hitler und anderen "führenden Repräsentanten des Nationalsozialismus" bekennen. Die HDJ organisierte während Pfingstlagern Heldengedenkfeiern, bei denen Adolf Hitler als "Held unserer Geschichte" verehrt wurde.
Doch woher kommt Pless' Faible für das völkisch-nationalistische Milieu? Der ehemalige Darm-Influencer kommt aus Hamburg. Dort ist er laut eigenen Angaben auf die Rudolf-Steiner-Schule in Hamburg Farmsen gegangen. Eine Waldorfschule, die sich an der Lehre des umstrittenen Wissenschaftlers Rudolf Steiner orientiert. Steiner ist Begründer der Anthroposophie, die wegen einer angeblichen Nähe zum Rassismus in der Kritik steht. Er selbst beschrieb in seinen Werken "rassische Unterschiede" von Menschen, seine Lehre wurde aber von den Nationalsozialisten relativ bald nach der Machtübergabe verboten. Ob Pless durch die Lehren dieser Schule einen Hang zum Völkischen entwickelte, ist unklar.
Rechter "Schulverein" in Russland
Klar ist: Sein Leben bewegt sich seit der Schulzeit rund um rechtsextreme Organisationen. So gründet Pless 1992 gemeinsam mit weiteren Rechten einen Verein, der schnell dem Bundesamt für Verfassungsschutz auffällt. Der Verein heißt: "Schulverein zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreußen." Die offiziellen Ziele des Vereins laut internen Papieren: Schulen in Russland errichten und deutschen Unterricht anbieten.
Der Verein kaufte über Jahre in Trakehnen in der Oblast Kaliningrad in Russland Immobilien, baute Schulen und schickte eigene Lehrkräfte nach Russland, um dann nach eigenen Vorstellungen Kinder zu unterrichten.
Rechtsextremes Netzwerk
Mitgründer und Vorstandsmitglied dieses Vereins war unter anderem Thomas Grebien. Der ist Beisitzer im AfD-Kreisverband Plön. Und Grebien ist Mörigs Schwager. Er spielt für das Treffen in Potsdam, bei dem die Deportationsgedanken offen geäußert wurden, eine entscheidende Rolle. Nach Recherchen von "Correctiv" soll bei diesem Treffen im Landhaus Adlon empfohlen worden sein, hohe Geldbeträge zu spenden – und zwar auf das Konto von Thomas Grebien. Das sogenannte "Düsseldorfer Forum" nutze demnach das private Konto Grebiens bei der Postbank Hannover. Dieses Forum hatte das Treffen in Potsdam organisiert.
Drahtzieher des Treffens
Der Mann hinter dem "Düsseldorfer Forum" ist Gernot Mörig. Er gilt als Drahtzieher des Treffens, das aufgrund seiner rechtsextremen Auswüchse bekannt geworden ist. Und Mörig ist offenbar auch gut bekannt mit dem Darm-Influencer Henning Pless aus Kiel. Sie kennen sich zum einen aus dem "Bund Heimattreuer Jugend", in dem beide Mitglied waren. Heute gilt dieser Bund, der mittlerweile "Freibund" heißt, als Kaderschmiede für die Junge Alternative und die AfD. Zum anderen war Mörigs Schwester Gerlind auch Teil des Vorstands des "Schulvereins zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreußen". Pless hängt also mit Thomas Grebien, Gernot Mörig und dessen Schwester Gerlind direkt zusammen.
Holstein Kiel vertraute auf Pless
Lange Zeit hatten die teilweise bekannten Verbindungen ins rechtsextreme Milieu niemanden gestört. Sogar Holstein Kiel, die fast in die erste Fußballbundesliga aufgestiegen wären, vertrauten auf Pless. Bezeichneten ihn auf Ihrer Homepage als "Partner". Geschäftsführer Wolfgang Schwenke traf sich mit dem Rechtsextremen und diskutierte über ausgewogene Ernährung. Der Blogbeitrag auf der Seite von Holstein Kiel ist mittlerweile gelöscht.
Ein Sprecher teilte t-online mit, dass Pless "von 2014 bis 2020 Partner im Rahmen unseres Störche-Clubs" war. Seit 2021 laufe die Partnerschaft aber nicht mehr. Die Begründung ist eindeutig: "Im Laufe der Partnerschaft gab es allerdings Gründe, die uns dazu bewogen haben, die Partnerschaft zu beenden." Und der Sprecher fügte hinzu: "Als weltoffener und toleranter Verein dulden wir keine rassistischen oder antisemitischen Tendenzen und Ideologien."
Weitere rechte Verbindungen
Doch es gibt noch weitere, tiefe Verbindungen des scheinbar harmlosen Influencers in die rechtsextreme Szene. Er ist befreundet mit Dietmar Munier, einem bekannten rechten Verleger. Dieser Verlag sitzt in Martensrade in der Nähe von Kiel und bringt zahlreiche Magazine heraus. Zum Beispiel "Zuerst!", das der Amadeu Antonio Stiftung zufolge "Themen aus dem rechtsextremen Spektrum in scheinbar seriöser Aufmachung bis an die Bahnhofskioske" bringe. In der "Zuerst!" kommen außergewöhnlich viele Politiker der AfD zu Wort. Interviewt werden Björn Höcke, Hannes Gnauck, AfD-Bundestagsabgeordneter und Bundeswehrsoldat, Steffen Kotré, der Energiepolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, und Christian Wirth, der saarländische AfD-Landesvorsitzende. Die Zeitung von Pless-Freund Dietmar Munier gilt als ein Sprachrohr der AfD.
Munier selbst veranstaltete auf seinem Grundstück immer wieder sogenannte Sonnwendfeiern, bei denen auch der verurteilte Holocaustleugner Ernst Zündel zu Gast war. t-online liegen Fotos vor, die das belegen.
Henning Pless antwortete auf Anfrage von t-online nicht.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein Jan Kürschner warnt vor dem Netzwerk rund um Pless. "Das sind Personen, die seit über 30 Jahren offen rechtsextrem agieren und jetzt in der AfD wirken.", sagt er t-online. "Davor darf niemand die Augen verschließen. Niemand kann später sagen, man habe von nichts gewusst."
Als Vorstandsmitglied des rechten Schulvereins trat Henning Pless 2014 zurück. Doch auch noch Jahre später trat Pless nach außen als Bevollmächtigter des Vereins auf. Das belegen Dokumente, die t-online vorliegen. Die rechtsextremen Ansichten hatte er offenbar noch nicht abgelegt.
- Vereinsregisterauszüge "Schulverein zur Förderung von Rußlanddeutschen in Ostpreußen e.V."
- Webseite Schulverein
- Anfrage Henning Pless
- Anfrage Holstein Kiel
- Eigene Recherche