"Natürlich nicht vorher gewusst" Prigoschin-Aufstand: Kritik an BND wächst
Hat der BND die Prigoschin-Revolte verschlafen? Die Kritik wird lauter – und könnte auch den Präsidenten in Bedrängnis bringen.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) steht erneut in der Kritik, wichtige Ereignisse nicht rechtzeitig gewusst zu haben. Es geht es darum, ab wann der Geheimdienst Kenntnis von der Revolte des Wagner-Chefs Jewgenij Prigoschin hatte. Und welche Folgen das für den Chef der Behörde, Bruno Kahl, haben könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in der Sendung "Maischberger" bereits mit der Aussage überrascht, der BND habe davon "natürlich nicht vorher gewusst".
Jetzt meldet "Der Spiegel", dass eine interne Prüfung beim BND eingeleitet worden sei, um aufzuarbeiten, ob der Geheimdienst die Pläne der Wagner-Gruppe früher hätte erkennen müssen, berichtete das Magazin am Freitag vorab. Es gehe auch um die Frage, ob Hinweise ausländischer Nachrichtendienste richtig bewertet worden seien.
USA hatten offenbar schon früher Informationen
Wie es in dem Bericht heißt, habe man beim BND zunächst keine Fehler gesehen. Über den Marsch auf Moskau habe man zwar nicht Wochen im Voraus Bescheid gewusst – "aber die Amerikaner auch nicht", wird ein Beamter zitiert, der auf einer Fachtagung gesprochen haben soll.
Die "Washington Post" hingegen hatte geschrieben, dass schon Mitte Juni die US-Geheimdienste Hinweise bekommen hätten. Amerikanische Medien hatten berichtet, dass ausgewählte US-Politiker über die Entwicklungen frühzeitig informiert wurden. Das Weiße Haus sei am Freitag, einen Tag vor dem Aufstand, unterrichtet worden.
Interne Anweisung zur Überprüfung
Nachdem die Aussage von Scholz für Verwunderung gesorgt hatte, wurde offenbar auch beim BND Handlungsbedarf gesehen. Am vergangenen Dienstag sei die interne Anweisung ergangen, den eigenen Kenntnisstand und sämtliche Hinweise der Geheimdienste befreundeter Staaten im Vorfeld nochmals gründlich zu überprüfen, heißt es laut "Spiegel".
Druck kommt auch aus der Politik. "Wir sind jetzt langsam zu oft von den Ereignissen überrascht worden", sagte der SPD-Politiker Ralf Stegner. Er ist Vorsitzender des Ausschusses, der das Afghanistan-Debakel aufklären soll. Denn auch vom Einmarsch der Taliban in Kabul war der BND wohl kalt erwischt worden. Der FDP-Politiker Ulrich Lechte beklagte, dass die Parlamentarier nicht über den bevorstehenden Aufstand Prigoschins informiert worden seien. Und die Grünen-Abgeordnete Sara Nanni nannte die Lage "frustrierend", verwies aber gleichzeitig darauf, dass es auch eine Frage der Ressourcen sei.
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Kritik von Politikern am BND
Der SPD-Politiker Andreas Schwarz stellte bereits die Arbeitsqualität der deutschen Spione grundsätzlich infrage: "Ich hoffe, dies stimmt nicht. Ansonsten muss man wirklich nachdenken, ob der BND auf Höhe der Zeit arbeitet und tatsächlich eine gute Zusammenarbeit mit anderen Diensten pflegt", schrieb er auf Twitter und nahm Bezug auf Berichte, dass der BND erst am vergangenen Samstagmorgen das Bundeskanzleramt informierte.
Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter, Vorsitzender des Geheimdienst-Kontrollgremiums, kritisierte im "Handelsblatt" die Beschränkungen des BND: "Der Bundeskanzler hätte für die Bewertung noch nicht einmal einen Dienst benötigt, sondern einfach die öffentliche Quellenlage politisch bewerten können." Scholz mache es sich deshalb sehr einfach, wenn er der Kritik am BND nicht klar widerspreche. Er verwies darauf, dass andere Länder mehr Möglichkeiten zur Aufklärung hätten und diese in Deutschland "stark reguliert" sei.
Ein ehemaliger Mitarbeiter der CIA hat laut "Spiegel" darauf verwiesen, dass ein Aufstand eine gewisse logistische Vorbereitung benötige: "Truppenbewegungen und Geräteverlagerung, Kommunikation – vieles kriegt man schon mit."
Muss BND-Präsident Bruno Kahl gehen?
In den Mittelpunkt der Kritik könnte jetzt BND-Chef Bruno Kahl geraten. Der Newsletter "The Pioneer" titelte bereits "BND-Chef Kahl vor der Ablösung?", und der "Spiegel" will von Sicherheitspolitikern gehört haben, dass es für den Präsidenten eng werden könnte.
Kahl kam 2016 an die Spitze des BND, nachdem sein Vorgänger Gerhard Schindler von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel überraschend abberufen war. Zwar hatte Kahl immer wieder vor dem Erstarken der Taliban in Afghanistan gewarnt, als diese dann nach wenigen Tagen in Kabul einmarschierten, war man in seiner Behörde aber offenbar überrascht. Der Bundestag will das jetzt in einem Untersuchungsausschuss aufklären. Die Warnungen aus den USA vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine sollen ebenfalls zunächst beim BND nicht als dringlich gesehen worden sein, berichtet der "Spiegel".
Kahl soll im Februar nach Kiew geflogen sein, um sich ein Bild zu machen – am nächsten Tag begann bereits die russische Offensive. Und dann ist da noch die Affäre um den mutmaßlichen russischen Spion Carsten L.: Dieser soll die Sicherheitsüberprüfungen der Behörde bestanden und sie später sogar geleitet haben.
- thepioneer.de: "BND-Chef Kahl vor der Ablösung?" (kostenpflichtig)
- spiegel.de: "Darum hat der BND bei der Wagner-Revolte so spät reagiert" (kostenpflichtig)
- handelsblatt.de: BND gerät wegen fehlender Informationen über Wagner-Aufstand unter Druck
- washingtonpost.com: "U.S. spies learned in mid-June Prigozhin was planning armed action in Russia) (englisch)