Flüchtlingsgipfel Sechzehn gegen einen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bund und Länder streiten über Migration und Flüchtlinge. Ein Spitzentreffen soll Erlösung bringen. Doch das könnte nach hinten losgehen.
Sie kämpfen mit Zahlen auf Papier und scharfen Worten im TV: Selten treten die Ministerpräsidenten so einig auf wie dieser Tage. Parteigrenzen scheinen vorläufig vergessen zu sein, alte Zerwürfnisse ebenso. Ihre Zielscheibe: die Bundesregierung. Ihre Forderung: mehr Geld für die Versorgung von Flüchtlingen.
Selten aber zeigte sich auch der Bund hartleibiger. Nichts geht, vergesst es – das ist kurzgefasst die Botschaft, die Ampelpolitiker in Regierungsverantwortung dieser Tage senden.
Der Showdown ist an diesem Mittwoch, wenn Bund und Länder sich in Berlin beim Flüchtlingsgipfel an einen Tisch setzen. Mit Mini-Vorhaben, Schimpftiraden und Wutreden endete bereits der letzte Gipfel dieser Art vor nicht einmal drei Monaten. Für die Neuauflage, so steht nach den vergangenen Tagen zu befürchten, könnte das noch einer der günstigeren Ausgänge sein.
Es fehlt an so ziemlich allem
Dabei sollen Bund und Länder auf dem Gipfel ein Problem lösen, das enorm ist und dazu taugt, den sozialen Frieden in Deutschland zu gefährden. Deutschland hat in den vergangenen Monaten mehr Flüchtlinge aufgenommen als in den Jahren 2015 oder 2016. Und immer mehr Kommunen gehen angesichts dieser Belastung in die Knie. Sie klagen, es fehle an Wohnungen, an Integrationshelfern, an Personal in den Ausländerbehörden, an Ärzten, Schulplätzen. Eigentlich: an so ziemlich allem.
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Vertreter der Kommunen aber werden am Mittwoch erst gar nicht mit am Tisch sitzen – im Gegensatz zu vorangegangenen Flüchtlingsgipfeln. Der Deutsche Landkreistag, kritischer Lautsprecher in der aktuellen Lage, schlug deswegen bereits Anfang der Woche Alarm. An der Gästeliste aber änderte das nichts.
In Berlin treten deswegen die Ministerpräsidenten als Fürsprecher der Kommunen auf. In einem Termin am Montag stimmten sie sich ab und festigten die Front. Das klare Signal davor wie danach: Es braucht mehr Geld, ohne geht es nicht. Oder ihr begrenzt die Zuwanderung, sorgt also dafür, dass gar nicht erst so viele Flüchtlinge in die Kommunen kommen.
"Endlich den Kopf aus dem Sand nehmen"
"Die Kommunen sind am Rande ihrer Belastungsfähigkeit, teilweise sogar schon darüber hinaus", sagte der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) t-online am Mittwoch vor dem Gipfel. "Deshalb muss der Bund endlich den Kopf aus dem Sand nehmen und die Städte, Gemeinden und Landkreise bestmöglich unterstützen."
Rhein fordert ein "atmendes System", das mit Pro-Kopf-Pauschalen arbeitet. Mehr Flüchtlinge bedeuten darin automatisch und unbürokratisch mehr Geld, so geht die einfache Rechnung. Das gab es nach den Krisenjahren 2015/2016 bereits, erst 2021 wurde es abgeschafft.
Die im vergangenen Jahr vereinbarte Pauschalsumme an die Länder sei nicht falsch, sagt Rhein. "Aber wenn sich die Situation derart massiv verändert, dann muss sich auch die Berechnungsgrundlage verändern." Dasselbe fordern unisono die Regierungschefs aus anderen Ländern und geißeln den Bund für seinen Stillstand.
Die Bundesregierung mauert
Es steht also 16 gegen 1, der Druck auf die Bundesregierung ist enorm. Die aber mauert. Ihre Argumente hat sie in Papieren aus dem Kanzleramt bereits niedergeschrieben: Rein rechtlich sei die Unterbringung von Flüchtlingen nun einmal Aufgabe der Länder und Kommunen, heißt es da. Und beim Geld habe man bereits mehr als genug getan – mehr sogar als in den Jahren 2015/2016. So zumindest sieht es die Bundesregierung.
Die Argumentation: Der Bund zahle schließlich für die Geflüchteten aus der Ukraine und damit für den allergrößten Teil der derzeitigen Flüchtlinge 90 Prozent der Sozialleistungen. Das waren 2022 rund drei Milliarden Euro, 2023 sind dafür fünf Milliarden vorgesehen.
Durch Änderungen bei Steuereinnahmen und Bürgergeld habe außerdem eine weitere Verschiebung stattgefunden: hin zu einer Entlastung der Kommunen wie Länder und zur weiteren Belastung des Bundes. Die "Schuldenkluft", die in Papieren des Bundes errechnet wird, ist groß: Während die Schulden des Bundes sich da auf 850 Milliarden Euro summieren, verzeichneten 12 von 16 Ländern einen Überschuss.
Die implizite Kritik des Bundes, die kaum verschlüsselt in diesen Papieren steckt: Die Länder wollen uns erpressen, und nutzen als Druckmittel die Notlage der Kommunen.
Länder zerpflücken Berechnungen
Die Länder allerdings lassen das nicht auf sich sitzen. In einem eigenen Papier, das t-online vorliegt, greifen die Finanzminister der Länder die Berechnungen des Bundes auf. Jeder Absatz, jede Rechnung wird zerpflückt. Der Vorwurf: Der Bund vermische, was nicht vermischt gehöre, und rechne absichtlich falsch. Faktisch habe der Bund seine Hilfen in den vergangenen Jahren trotz steigender Flüchtlingszahlen sogar zurückgefahren, heißt es da.
Der Bund habe eine "Informationskampagne" eröffnet und arbeite mit Zahlen, "die in vielerlei Hinsicht angreifbar sind", kritisierte Niedersachsens Ministerpräsident Weil im ZDF. Man sei nicht glücklich darüber, könne das aber nicht stehen lassen. Dass der SPD-Politiker nicht gleich von einer "Desinformationskampagne" spricht, dürfte wohl vor allem seinem Parteibuch und dem Respekt vor seinen Kollegen im Kabinett geschuldet sein.
Das aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Vertrauen gestört und die Stimmung am Boden ist. Ob es am Mittwoch überhaupt irgendeine Lösung geben wird, sei fraglich, räumen Beteiligte aller Seiten unter der Hand ein.
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Forderung nach einer härteren Gangart
Und nicht nur bei der zentralen Forderung nach mehr Geld geht es nicht vorwärts. Inzwischen hagelt es Alternativvorschläge, was die Besprechung nicht einfacher macht. Fast alle zielen darauf ab, irreguläre Migration einzudämmen. Transitzentren an den EU-Außengrenzen, mehr Zäune, mehr Grenzkontrollen, mehr Abschiebungen – um nur einige zu nennen.
Besonders stark befürworten die Kommunen eine härtere Gangart im Asylrecht. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, fordert von Bund und Ländern im Gespräch mit t-online, "am 10. Mai einen Neustart in der Migrationspolitik einzuleiten". Ein "Weiter so" dürfe es nicht geben. "Wir müssen zu einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen kommen.“
Ganz ähnlich klingt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages. "Es geht in erster Linie um Begrenzung der Zuwanderung, aber in zweiter Linie eben auch um ausreichende finanzielle Mittel für die Kommunen", sagte Hans-Günter Henneke t-online.
Faeser greift auf Idee Seehofers zurück
Der Bund signalisiert Entgegenkommen: Gerade hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Transitzentren an den EU-Außengrenzen vorgeschlagen, in denen Asylverfahren eingeleitet werden sollen und direkt abgeschoben werden kann. Eine Idee, die nicht neu ist – ihr Vorgänger Horst Seehofer von der CSU hatte dasselbe Prinzip vorgeschlagen und war dafür massiv kritisiert worden.
In seiner 23-seitigen Beschlussvorlage für den Flüchtlingsgipfel widmet das Kanzleramt außerdem Abschiebungen eine längere Passage. Der Ausreisegewahrsam soll verlängert, neue Haftgründe sollen eingeführt werden. Das kam jedoch auch für die Länder überraschend. Vor allem Ministerpräsidenten linker Parteien dürften hier noch Gesprächsbedarf sehen.
Wichtiger: Fast keine dieser Maßnahmen kann Deutschland alleine durchsetzen. Es ist mindestens auf willige Partner in der EU angewiesen. Doch in Europa wird seit Jahrzehnten über entsprechende Reformen gestritten.
Die Hoffnungen auf Lösungen für diesen Mittwoch also sind gering. Nähern sich Bund und Länder nicht überraschend an, droht ein Gipfel des Frusts.
- Eigene Recherchen
- Anfragen an den Deutschen Städte- und Gemeindebund, den Deutschen Landkreistag
- Anfragen an die CDU-Fraktion und den hessischen Ministerpräsidenten