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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krisenberater über den Fall Aiwanger "Danach sollte er sich nicht mehr äußern"
Hubert Aiwanger hat sich entschuldigt und spricht von einer politischen Kampagne gegen ihn. Wie glaubwürdig das ist, erklärt ein Experte für Krisenkommunikation.
Hubert Aiwanger ist unter Druck. Seit einer Woche wird über die Affäre um ein antisemitisches Hetzblatt aus seiner Schulzeit diskutiert. Dabei geht es nicht nur um die Frage, was genau der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns und Vorsitzende der Freien Wähler damit zu tun hat. Sondern auch um seinen Umgang mit der Affäre. Für Aiwanger ist es die bislang größte politische Krise. Marcus Ewald ist Kommunikationsexperte und kennt sich mit solchen Krisen aus. Er weiß, wie Aiwanger sich jetzt verhalten sollte.
t-online: Herr Ewald, ist Hubert Aiwanger in seinem Umgang mit der Affäre gut beraten?
Markus Ewald: Nein, das wirkt für mich nicht so.
Warum?
Die "Süddeutsche Zeitung" hat Hubert Aiwanger mit Fragen zum Flugblatt eine Woche vor der Veröffentlichung des ersten Artikels konfrontiert. In dieser einen Woche hätte Aiwanger viel Zeit gehabt, sich eine ordentliche Strategie zu überlegen, wie er erklärt, warum das Flugblatt in seinem Schulranzen war. Nur, das ist offenbar nicht passiert. Stattdessen konnten wir live dabei zuschauen, wie Aiwanger seine Positionen nach der Veröffentlichung immer wieder angepasst hat. Erst gab er zu, dass sich das Flugblatt in seiner Schultasche befunden hatte und dass er dafür von der Schule bestraft worden war. Dann sagte sein Bruder: Ich war's! Und schließlich, als der Druck immer größer wurde, hat er sich am Donnerstag endlich entschuldigt.
Wie beurteilen Sie diese Entschuldigung?
Sie entsprach dem, was die Öffentlichkeit ohnehin von ihm gefordert hat. Das macht sie daher nicht besonders glaubwürdig. Dafür hätte sie kommen müssen, bevor die Öffentlichkeit Druck aufbaute. Trotzdem ist es natürlich gut, dass er das genauso gesagt hat. Sich bei den Menschen, die sich von dem Inhalt des Flugblattes verletzt fühlen, zu entschuldigen, war wichtig, und insbesondere sich noch mal ausdrücklich zu distanzieren – auch und gerade für die deutsche Erinnerungskultur. Der zweite Teil des Statements allerdings, in dem er von einer politisch motivierten Kampagne gegen ihn spricht, war nicht so weise.
- Lesen Sie hier Hubert Aiwangers Entschuldigung im Wortlaut
Warum?
Weil er damit Weinerlichkeit signalisiert und sich als Opfer darstellt, was schlicht nicht zutrifft. Es gibt selten eine große Verschwörung bei solchen Sachen. Sie passieren, weil Journalisten berichten oder recherchieren und andere mit gutem Recht auch mit Verweis auf die deutsche Geschichte hier härtere Konsequenzen fordern. Dass dies so groß geworden ist, liegt an seiner unklaren Strategie. Das hätte er durchaus vorhersehen können.
Noch mal zurück: Wie hätte Herr Aiwanger am Anfang reagieren sollen?
Er hätte zum Zeitpunkt, als die "Süddeutsche Zeitung" bei ihm anfragte, sich eine Strategie überlegen müssen. Hätte er den Journalisten gleich eine nachvollziehbare Erklärung und Chronologie gegeben und sich da schon glaubhaft für seine jugendlichen Verfehlungen entschuldigt, wäre es nie zu so einem Skandal geworden. Dann hätte er verhindern können, dass das, was er jetzt als politisch motivierte Kampagne empfindet, überhaupt passiert wäre.
Wie sollte er dann ab jetzt kommunizieren ?
Er muss ein für alle Mal anerkennen, dass dieses Flugblatt absoluter Mist war – und das hat er ja teilweise auch schon am Donnerstag getan. Er sollte erklären, dass er das für sich privat aufarbeitet. Und ich würde ihm raten, die noch offenen Fragen öffentlich zu beantworten, also am besten die Antworten auf die 25 Fragen, die ihm die CSU gestellt hat. Er braucht eine wasserdichte Chronologie, an der keine Zweifel mehr aufkommen können. Danach sollte er sich zur Causa nicht mehr äußern. Ich würde ihm auf jeden Fall davon abraten, seine Entschuldigung einzuschränken oder von einer politischen Kampagne zu sprechen. Denn das motiviert die Medien, das Gegenteil zu beweisen.
Marcus Ewald
ist Geschäftsführer und Gesellschafter von Dunkelblau. Das Leipziger Unternehmen berät Firmen und Organisationen, die in Krisen geraten, im Management und in der Kommunikation. Er studierte in Halle, Mainz und im spanischen León BWL und Unternehmenskommunikation.
Aber Hubert Aiwanger ist im Wahlkampf. Ist es da nicht nachvollziehbar, dass er mit einer Kampagne gegen ihn argumentiert? Und politisch gesehen vielleicht sogar sinnvoll?
Da würde ich unterscheiden zwischen dem Wahlkampf in Bayern und der großen politischen Ebene in Deutschland. Ich habe in meinen sozialen Netzwerken eine kleine Umfrage gemacht, ob die Freien Wähler am Ende von der Affäre und Aiwangers Umgang damit profitieren. Die Mehrheit hält das für wahrscheinlich. Ich glaube das auch. Allerdings überlegen die Freien Wähler ja, im Rest des Landes anzutreten. Und er muss auch seinen Koalitionspartner im Blick behalten. Für die bundesweite Option und den Koalitionspartner wäre es zielführender, wenn er sich klar abgrenzte und geläutert zeigte. So bewahrt er sich für die Zukunft mehr politischen Handlungsspielraum.
Warum sollte das mit Blick auf die CSU sinnvoll sein?
Weil ihr Chef, Markus Söder, seinerseits Staatsmann sein möchte, der keinen Zweifel daran lässt, wie er im Sinne der deutschen Geschichte und Erinnerungskultur mit Antisemitismus umgeht. Deshalb wird er sehr genau darauf achten, was Aiwanger jetzt macht und was nicht. Von Söder waren die 25 Fragen sehr geschickt. Er kann sich als der Aufklärer geben und sich vorbehalten, zu reagieren, wenn die Antworten nicht angemessen sind. Und das ist, was Aiwanger jetzt beachten muss: Ihm sollten dabei keine Fehler mehr unterlaufen.
Und warum könnte ihm die Affäre mit Blick auf seine bundesweiten Ambitionen schaden?
Am Ende ist eine solche Krise immer auch ein Charakter- und Kompetenztest für einen Politiker oder eine Politikerin. Die Leute gucken sehr genau, wie jemand damit umgeht. Sie werden sich also die Frage stellen: Hat Herr Aiwanger das Format, das man von einer Partei und einem Politiker auf Bundesebene erwartet? Bislang ist Herr Aiwanger eher nicht vorausschauend und souverän mit dieser Krise umgegangen. Deshalb rate ich ihm auch, jetzt seinen Kurs zu wechseln. Der Druck ist garantiert gerade riesengroß. Wenn er das jetzt meistert, könnte er gestärkt daraus hervorgehen. Wenn er sich wieder in Widersprüche verheddert oder weitere Dinge auftauchen, die er bislang verschwiegen hat, dann wird es eng für ihn.
Die Erzählung von der politischen Kampagne könnte doch auch auf Bundesebene funktionieren. Vergleiche hinken schnell: Aber Donald Trump glauben die Leute auch, wenn er die Verfahren gegen ihn als politische Hexenjagd darstellt.
Ja, Hubert Aiwanger ist tatsächlich nicht mit Donald Trump zu vergleichen. Der ist nämlich deutlich geschickter und wirkt dabei immer souverän. Er wäre vermutlich in Aiwangers Situation gleich, nachdem er die Fragen von der "Süddeutschen Zeitung" bekommen hätte, selbst mit der ganzen Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen – und zwar auf seinen Kanälen in den sozialen Netzwerken und vor der "Süddeutschen Zeitung". Diese Strategie nennen wir "Stealing Thunder". Er hätte vermutlich gepostet: Leute, das war so und so, ich war irregeleitet, tut mir leid, aber jetzt versucht die "Süddeutsche", aus meiner Jugendsünde eine Kampagne zu konstruieren. Eine wirkungsvolle Krisenkommunikation übrigens. Aber das ist die hohe Kunst.
Warum?
Weil man dafür viel Instinkt und Urteilsvermögen braucht. Die Lage und ihre Gefährlichkeit müssen schnell eingeschätzt werden, gleich wenn so eine Anfrage kommt. Und man muss einschätzen können, ob man den Medien noch zuvorkommen kann.