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Schleswig-Holstein: 120 Gewehre bei Polizei verschwunden – droht Gefahr?


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Wo sind 120 scharfe Gewehre?
"Wirklich besorgniserregend!"


Aktualisiert am 11.11.2023Lesedauer: 8 Min.
Waffenkammer des Sammlers Peter Frank, darüber der Schriftzug "unbekannter Verbleib" und ein FadenkreuzVergrößern des Bildes
Waffen aus der Sammlung von Peter Frank sind weg. Verschwunden aus der Hand der Behörden (Montage). (Quelle: privat)
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In Schleswig-Holstein sind gut 120 scharfe Schusswaffen aus dem Gewahrsam der Polizei und der Waffenbehörde verschwunden. t-online-Recherchen zeigen: In dem Verfahren sind Fehler passiert, die die Behörden schwer belasten.

Peter Franks Hobby sind Waffen. Jahrelang sammelte er vorwiegend ein bestimmtes Gewehr in unterschiedlichen Ausführungen: das Modell 98. Mehr als 800 Exemplare hatte er davon in seiner Waffenkammer. "Dieses Hobby müssen nicht alle teilen", sagt Frank, 66. "Aber solange ich mich an die Regeln halte, denke ich, sollte das alles kein Problem sein."

Frank, das sagen Freunde und Bekannte, sei übergenau und penibel. Den Standort der Waffen in seiner Kammer habe er immer genau dokumentiert, neue Waffen stets sofort bei der Behörde angemeldet, wie er t-online mit Unterlagen belegt. Dieser habe er sogar manchmal mit seiner Expertise geholfen. Doch als in der Waffenbehörde in Husum vor einigen Jahren die Sachbearbeiterin wechselte, begannen für ihn die Schwierigkeiten.

Entscheidend: Die neue Sachbearbeiterin entzog Frank die waffenrechtliche Erlaubnis und ließ vom Landeskriminalamt Gewehre aus der Waffenkammer ausräumen, bezeichnete Franks Sammlung als chaotisch. Frank wurde gegen seinen Willen während der Beschlagnahmung im Wohnzimmer festgehalten, er konnte nicht kontrollieren, was ihm weggenommen wurde, und er konnte der Behörde auch nicht helfen, die Waffen ordnungsgemäß zu dokumentieren.

Seitdem tobt ein Rechtsstreit zwischen ihm und der Waffenbehörde. Ihm werden Verstöße gegen das Waffenrecht vorgeworfen. Er widerspricht dem. Und in diesem Rechtsstreit gibt es zahlreiche Ungereimtheiten. Zum Beispiel, dass mehr als 120 seiner Gewehre verschwunden sind, die die Behörde in Obhut nahm. t-online berichtete über diesen Fall.

Neue Recherchen belegen jetzt, dass sogar die Waffenbehörde mittlerweile einräumen muss, nicht zu wissen, wo die scharfen Gewehre sind. Doch ermitteln will die Polizei deswegen nicht. t-online liegen zudem Belege vor, dass im Gerichtsverfahren gegen den Waffensammler Peter Frank von Mitarbeitern des LKA Akten manipuliert worden sind und die Richterin befangen ist. Vor allem drei Dinge muten seltsam an.

Die drei Ungereimtheiten

1. Die Waffen mit unbekanntem Verbleib

Bislang war es so, dass sich das Fehlen der mehr als 100 Waffen vorwiegend dadurch belegen ließ, dass Frank aufwendig rekonstruierte, wo welche Waffe in seinem Waffenraum stand. Er zählte dann anhand von Fotos des Landeskriminalamtes seiner Waffenkammer nach, wie viele Waffen er genau besaß. Diese Zahl glich er dann mit der Ausräumliste ab, die ihm das Landeskriminalamt und die Waffenbehörde Husum übergeben hatten. Die Waffenbesitzkarten, die er den Behörden freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, waren bis vor wenigen Wochen bei den Behörden nicht auffindbar.

Es gab viele Ungereimtheiten auf dieser Ausräumliste, über die t-online schon berichtete. So wurden Waffen nachträglich in die Liste aufgenommen, Waffen waren doppelt auf der Liste vermerkt oder eben gar nicht.

Zunächst waren es um die 150 Waffen, die Frank mit Fotos dokumentiert hatte, die jedoch weder in der Waffenbehörde in Husum noch beim Landeskriminalamt gelistet waren. Eine genaue Zahl zu ermitteln, ist anhand der Fotos nicht möglich. Es könnten also noch mehr sein.

Sammlerstücke mit hohem Wert

Peter Frank erstattete deshalb Anzeige gegen Unbekannt. Er befürchtet, dass die wertvollen Sammlerstücke über die Behörden in die falschen Hände geraten. Einzelne seiner Gewehre sind mehr als 25.000 Euro wert.

Doch trotz seiner Anzeige nahm die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen auf, wie das LKA auf Anfrage mitteilte. Als sich Franks Anwalt darüber bei der Generalstaatsanwaltschaft beschwerte, deckte diese die ausbleibenden Ermittlungen. Dabei gibt es inzwischen noch härtere Indizien dafür, dass die Waffen entwendet wurden.

Dazu muss man wissen: In Deutschland muss jede Waffe im Nationalen Waffenregister eingetragen werden. Mit der Modellbezeichnung, dem Grund, warum jemand eine Waffe besitzt, und auch dem Status. Dieser Status gibt Auskunft darüber, wo sich die Waffe befindet. Bei vielen von Franks Waffen steht da mittlerweile "vernichtet" – obwohl eine Vernichtung vor Ende eines möglichen Verfahrens illegal ist. Peter Frank könnten deshalb mehrere Hunderttausend Euro Schadenersatz zustehen.

Genauso bemerkenswert ist aber, dass bei 184 Waffen als Status der Waffen "unbekannter Verbleib" eingetragen ist. 184 scharfe Gewehre oder Teile dieser Gewehre sind nun also offiziell und behördlich verbrieft einfach verschwunden.

"Kenne keinen vergleichbaren Fall"

"Ich kenne keinen vergleichbaren Fall", sagt Werner Linn. Der Rechtsanwalt vertritt Peter Frank in diesem Verfahren und ist ein Experte für Waffenrecht. "Dass hier das Landeskriminalamt nicht ermittelt, ist ein Skandal", so Linn. Er stellt offen die Frage, ob Mitarbeiter des Landeskriminalamtes oder der Waffenbehörde geschützt werden sollen.

Das Innenministerium hat auf Nachfrage von t-online die Frage, warum nicht ermittelt wird, bislang nicht beantwortet. Eine Sprecherin des Landeskriminalamts teilt mit, dass ein Teil der gelagerten Waffen in die Sammlung des LKA übernommen wurde. Der Rest sei vernichtet worden. Eine Liste, welche Waffen vernichtet wurden, gibt es aber nicht.

Das LKA sagt, dass es 174 Waffen "mit dem Ziel einer späteren Prüfung auf Übernahme in die Waffensammlung des LKA" übernommen habe. Von diesen Waffen sind aber im Nationalen Waffenregister auch viele mit dem Status "unbekannter Verbleib" und "vernichtet" geführt.

Im direkten Zusammenhang mit unserer Anfrage meldete die Waffenbehörde dem Nationalen Waffenregister sieben Veränderungen. Der Status "unbekannter Verbleib" wurde geändert. Worauf, teilte die Behörde nicht mit.

Es ist also nach wie vor völlig unklar, wo die Waffen mit "unbekanntem Verbleib" tatsächlich sind. Und ob sie möglicherweise verschwunden sind.

2. Die Aktenmanipulation

Dabei steht ein Mitarbeiter des Landeskriminalamtes im Zentrum dieses Waffenskandals.

Eigentlich gilt in Gerichtsverfahren wie auch in anderen behördlichen Verfahren das Gebot der Aktenklarheit und Aktenwahrheit. Das heißt: Es dürfen keine Akten weggelassen, verändert oder gar vernichtet werden. Das Behördenhandeln muss immer klar nachvollziehbar sein.

Nachträglich gesetzte Kreuze

Der zuständige Mitarbeiter des Landeskriminalamtes nahm es damit aber in Peter Franks Fall offenbar nicht so genau. So hatte er bei Räumung von Franks Waffenkammer eine Liste mit Gegenständen erstellt, die er in die Obhut des Landeskriminalamtes nahm. Darauf standen unter anderem Munition und Waffenteile, aber keine Waffen. t-online liegt die Liste vor.

Frank war mit der Durchsuchung und auch mit der Mitnahme der Gegenstände nicht einverstanden. Er verweigerte deshalb die Unterschrift auf diesen Listen. Das vermerkte der Beamte des Landeskriminalamtes auch. Doch es gibt eine Auffälligkeit: Auf dem Durchschlag der Liste, die Peter Frank vom Beamten übergeben wurde, ist kein Kreuz bei "Widerspruch" und auch nicht bei "keinen Widerspruch". Auf der Liste, die sich in der Akte befindet, ist jedoch bei letzterem ein Kreuz gesetzt. Hier scheint also nachträglich etwas manipuliert worden zu sein, um die Mitnahme der Gegenstände zu rechtfertigen.

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Wie es zu dem nachträglich hinzugefügten Kreuz gekommen ist, wollte das Innenministerium mit dem Verweis auf die laufende Gerichtsverhandlung nicht beantworten.

Franks Anwalt Werner Linn ist alarmiert: "Es ist prinzipiell nicht hinnehmbar, dass Akten von Behörden manipuliert werden. Dagegen gibt es Gesetze."

3. Die befangene Richterin

Das Verfahren am Amtsgericht in Husum wegen angeblichen Verstößen gegen das Waffengesetz wird von einer erfahrenen Richterin geführt. Sie hat Hunderte Verfahren bearbeitet und hält Vorträge unter anderem an der Deutschen Hochschule der Polizei. Vor wenigen Monaten hatte sie dort einen Auftritt mit dem Namen "TOA als Bestandteil richterlichen Handelns". TOA steht für Täter-Opfer-Ausgleich. Sonderlich ausgleichend ist sie aber im Verfahren gegen Peter Frank nicht.

Hier verstieß sie nämlich auch gegen essenzielle Regeln des Strafprozesses. Das zeigte sich an ihrer Suche nach einem Pflichtverteidiger für Peter Frank. Sie strebte das an, obwohl Frank schon durch Werner Linn vertreten wurde.

Richterin sucht Pflichtverteidiger

Pflichtverteidiger werden Beschuldigten bei manchen Verfahren an die Seite gestellt, gerade, wenn es eine besonders schwere rechtliche Materie ist. Das Waffengesetz ist so ein Rechtsfeld, auf dem sich bundesweit wenige Strafverteidiger auskennen. Franks Anwalt Linn gehört zu ihnen. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Richter einen Pflichtverteidiger bestellen. Und häufig suchen sich die Richter dann auch Anwälte aus, die sie gut kennen, bei denen sie wissen, dass nicht zu viel Gegenwind kommt. Das legen Statistiken der Gerichte nahe. Pflichtverteidiger stellen weniger Anträge in Verfahren, erwirken weniger Freisprüche und gehen seltener gegen das Gericht vor.

Die Richterin im Verfahren gegen Frank ging einen speziellen Weg. Sie schrieb einen Anwalt an, der sich mit dem Waffenrecht NICHT auskannte und bat ihn, die Verteidigung von Peter Frank zu übernehmen. Also jemanden, der Frank gar nicht ohne Weiteres verteidigen konnte und wollte.

Auf Biegen und Brechen

Das teilte dieser Anwalt der Richterin auch mit, bat darum, ihn nicht als Pflichtverteidiger zu bestellen. Er schrieb, dass ihm "jedwede tiefergehende Kenntnisse" des Spezialgebiets "Waffenrecht" fehlten. Außerdem habe er noch keinen Zugang zu den Akten bekommen. Er sehe sich daher nicht in der Lage, "die Verteidigung sachgerecht" durchzuführen. Klarer ging es kaum.

Doch die Richterin wich nicht von ihrem Plan ab. Sie schrieb dem Verteidiger noch eine E-Mail: "Ich weiß, dass die Situation für alle Beteiligten keinen Anlass zur Freude gibt. Trotzdem: es wäre wirklich toll, wenn Sie mit verteidigen würden", heißt es darin.

Richterin befangen

Diese E-Mail der Richterin sollte offenbar niemand sehen. Zumindest wurde sie nicht zur Akte genommen. Hiermit verstieß die Richterin bewusst oder unbewusst gegen das Gebot der Aktenklarheit und Aktenwahrheit. Nur durch einen Zufall erfuhren Peter Frank und sein Anwalt Linn von der Mail und stellten einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Das Landgericht Flensburg gab diesem Antrag statt. Dass eine Richterin oder ein Richter für befangen erklärt werden, kommt äußerst selten vor.

Die vom Landgericht festgestellte Befangenheit bezieht sich nur auf eine sogenannte Nachtragsanklage, also eine Anklage, die noch nach der eigentlichen Anklage von der Staatsanwaltschaft beabsichtigt war. Diese hatte Frank nämlich ein Angebot gemacht: Er solle eine Strafe im ersten Verfahren wegen Verstößen gegen das Waffengesetz akzeptieren, andernfalls würden sie noch weitere Punkte anklagen. Frank hatte dieses Angebot nicht akzeptiert. Er wollte und will einen Freispruch und stellte deshalb den erfolgreichen Befangenheitsantrag.

Die Richterin will trotzdem das Ursprungsverfahren weiterführen. Auch wenn das Landgericht einen ganz klaren Satz in seiner Begründung der Befangenheit formulierte:

"Allerdings hängen vorliegend die Verfahren derart – auch zeitlich – eng zusammen, dass der Angeschuldigte aus seiner Sicht befürchten muss, dass die abgelehnte Richterin [...] auch im vorliegenden Verfahren nicht darum bemüht sein könnte, ihm eine ordnungsgemäße Verteidigung zu ermöglichen."

Ein Gerichtssprecher teilte auf Nachfrage mit, dass nun geprüft werde, ob die Richterin auch für das Ursprungsverfahren befangen ist und eigentlich abgelöst werden müsste.

Franks Anwalt, der bundesweit Waffenrechts-Fälle vertritt, sagt: "So ein Fall ist meines Wissens nach in der Bundesrepublik einmalig." Er hofft darauf, dass nun ein fairer Prozess geführt werden kann, mit einem unbefangenen Richter. Die anberaumten Termine wurden nach der Feststellung, dass die Richterin befangen ist, zunächst auf unbestimmte Zeit zum insgesamt siebten Male verschoben.

Die Opposition in Schleswig-Holstein macht sich große Sorgen. Der Innenpolitiker der SPD-Fraktion im Landtag, Niclas Dürbrook, sagt: "Es darf nicht sein, dass Schusswaffen in Obhut der Behörden vom Radar verschwinden, erst recht nicht in einer so großen Anzahl." Die Auszüge aus dem nationalen Waffenregister seien deshalb "wirklich besorgniserregend". Er werde jetzt das Ministerium auffordern, Klarheit zu schaffen. Dieses müsse das Interesse haben, "den Fall schnellstmöglich aufzuklären".

Verwendete Quellen
  • Nationales Waffenregister (NWR)
  • Diverse Ausräumlisten von LKA und der Waffenbehörde Husum
  • Beschluss des Landgerichtes Flensburg vom 25.07.23 zur Befangenheit der Richterin
  • E-Mail der Richterin
  • Schriftsätze des gewollten Pflichtverteidigers
  • Telefonate mit Peter Frank
  • Telefonate mit Werner Ceasar Linn, Verteidiger von Frank
  • Anfrage Innenministerium Schleswig-Holstein
  • Anfrage LKA Schleswig-Holstein
  • Anfrage Landgericht Flensburg
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