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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Revolte in der FDP In der Schwebe
26 FDP-Politiker schicken einen Brandbrief an die Parteiführung, intern will mancher über den Verbleib in der Ampelkoalition abstimmen. Wird das zur Gefahr für den Parteichef?
Der Weckruf erreichte Christian Lindner in seiner alten Heimat. Und er erreichte ihn schriftlich. Es ist ein langes Schreiben unter der Zeile: "Weckruf Freiheit". 26 Kommunalpolitiker der FDP aus Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Bayern stellen darin die Ampelkoalition infrage und fordern nicht weniger, als den Verbleib ihrer Partei darin zu überdenken. Das Schreiben wurde am Dienstagabend publik. Gerade, als Parteichef Lindner in Nordrhein-Westfalen unterwegs ist, wo er aufgewachsen ist und auch lange im Landtag saß.
Nun muss Lindner sich mit der kleinen Revolte auseinandersetzen. Schnell geistert der Weckruf durch die Presse, Radiosender berichten. Lindner sagt in der "Rheinischen Post", dass er zu den Kompromissen und Entscheidungen der Ampelkoalition stehe. Er mache den Grünen nicht zum Vorwurf, dass sie "ein fundamental anderes Gesellschaftsbild" hätten als er selbst. Und dann sagt Lindner noch, sollte irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem keine vertretbaren Kompromisse mehr gefunden werden könnten, gelte weiterhin sein Satz aus dem Jahr 2017: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."
Das ist der Kompromissvorschlag des Parteichefs. Sein Versuch, wieder Ruhe in die Partei zu bringen. Im Kern heißt das: "Keine Sorge, ich lasse mich schon nicht über den Tisch ziehen – sonst stehe ich eben auf und gehe." Nun ist die Frage, ob das reicht.
Wird sich Lindner noch klarer abgrenzen?
Denn seit Wochen rumort es in der FDP. Teile der Basis sind unzufrieden, weil die letzten Landtagswahlen schlecht gelaufen sind – wie schon etliche davor. Auf Bundesebene liegen die Umfragewerte bei fünf Prozent. In Hessen will ein Kommunalpolitiker sogar eine Unterschriftenaktion initiieren, um über den Verbleib in der Ampelkoalition abzustimmen. Wackelt da die Machtbasis des Parteichefs? Oder hält er seine Macht fest – aber wird sich künftig im Regierungshandeln noch klarer abgrenzen?
Die Revolte ist schon deshalb besonders, weil in den letzten Monaten Ruhe eingekehrt war. Bei den Grünen war mancher darüber erfreut, dass mit der FDP erste Kompromisse bei der Migrationspolitik gefunden werden konnten. Es knirschte zwar bei den Verhandlungen, aber immerhin: kein Ärger vor der Presse, keine Durchstechereien an die Medien, keine gegenseitigen Schuldzuweisungen. Das war in den Monaten zuvor, beispielsweise beim politischen Kampf um das Heizungsgesetz, ganz anders.
Es war ein neuer Versuch der Liberalen. Der Ansatz, mit den Regierungspartnern geräuscharm zu regieren. Zuvor hatte eine andere Devise gegolten, die ein Abgeordneter einmal so beschrieb: "Wir werden vielleicht als Bremsklotz wahrgenommen – aber unsere Wähler finden es gut, wenn wir grüne Spinnereien blockieren." Das Problem an dieser Strategie war: Sie ging nicht auf. Die Landtagswahlen im letzten Jahr, unter anderem in Nordrhein-Westfalen und im Saarland, liefen trotzdem schlecht. In dem Alarmschreiben jetzt heißt es unter anderem: "Landtagsfraktionen, welche für die FDP-Bundespolitik selbst keine Verantwortung tragen, mussten erhebliche Verluste in Kauf nehmen."
Bei den Grünen dürften viele wütend werden
Auch unabhängig vom Brandbrief ist die Lage aufgeladen. Das weiß Lindner. Und in diesen Tagen wirkt es, als würde der Parteichef seinen Ton erneut verschärfen. Weg von der Geräuschlosigkeit, hin zu mehr Lautstärke. Und so, das könnte die Hoffnung sein, mehr Profilierung für die eigene Partei zu bewirken.
Noch in Nordrhein-Westfalen sagte Lindner dem "Kölner Stadtanzeiger" nun: "Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden." Dabei hat die Ampelregierung sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass der Ausstieg "idealerweise bis 2030" kommen soll. Lindner argumentiert nun, für das Klima bringe diese Vorgabe nichts, da die in Deutschland eingesparten CO2-Emissionen wegen der europäischen Regeln zum Beispiel in Polen zusätzlich anfallen dürften. Bei den Grünen dürften viele wütend werden.
Schon zuvor hatte Lindner sich von den Grünen abgegrenzt. Gemeinsam mit FDP-Justizminister Marco Buschmann hatte er in einem Gastbeitrag für die "Welt" geschrieben, er wolle Leistungen für Asylbewerber kürzen. Das war noch vor dem Brandbrief, aber Lindner dürfte schon klar gewesen sein, wie aufgeladen die Stimmung in der Partei ist.
Ob seine Strategie überzeugt, dürfte die Reaktion der Mitglieder zeigen
Zudem spricht sich Lindner auch weiterhin deutlich gegen den Industriestrompreis aus – den viele Grüne wollen. Sei mit ihm nicht zu machen, wiederholt der Finanzminister immer wieder, zuletzt Anfang der Woche. Dass das grüne Außenministerium sich bei der Abstimmung über eine UN-Resolution im Israel-Krieg enthalten hatte, stieß auf Kritik in der FDP. "Das Votum des Außenministeriums ist enttäuschend und nicht nachvollziehbar", sagte Lindners Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Große Verwunderung in der Koalition, aus Regierungskreisen hieß es, die Enthaltung sei mit der FDP doch abgestimmt gewesen. Der Sprecher des Finanzministeriums teilte dem "Tagesspiegel" mit: "Das Bundesfinanzministerium wurde über die Entscheidung informiert, war aber in den Entscheidungsprozess nicht eingebunden."
Es geht hin und her in diesen Tagen. Teilweise wirkt es, als wolle Lindner vor die Welle der Entrüstung in seiner eigenen Partei kommen. Es ist ein steter Abwägungsprozess: Wie viel Abgrenzung ist zu den eigenen Regierungspartnern möglich? Auf der einen Seite will Lindner die Regierung nicht gefährden. Auf der anderen Seite möchte er die im Alarmschreiben kanalisierte Wut nicht ignorieren. Ob seine Strategie überzeugt, wird sich in der Reaktion der Mitglieder zeigen. Die Unterschriftenaktion in Hessen, damit über den Verbleib in der Regierung abgestimmt wird, läuft jedoch bereits.