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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Umweltministerin Hendricks "Wir brauchen eine Steuer auf SUVs"
An "Klimakanzler" Scholz und dem Stillstand beim Weltklimagipfel gäbe es viel zu kritisieren. Barbara Hendricks knöpft sich lieber die deutsche Automobilkultur vor.
Am Ende wurde es emotional: Dutzende Diplomaten rissen die Fäuste in die Luft und Deutschlands damaliger Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) standen Tränen in den Augen. Die Vereinten Nationen hatten 2015 in Paris geschafft, was lange Zeit undenkbar erschienen war: ein globaler Vertrag zur Rettung des Planeten.
Das 1,5-Grad-Ziel wurde geboren, fast 200 Staaten verpflichteten sich zum Klimaschutz. Die UN bewiesen einmal mehr, was möglich ist, wenn reiche und arme Staaten sich gegenseitig anspornen. Sieben Jahre sind seitdem vergangen, der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen ist jährlich weiter gestiegen. Das Bundesverfassungsgericht musste die Regierung zu schärferen Klimazielen zwingen, die inzwischen auf bestem Wege ist, diese zu verpassen.
Im Interview mit t-online spricht Barbara Hendricks über das schwarze Schaf unter den Bundesministerien, die Klebe-Proteste auf deutschen Straßen und erklärt, wieso Bundeskanzler Olaf Scholz es leichter hat als einst Angela Merkel.
t-online: Frau Hendricks, nach Abschluss des Klimagipfels 2005 in Paris standen Ihnen Freudentränen in den Augen. Müssten Sie mit Blick auf den schleppenden Gipfel in Ägypten nicht aus Frust weinen?
Barbara Hendricks: Ich beobachte dieses Treffen mit großem Interesse, aber was dort läuft, nimmt mich emotional nicht mit. Mir war von Anfang an klar, dass auf den großen Durchbruch eine sehr mühevolle Phase folgen wird. Genau die erleben wir jetzt seit einigen Jahren, in denen es darum geht, das Pariser Abkommen umzusetzen.
Nach Paris sollte Schluss sein mit faulen Ausreden und leeren Versprechen. Sieben Jahre später geht die Erderhitzung immer noch auf katastrophale +2,5 bis +2,9 Grad Celsius zu. Wo hakt es?
Was bisher zugesagt ist, reicht nicht. Das ist klar. Die Klimaziele müssen weltweit strenger werden. Bisher müssen die Staaten, die das UN-Klimaabkommen mittragen, nur Pläne bis 2030 vorlegen – da wird es in jedem Fall eine Anschlusslösung geben. In Deutschland haben wir uns deshalb auch bereits für die Zeit danach verpflichtet: Bis 2045 muss die Bundesrepublik klimaneutral sein. Unsere Zusagen gehen damit über das hinaus, was wir machen müssten.
Diesen Weitblick musste das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr allerdings erzwingen. Ihren Kopf hinhalten musste dafür Ihre Nachfolgering Svenja Schulze. Wäre Ihnen das auch passiert?
Das beanstandete Klimaschutzgesetz wurde erst 2019 verabschiedet, da war ich schon nicht mehr Teil der Regierung. Dennoch basierte es auf einem Plan, den wir 2016 beim Klimagipfel in Marokko vorgestellt hatten – der hätte den Anforderungen der UN genügt.
Ihr Plan wäre zukünftigen Generationen gegenüber aber unfair gewesen, so das Urteil des obersten Gerichts.
Das Bundesverfassungsgericht wollte sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche von heute im Laufe ihres Lebens nicht deutlich mehr für den Klimaschutz tun müssen als Menschen, die jetzt schon erwachsen sind. Daran hatte ich überhaupt nichts auszusetzen, im Gegenteil. Das habe ich in meiner letzten Rede im Bundestag im Juni 2021 auch ausdrücklich betont.
Vor Kurzem kam der nächste Rückschlag: Der Expertenrat für Klimafragen hält es für nahezu unmöglich, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 erreicht. Was läuft falsch?
Es ist immer dasselbe: Die Bremserei im Verkehrssektor trübt die Gesamtbilanz. Von 1990 bis 2020 hat die Bundesrepublik ihren Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent gedrückt – doch der einzige Sektor, der dazu gar nichts beigetragen hat, ist der Verkehr. Die Verbrennungsmotoren sind in den vergangenen Jahrzehnten zwar effizienter geworden, aber der Zuwachs an Autos auf den Straßen, die auch immer größer und schwerer werden, hat die Ersparnisse bei den Emissionen aufgefressen.
Was müsste Bundesverkehrsminister Volker Wissing am dringendsten tun, um den Trend umzukehren?
Er muss überall nachsteuern: Es fehlt nicht nur ein Tempolimit auf Autobahnen, sondern auch für andere Straßen. Auf Bundes- und Landstraßen reichen 80 Stundenkilometer völlig aus. Außerdem muss ein attraktiver und erschwinglicher Nahverkehr her, der Lust macht, aufs Auto zu verzichten. Und wenn ich mich so umschaue, denke ich auch: Wir brauchen eine Steuer auf SUVs. Für Landwirte und Förster sind Geländewagen sinnvoll, für protzende Stadtbewohner nicht.
Die promovierte Historikerin Barbara Hendricks (SPD), Jahrgang 1952, führte die Umwelt- und Klimapolitik der Bundesregierungen von Angela Merkel zwischen Dezember 2013 und März 2018. In dieser Rolle begleitete sie auch die Weltklimakonferenzen und trug 2015 maßgeblich zum Abschluss des Pariser Klimavertrags der Vereinten Nationen bei. Bis 2021 war sie Mitglied im Bundestag, seitdem ist sie pensioniert.
In der deutschen Auto-Republik klingen solche Forderungen fast radikal. Das dürfte ein Grund für das Klimavakuum im Verkehrsministerium sein.
Wir müssen uns eine andere Automobilkultur zulegen: Weniger Autos in den Städten, zurück zu vernünftigen Fahrzeuggrößen. Die erbitterten Debatten, die wir hier ums Autofahren führen, stoßen bei unseren Nachbarn in Mittel- und Westeuropa auf völliges Unverständnis. Natürlich sind wir ein wichtiges Automobilland, das wollen wir auch bleiben. Nur die Art der Autos, die wir bauen, muss sich ändern. Ich hoffe, es wird irgendwann gesellschaftlich geächtet sein, diese überdimensionierten Wagen spazieren zu fahren. Genauso, wie Rauchen in Restaurants oder im Kino ein Tabu ist.
Apropos geächtet: Unter Gerhard Schröder wurden Sie als parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium erstmals Teil einer Bundesregierung. Wie geht es Ihnen damit, dass ihr ehemaliger Chef trotz des Kriegs in der Ukraine an seiner Freundschaft mit Wladimir Putin festhält?
Ich verstehe es einfach nicht. Gerhard Schröder hat damit sein politisches Lebenswerk ad absurdum geführt. Ich bedauere, dass er sich so selbst ins Abseits gestellt hat. Es tut mir leid für ihn, aber dafür muss er nun die Konsequenzen tragen.
Deutschland hat sich infolge des Krieges von russischem Gas losgesagt und sucht händeringend nach neuen Lieferanten. Wie besorgt sind Sie, dass dadurch die Energiewende verschleppt werden könnte?
Egal, ob das Erdgas per Pipeline aus Russland kommt oder als Flüssiggas aus Übersee oder Afrika: Gas kann nur eine Brückentechnologie sein, die den Weg für die Energiewende ebnet. Wir brauchen viel mehr Solarenergie und Windenergie an Land und auf See und sollten daraus auch grünen Wasserstoff produzieren.
Ihr Parteikollege Olaf Scholz möchte in Sachen Gas aber weiter gehen: Er will neue Förderprojekte in Afrika finanzieren – dabei hat Deutschland zugesagt, genau das nicht zu tun.
Bisher gibt es noch keine konkreten Aussagen darüber, um welche Art der Förderung es dabei genau gehen könnte. Allerdings kann Erdgas in bestimmten Ländern im globalen Süden eine gute Möglichkeit sein, um von der klimaschädlicheren Kohle wegzukommen. Gerade in Afrika könnte das für die nächsten zwei, drei Jahrzehnte eine gute Lösung sein. Insofern kann man das nicht von vornherein vollständig ablehnen.
Noch bis vor knapp einem Jahr hingen Wahlplakate im Land, die Scholz als "Klimakanzler" bezeichneten. Wird er diesem Anspruch gerecht?
Durch Russlands Krieg gegen die Ukraine ist in der Energiepolitik viel durcheinandergeraten: Die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken war natürlich nicht geplant. Für den Übergang hatten ja alle auf Gas gesetzt. Mich beruhigt aber, dass die Regierung unter Olaf Scholz ihre Ziele nicht geändert hat: Kohleausstieg und Klimaneutralität stehen weiter fest im Kalender. Aber der Weg dorthin ist holpriger, als wir uns das gewünscht hätten.
Auch Angela Merkel galt zwischenzeitlich als "Klimakanzlerin", konnte dem Ruf aber letztlich nicht gerecht werden. Läuft Olaf Scholz Gefahr, auch entzaubert zu werden?
Es besteht ein großer Unterschied zwischen Merkels Amtszeit und der von Scholz. Inzwischen haben alle erkannt, dass sie nicht mehr gegen Klimabemühungen arbeiten dürfen.
Sind Sie da so sicher?
Ja, das ist so! Die deutschen Automobilhersteller haben zwar erst sehr spät gemerkt, dass sie Elektromobilität fördern müssen, aber immerhin. Man weiß mittlerweile auch in der Chemieindustrie, im Maschinenbau, in allen wichtigen Sektoren der deutschen Wirtschaft, dass es für die eigenen Profite darauf ankommt, nachhaltig zu wirtschaften. Angela Merkel war damals gefangen in den Interessen der deutschen Wirtschaft. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr mehrfaches Eingreifen in EU-Grenzwertregeln für CO2-Emissionen von Fahrzeugen ihren persönlichen klimapolitischen Überzeugungen widersprochen hat.
Gerade bei der Weltklimakonferenz ist eine klare, einstimmige Position nach außen wichtig. Früher hat das Umweltministerium dafür gesorgt, jetzt hat das Auswärtige Amt die Zügel an sich gerissen. Wie geht es Ihnen bei dem Gedanken?
Ich bin ganz beruhigt, dass Jochen Flasbarth als Staatssekretär des Entwicklungshilfeministeriums auch in Scharm el-Scheich ist. Er hat die Klimagipfel viele Jahre lang aus dem Umweltministerium heraus begleitet. Bei vielen Länderdelegationen genießt er daher ein sehr hohes Ansehen und gilt als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner.
Für Deutschland spricht dort offiziell aber die Klima-Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes: Annalena Baerbocks rechte Hand und Ex-Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan.
Als ich die Klimakonferenzen verantwortet habe, war außer mir ausschließlich der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung anwesend. Das war wichtig, da die internationale Klimafinanzierung dort angedockt ist. Die anderen Ministerien waren auch vor Ort, aber nur auf Beamtenebene, weil vollkommen klar war, dass die Federführung im Umweltministerium lag. Ich glaube, das war einfacher zu händeln.
Blicken wir zum Schluss noch auf die Klima-Kleber, die derzeit für viel Aufregung im Land sorgen. Wie hilfreich ist deren Protest aus Ihrer Sicht?
Ich kann den Klima-Frust der Aktivisten nachfühlen, trotzdem finde ich die Methoden fragwürdig. Damit lenken sie von den Inhalten ihres Protestes ab. Einige Mitglieder der "Letzten Generation" tun so, als sei für den Klimaschutz noch nie etwas geschehen, und einige Äußerungen aus diesen Reihen klingen für mich ziemlich undemokratisch. Da ist mir die Fridays-for-Future-Bewegung näher, die sich im Rahmen unserer demokratischen Institutionen bewegt.
Frau Hendricks, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Gespräch mit Barbara Hendricks