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Corona in Zeiten von Krieg und Inflation: Die fatale Bilanz des Karl Lauterbach


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Gesundheitsminister
Die fatale Bilanz des Karl Lauterbach


Aktualisiert am 30.06.2022Lesedauer: 7 Min.
Karl Lauterbach bei einer Pressekonferenz in Berlin.Vergrößern des Bildes
Karl Lauterbach bei einer Pressekonferenz in Berlin. (Quelle: imago-images-bilder)
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In der Corona-Krise war er der Liebling der Nation. Nun ist er der Minister, an dem nicht nur die Opposition verzweifelt. Rekonstruktion eines Absturzes.

Karl Lauterbach lächelt gemeinsam mit Annalena Baerbock und Robert Habeck verheißungsvoll in die Kamera. "Jetzt beginnt das eigentliche Projekt", schreibt der SPD-Gesundheitsminister auf Twitter. Das leicht verschwommene Selfie soll wohl signalisieren: Jetzt wird vieles anders, wir sind die drei Lieblinge der neuen Ampelregierung – und regeln das für euch da draußen.

Tausende liken den Post. Lauterbach heftet den Eintrag als dauerhaften ersten Eintrag an sein Twitter-Profil – wie eine Visitenkarte für seine kommende Amtszeit.

Das war am 7. Dezember. Lauterbach war wegen seines entschlossenen Corona-Kurses gerade von einer Welle der öffentlichen Unterstützung ins Amt des Bundesgesundheitsministers getragen worden. Am Ende konnte sich auch die skeptische SPD-Spitze dem Hashtag #wirwollenkarl nicht mehr widersetzen. Schließlich entthronte Lauterbach in dieser Zeit in Umfragen sogar Angela Merkel als beliebteste und bekannteste Politikerin. Er war King Karl.

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Vom Liebling der Massen zum Penis-Witz

Gerade einmal knapp sieben Monate ist das her – und doch wirkt es wie aus einer fernen Vergangenheit. Lauterbach musste die Erfahrung machen, die bereits vielen Hoffnungsträgern vor ihm nicht erspart blieb: Regieren ist gar nicht so einfach. Man wird plötzlich für Missstände verantwortlich gemacht. Und so schallen dem Gesundheitsminister bei Demos inzwischen auch schon mal "Lügner, Lügner, Lügner"-Rufe von Pflegekräften entgegen. Und auch sonst ist das öffentliche Klima für Lauterbach alles andere als angenehm. Das Hashtag #wirwollenkarl sei so gut gealtert "wie ein besoffen auf die Stirn tätowierter Penis", twitterte die Autorin und Journalistin Margarete Stokowski, die an Long-Covid leidet.

In den Beliebheitsrankings wurde Lauterbach entsprechend durchgereicht. Mit dem Grünen-Trio Habeck, Baerbock und Cem Özdemir kann er dort nicht mehr mithalten. Und selbst der eher blasse Olaf Scholz schneidet besser ab.

Für Lauterbach besteht das erste Halbjahr 2022 somit aus einem nicht enden wollenden Sturz. Gründe dafür gibt es viele. Mit dem Ukraine-Krieg dominiert nicht mehr Corona, sondern eine neue, größere Krise, die viel Aufmerksamkeit und Panikpotenzial absorbiert. Auch in Bezug auf das Virus hat sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht. Die Masken sind gefallen, die Clubs geöffnet, die Festivalsaison gestartet. Die alte Normalität ist wieder fühlbar. Statt des vorsichtigen Virologen Christian Drosten steht bei den Medien nun Klaus Stöhr hoch im Kurs, der früh auf eine Durchseuchung setzte.

Man könnte also auf den Gedanken kommen: Das Thema des Karl Lauterbach ist einfach vorbei, er muss sich jetzt den anderen Problemen eines Gesundheitsministers widmen. Und da haben schon viele seiner Vorgänger erst kein Glück und dann auch noch Pech gehabt.

Nur ist der Fall des Prof. Dr. Dr. Karl Wilhelm Lauterbach etwas anders gelagert. Es scheint, als sei ihm im Amt die Fortune abhandengekommen, er machte viele Fehler – und schien auch nicht besonders lernfähig zu sein. Wer sich in der Opposition und der Koalition umhört, bekommt deshalb überraschend übereinstimmende Antworten auf die Frage, wer für den Absturz verantwortlich ist: Lauterbach selbst.

"Er hat den Rollenwechsel nicht geschafft"

"Er hat den Rollenwechsel vom Mahner zum Macher nicht geschafft", sagt etwa Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, t-online. Viele andere, die mit Lauterbach arbeiten, fassen die Lage ähnlich zusammen, auch aus seiner eigenen Partei, der SPD.

Linken-Politikerin Vogler kennt Lauterbach gut, sie saß fast zehn Jahre lang mit ihm im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Lauterbach, findet sie, agiere weiter als "freidrehendes Pandemie-Radikal" – nur funktioniere das als Minister eben nicht mehr. Immer wieder mache er in der Corona-Politik über die Medien Vorstöße, die zuvor nicht abgestimmt und "fachlich unausgegoren" seien – und müsse dann zurückrudern.

Andere wichtige Themen blieben hingegen ganz auf der Strecke, weil der Minister keine Entscheidung fälle. "Ich hatte es mir dramatisch vorgestellt, aber dass es so dramatisch wird, hätte ich nicht gedacht", sagt Vogler.

Kehrtwenden und Niederlagen in Folge

Die Kommunikation aus dem Ministerium heraus ist von Anfang an eines von Lauterbachs größten Problemen. Ausgerechnet in der so sensiblen Vermittlung der Corona-Regeln stiftet er mehr als einmal Verwirrung und zieht Kritik auf sich wie kaum ein anderer Minister:

  • Gleich im Januar reduziert das Robert Koch-Institut (RKI) die Dauer des Genesenenstatus überraschend von sechs auf drei Monate. Ein großer Schritt, ohne begleitende Informationen aus dem Ministerium. Millionen Bürger gelten schlagartig als ungeimpft – und das in der Zeit von krassen Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte im öffentlichen Raum. Lauterbach zieht die Zuständigkeit für solche Regeln, die gerade erst auf das RKI übertragen wurde, wieder an sich und sein Ministerium.
  • Im April kündigt Lauterbach zunächst an, dass die Isolationspflicht für Corona-Infizierte entfallen soll. Nach massiver Kritik kassiert er den Vorschlag wieder und räumt einen Fehler ein, der falsche Signale sende – nachts in der Talkshow von "Markus Lanz".
  • Lauterbach warnt, ebenfalls im April, vor einer möglichen "Killervariante" des Coronavirus im Herbst. Experten kritisieren das als Panikmache, das Entstehen einer "Killervariante" sei nicht absehbar, nicht einmal wahrscheinlich.
  • Im Mai legt Lauterbach den Entwurf für ein neues Triage-Gesetz vor. Es soll regeln, wie Mediziner verfahren, wenn zu viele Patienten in den Kliniken auflaufen, um sie alle zu behandeln. Der Entwurf empfiehlt unter anderem die umstrittene "Ex-Post-Triage" – Ärzte könnten dann im Notfall nicht nur von vornherein eine Behandlung ablehnen, sondern auch eine bereits begonnene Behandlung abbrechen, wenn die Überlebenschancen eines anderen Patienten höher sind. Nach massiver Kritik von Experten zieht Lauterbach den Vorschlag erneut zurück, die "Ex-Post-Triage" soll es keinesfalls geben, teilt er nun mit. Sie sei "ethisch nicht vertretbar".
  • Im Juni verkündet Lauterbach das Ende der kostenlosen Corona-Tests für die meisten Bürger. Die Tests gelten als zentrales Instrument, um das Infektionsgeschehen zu messen. In Zukunft sollen sie drei Euro kosten. Experten fürchten, dass das die bereits gesunkene Testbereitschaft weiter drosselt, die Kritik ist groß. Lauterbach räumt ein: Er hätte die kostenlosen Tests selbst gerne behalten, unterlag aber dem Sparzwang und FDP-Finanzminister Christian Lindner.

Diese Niederlagen und Fehler unterlaufen Lauterbach ausgerechnet auf dem Feld der Corona-Politik. Seinem Steckenpferd. Reichlich Angriffsfläche liefert das der CDU, die Lauterbachs Vorgänger stellte: Von einer "gesundheitspolitischen Massenkarambolage" spricht der Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge.

Lauterbach beziehe die Fachpolitiker im Gesundheitsausschuss nicht genügend ein und kommuniziere entweder gar nicht – oder wie ein Fähnchen im Wind. "Die Leute sind total gefrustet", sagt Sorge t-online. Probleme in der Abstimmung im Ausschuss und mangelnde Führung im eigenen Haus kritisieren unisono auch andere Politiker der Opposition.

SPD-Politiker Roloff: "Lauterbach muss sich durchsetzen"

In der SPD sind die öffentlichen Stimmen zurückhaltender. Aber mit Blick auf Lauterbachs Kommunikation klingt dennoch Kritik an. Lauterbach gehe die Dinge stark von einer "wissenschaftlichen Nachdenkperspektive" an, sagt Dirk Heidenblut, im Gesundheitsausschuss unter anderem zuständig für das Thema Triage. "Manchmal werden so Sachen öffentlich, die noch im Prozess sind." Allerdings stehe Lauterbach auch unter Beobachtung wie kaum ein anderer Minister, so Heidenblut. Corona sei nach wie vor das Reizthema schlechthin.

Mitverantwortlich für die Pleitenfolge machen nicht wenige in Lauterbachs Partei die liberale FDP. Die wehrt sich seit Wochen gegen die frühzeitige Festlegung neuer Corona-Regeln für den Herbst. Zuletzt zweifelte FDP-Justizminister Marco Buschmann gar die Wirksamkeit des Maskentragens an, das unter Experten unumstritten ist.

Lauter als die SPD sei die FDP in Corona-Fragen derzeit oft, findet zum Beispiel SPD-Politiker Sebastian Roloff. Dabei sei doch "für Gesundheitsfragen der Gesundheitsminister zuständig – und nicht Justizminister Buschmann oder gar ein Wolfgang Kubicki". Das müsse sich ändern, findet Roloff: "Lauterbach muss sich hier durchsetzen."

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Dass Lauterbach im Ringen mit dem kleineren Koalitionspartner den Kürzeren zieht, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Am Dienstag verkündete er ein baldiges Beitragsplus für gesetzlich Krankenversicherte. Der Grund: Finanzminister Lindner will das gigantische Minus der gesetzlichen Kassen nicht vollumfänglich durch einen höheren Zuschuss ausgleichen. Deshalb steigen die Beiträge auf einen neuen Rekordwert.

Für Lauterbach bedeutet das zweierlei: Er konnte sich gegen Lindner nicht durchsetzen. Und er hatte nicht den Mut für Einsparungen, die es im Gesundheitswesen zuhauf gibt. Was beides den Schluss zulässt, dass er derzeit ein eher schwacher Minister ist.

Noch ein Punktsieg für die FDP

Mit Sorge blicken nicht wenige in der SPD und der Ampelkoalition insgesamt auf das Ende der Sommerpause, wenn neue Corona-Regeln vereinbart werden. Schon seit Wochen gibt es zwischen Lauterbach und der FDP Streit: Jetzt handeln oder abwarten? Wenigstens die Möglichkeiten für ein hartes Eingreifen festlegen – oder trotz aller Warnungen frei laufen lassen?

Lauterbach betont immer wieder, dass er sich schon jetzt kümmere. Bisher aber ist außer einem recht vagen Sieben-Punkte-Plan wenig aus seinem Haus gekommen. Und in wenigen Tagen beginnt die parlamentarische Sommerpause. Ein weiterer Punktsieg für die FDP.

Schon jetzt aber ist die Zahl der Infektionen hoch, Lauterbach spricht von einer "Sommerwelle". Die Krankheitsverläufe sind im Vergleich zu früheren Phasen der Pandemie zwar größtenteils milde, Experten aber schließen nicht aus, dass das sich schnell verändernde Virus eine neue Variante hervorbringen könnte, die Krankenhäuser wieder stärker belastet – oder für Krankenstände sorgt, die so hoch sind, dass sie das öffentliche Leben lahmlegen.

Nicht allzu zuversichtlich klingt deswegen derzeit auch ein anderer Mahner in der Pandemie, ein enger Wegbegleiter Lauterbachs. Charité-Virologe Christian Drosten änderte vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem "Spiegel" eine seiner zentralen Prognosen, die er im März noch traf: Das Ende der Pandemie sei wohl doch nicht Ende dieses Jahres erreicht, sagte er.

Das liege an dem sich rasch verändernden Virus, an noch fehlenden, auch Infektionen verhindernden Impfstoffen – und an der Politik. "Ich bin damals von bestimmten Grundvoraussetzungen ausgegangen", so Drosten, "zum Beispiel, dass es eine konsequente politische Linie in der Pandemiebekämpfung gibt."

Das Thema, das Karl Lauterbach bis ins Gesundheitsministerium brachte, wird so schnell also nicht verschwinden. Die Frage wird nur sein, ob der Ressortchef wieder zur alten Form zurückfindet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • Pressekonferenzen des Ministers
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