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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vermeintlicher Kampf gegen Clans Ausweisung ohne Verbrechen? Das will Faesers Ministerium
Das Thema Ausweisungen steht mal wieder im Fokus. Innenministerin Faeser will Mitglieder krimineller Clans ausweisen – auch wenn die gar keine Verbrecher sind. Ist das möglich?
Was rechtfertigt die Ausweisung eines Menschen? Genau diese Frage will das Bundesinnenministerium (BMI) unter der sozialdemokratischen Ministerin Nancy Faeser neu diskutieren. Dazu hat das BMI am Montag ein Diskussionspapier veröffentlicht, über das bereits kurz nach der Veröffentlichung heftig gestritten wird. Wie ist die derzeitige Gesetzeslage zum Thema Ausweisungen? Was will Faesers Ministerium ändern? Und welche Kritik gibt es an dem Diskussionspapier? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was genau ist eine Ausweisung?
Der öffentliche Diskurs vermischt die Begriffe "Abschiebung" und "Ausweisung" häufig, obwohl damit zwei unterschiedliche Vorgänge gemeint sind. Bei der Ausweisung entzieht der Staat einer Person das Aufenthaltsrecht und erteilt in der Regel ein Wiedereinreiseverbot, schreibt das Fachportal "fachanwalt.de".
Laut dem Aufenthaltsgesetz richtet sich die Ausweisung gegen Ausländer, deren Aufenthalt in Deutschland die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen des Landes beeinträchtigt. In der Regel richtet sich eine Ausweisung gegen Menschen, die in Deutschland Straftaten begehen und deshalb rechtskräftig verurteilt werden. In bestimmten Fällen – wie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation – können Ausländer auch ausgewiesen werden, ohne eine Straftat begangen zu haben. Juristisch gilt die Ausweisung als sogenannter feststellender, belastender Verwaltungsakt.
Im Gegensatz dazu steht die Abschiebung. Sie ist eine sogenannte Vollzugsmaßnahme des Staates. Abschiebungen betreffen Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wird.
Welche Regeln zur Ausweisung gelten zurzeit?
Von einer Ausweisung bedroht sind Ausländer, sobald sie eine Straftat in Deutschland begehen. Unabhängig von der Bestrafung erstellt die Polizei daraufhin eine sogenannte Gefahrenprognose. Das bedeutet, dass auf Basis des Fehlverhaltens eines Betroffenen überlegt wird, ob dieser eine Gefahr für die Bevölkerung oder den Staat darstellt.
Nach dieser Gefahrenprognose erfolgt die Abwägung zwischen dem sogenannten öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem privaten Verbleib-Interesse. Überwiegt ersteres, zum Beispiel weil vom Betroffenen weitere Straftaten zu erwarten sind, ist die Ausweisung gerechtfertigt. Grundsätzlich wirkt sich jede begangene Straftat, aber auch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung negativ auf die Abwägung über das öffentliche Ausweisungsinteresse aus.
Darüber hinaus muss die Ausländerbehörde eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen. Nur wenn sie zu dem Schluss kommt, dass die Ausweisung im Einzelfall verhältnismäßig ist, darf die Behörde den Betroffenen ausweisen.
Was will das Bundesinnenministerium ändern?
Die Diskussion über den Änderungsvorschlag des Bundesinnenministeriums an der Ausweisungspraxis hängt sich vor allem an einer Erweiterung des Paragrafen 54 im Aufenthaltsgesetz auf. Faesers Ministerium will eine neue Tatbestandsalternative hinzufügen, laut der Ausländer auch dann ausgewiesen werden könnten, wenn sie noch gar keine Straftat begangen haben.
Dazu soll gemäß dem Vorschlag bereits die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ausreichen, wie sie in Paragraf 129 des Strafgesetzbuches definiert wird. Eine vergleichbare Regelung gibt es bereits für Angehörige einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützen.
Die einfachere Ausweisung von Menschen aus Großfamilien, die sich auch kriminell betätigen, wird allerdings nicht so einfach. Denn wer juristisch zu den Strukturen einer kriminellen Vereinigung gehört, lässt sich ohne begangene Straftaten nicht so leicht feststellen.
Welche Kritik gibt es an Faesers Vorstoß?
Der Juraprofessor Daniel Thym von der Universität Konstanz mahnt zudem im Gespräch mit dem ZDF, dass die Angehörigkeit zu einer Familie kein Grund für eine Ausweisung sein dürfe: "Da müsste man schon an kriminellen Strukturen mitwirken", erklärt er. Jüngere Familienmitglieder hätten außerdem häufig die deutsche Staatsangehörigkeit und dürften so überhaupt nicht ausgewiesen werden.
Auch Hubert Heinhold, Rechtsanwalt für Asyl- und Aufenthaltsrecht, kritisiert Faesers Diskussionspapier: "Wenn man das Ausweisungsinteresse so weit ausgestaltet, wäre das eine unzulässige, menschenrechtswidrige, verfassungswidrige Kollektivausweitung", sagt er dem ZDF.
An der Rechtsstaatlichkeit des Entwurfes zweifeln auch die Grünen. Es sei "klar, dass außerhalb des Rechtsstaats stehende Regelungen für uns Grüne niemals zur Debatte stehen", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" am Dienstag.
Aus der CDU kamen Zweifel daran, ob Faeser überhaupt Interesse an der Umsetzung der Vorschläge hat. "Je näher die hessische Landtagswahl rückt, desto stärker versucht Frau Faeser, das Bundesinnenministerium zur SPD-Wahlkampfzentrale umzufunktionieren", kritisierte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) in der "Bild"-Zeitung. Faeser ist SPD-Spitzenkandidatin bei der hessischen Landtagswahl am 8. Oktober und will dort Ministerpräsidentin werden.
- bmi.bund.de: "Diskussionsentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Verbesserung der Rückführung"
- dejure.de: "Aufenthaltsgesetz"
- anwalt.org: "Abschiebung und Ausweisung in Deutschland"
- fachanwalt.de: "Wie läuft eine Abschiebung und Ausweisung in Deutschland ab?"
- studlib.de: "Die Gefahrenprognose als Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen der Gefahrenabwehr"
- anwalt-diedrich.de: "Ausweisung: "Abschiebung nach Straftat"
- asyl.net: "Ausweisung"
- zdf.de: "Kann man Clan-Angehörige pauschal ausweisen?"