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Anne Spiegel und Co.: Die drei Frauen der Flutkatastrophe im Ahrtal


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Katastrophe an der Ahr
Drei Frauen und die Flut


Aktualisiert am 15.04.2022Lesedauer: 11 Min.
Drei Frauen und die Flut: Die damalige Bürgermeisterin Cornelia Weigand, die damalige Ministerin Anne Spiegel und die damalige Präsidentin des Landesamts für Umweltschutz, Sabine Riewenherm.Vergrößern des Bildes
Drei Frauen und die Flut: Die damalige Bürgermeisterin Cornelia Weigand, die damalige Ministerin Anne Spiegel und die damalige Präsidentin des Landesamts für Umweltschutz, Sabine Riewenherm. (Quelle: dpa, IMAGO Images, Montage t-online)
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Anne Spiegel musste wegen ihrer Rolle bei der Flutkatastrophe 2021 zurücktreten. Sie ist eine von drei Frauen, die damals Schlüsselrollen innehatten. Eine Rekonstruktion der Ereignisse.

Kurz vor dem Rücktritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel hatte der Katastrophenschützer Frank Roselieb noch einmal skizziert, wie es auch hätte ausgehen können. "Anne Spiegel hätte die Frau des Monats, die Frau des Jahres werden können", sagt der Direktor des Instituts für Krisenforschung in Kiel. Spiegel war eine von drei Frauen, die bei der Flut eine Schlüsselrolle hatten und ganz unterschiedlich agierten. Durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses zur Flut lässt sich nachvollziehen, was sie bei der Katastrophe verbindet und was sie unterscheidet.

Die eine war Bürgermeisterin an der Ahr und diejenige, die dort die Gefahr früh erkannt hatte und vergebens drängte, den Katastrophenfall auszurufen. Vier Mal rief sie wegen der Lage an der Ahr im Landesamt für Umweltschutz an. Sie öffnete den Verantwortlichen im Ministerium die Augen, wie schlimm es steht. Jetzt ist Cornelia Weigand Landrätin im Kreis Ahrweiler.

Die zweite war Präsidentin des Landesamts für Umweltschutz (LfU) Rheinland-Pfalz, Herrin der Daten. Das Amt von Sabine Riewenherm ahnte früh, dass an der Ahr extremes Hochwasser droht und wusste es rechtzeitig. Riewenherm warnte eindringlich und glaubte, ihren Handlungsrahmen damit ausgereizt zu haben. Nach der Flut ließ sie die Meldeketten überprüfen.

Die dritte ist Anne Spiegel, die Klimaschutzministerin in Mainz war und am Katastrophentag nachmittags im Landtag von der Gefahr durchs Hochwasser und dem guten Warnsystem sprach. Anne Spiegel zeigte keine Initiative, überließ die Aufgaben dem Staatssekretär und dem Innenministerium, um möglichst nicht funktionierende Abläufe zu stören, wie sie sagte.

Nach der Flut

Wegen ihrer Rolle bei der Katastrophe wurde Anne Spiegel schon früh zum Ziel von Kritik. Zum Verhängnis wurde ihr, dass sie zehn Tage nach der Flut einen vierwöchigen Frankreich-Urlaub antrat. Von dort kehrte sie kurz für einen Termin an einer Kläranlage zurück, wo sie am 10. August "allen Beteiligten für ihren unbeschreiblichen Einsatz in den letzten Tagen und Wochen" dankte – und wieder in den Urlaub fuhr. Sie habe in der Zeit über Video-Konferenzen weiter an Kabinettssitzungen teilgenommen, hieß es zunächst. Das stimmte aber nicht.

Die Bürgermeisterin wurde als ein Gesicht der Flut bekannt, bat in diversen Interviews eindringlich um Unterstützung und Hilfe und machte auch mit einem offenen Brief an die Kanzlerin von sich reden. Im Januar wurde sie überraschend bereits im ersten Wahlgang zur Landrätin gewählt – zur Nachfolgerin des Mannes, von dem sie erhofft hatte, dass er Katastrophenalarm auslöst.

Sabine Riewenherm stand nur noch kurze Zeit an der Spitze des Landesamts. Seit 1. September ist sie Präsidentin des Bundesamts für Umweltschutz. Vor ihrem Wechsel veranlasste sie, dass die Meldekette noch einmal genau analysiert und mit den Kommunen nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht wird und erstellte zur Aufarbeitung ein Protokoll ihrer Telefonate und Mails vom Tag der Flut.

Vom Ministerium gibt es das nicht, nicht mal einen Einzelverbindungsnachweis der Ministerin. Ihr Handyvertrag lasse das nicht zu, sagte Spiegel vor dem Untersuchungsausschuss.

Die Tage vor der Flut

Die Wetterdienste hatten in den Tagen vor dem 14. Juli schon starke Regenfälle gemeldet, die langsam vom Fleck kommen könnten. Am 9. Juli eröffnet Sabine Riewenherms Behörde den Hochwassermeldedienst, der damit rund um die Uhr besetzt war.

Für kleine Flüsse wie die Ahr, bei denen Pegelwerte nicht verlässlich flussabwärts hochgerechnet werden können, gibt es eine regionsbezogene Hochwasserfrühwarnung, eine Software, die alle drei Stunden mit den neuesten Niederschlagsdaten rechnet. So soll "früher auf eine bestehende Hochwassergefährdung" hingewiesen werden können.

Ministerin Spiegel spricht das Thema Hochwassergefahr am 13. Juli in der Kabinettssitzung unter Top "Sonstiges" an.

Der Morgen vor der Flut

Morgens um 6 Uhr wird an die Tagschicht des Hochwassermeldedienstes des LfU übergeben, dass es kritische Spots wie die Ahr gibt und eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit für ein Hochwasser von Jahrhundertausmaßen besteht.

Auf dem Weg ins Rathaus kommt Bürgermeisterin Weigand am Pegel in Altenahr vorbei. 90 Zentimeter, "da war ich froh, dass die Ahr noch so niedrig ist". Sie ist Diplom-Biologin, die Naturwissenschaftlerin schaut sich Zahlen genau an. Von dem Pegel wird am Abend um 20.45 Uhr der letzte Stand gemeldet werden, ehe die Sensoren weggerissen werden: 5,75 Meter.

Um 11.20 Uhr verschickt die Fachabteilung des Klimaschutzministeriums ihren Hochwasserlagebericht, Die LfU-Chefin Riewenherm bekommt ihn hausintern um 11.27 Uhr weitergeleitet. Darin empfohlen wird auch eine Pressemitteilung, das LfU liefert den Entwurf dafür.

Die Zuspitzung

Bürgermeisterin Weigand schaut in der Einsatzzentrale ihrer Kommune mit Feuerwehrleuten auf die Daten des Landesumweltamts. Um 15.30 Uhr sieht sie die vier Minuten zuvor aktualisierte Prognose, die in der grafischen Darstellung auf einen Pegel von über 5 Meter schließen lässt. "Wir haben uns gefragt, ob das ein Fehler ist. Und ich als Naturwissenschaftlerin will das wissen."

Sie fragt beim LfU nach, ob die Prognose stimmt und bekommt die Bestätigung: Das Modellsystem des LfU hat um 15.26 Uhr ein Maximum von 5,19 Metern errechnet. Beim bisherigen Jahrhunderthochwasser waren es 3,61 Meter, und bereits da waren Menschen mit Hubschraubern und Booten evakuiert worden.

Weigand ruft um 16.20 Uhr bei der Kreisverwaltung Ahrweiler an. Landrat Jürgen Pföhler (CDU) soll den Katastrophenfall ausrufen. Pföhler ist nicht erreichbar, der Fachbereichsleiter will Rücksprache halten. Weigand bekommt nach 20 Minuten einen Rückruf: Dem Krisenstab fehlten noch Informationen.

Weigand wird es nun auf anderem Wege versuchen. Insgesamt vier Mal telefoniert sie mit dem Leiter der Abteilung für Hydrologie in Riewenherms Amt. Weigand sei die einzige Anruferin an der LfU-Hotline für Kommunen gewesen, erklärt Riewenherm später. "Sie wollte eine Mail haben, um den Landrat zu überzeugen, dass er den Katastrophenfall auslöst." Das sei auch ein Grund gewesen, warum sie, Riewenwerm im Ministerium angerufen habe: "Da passiert aus Sicht einer betroffenen Bürgermeisterin zu wenig."

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Als die LfU-Präsidentin um kurz vor 17.30 Nachricht erhält, dass kurz zuvor die höchste Warnstufe für die Ahr ausgerufen ist und nun ein Pegel bis zu 6 Meter erwartet wird, findet sie, dass die Leitung des Spiegel-Ministeriums das direkt wissen muss.

Doch der Staatssekretär geht nicht dran, er ist wie Spiegel in der Landtagssitzung. Spiegel muss auch noch einmal im Plenum reden, von 18.17 Uhr bis 18.24 Uhr. Riewenherm schickt um 17.32 Uhr eine Nachricht: Die Lage spitze sich zu, es würden bis zu sechs Meter erwartet. Einem Mitarbeiter schreibt sie um 18.44: "Hier bahnt sich eine Katastrophe an."

Die Datenlage

Die Zahlen liegen vor, aber beim Landesamt hat keiner Erkenntnisse, welche Bedeutung der Pegelstand kleinerer Flüsse vor Ort dann hat. Das könne vor Ort viel besser beurteilt werden. Die Daten gehen dazu an die Kreisverwaltungen, sie seien auch dort abrufbar gewesen in Mails, in KatWarn und auf der Hochwasser-Seite.

Rheinland-Pfalz habe ein gutes und modernes Vorhersagesystem. "Es ist nicht vorgesehen, dass wir kontrollieren, ob in den Kommunen die ganze Zeit unsere Internetseiten laufen", so Riewenherm im Rückblick. "Ich habe meinen Handlungsrahmen ausgereizt gesehen." Sie habe auch gedacht, dass die Pegelprognosen vor Ort weitergegeben wurden: "Weil Frau Weigand anrief und nachfragte, habe ich das geschlossen."

Riewenherm weiß zur Flut von "Hochwasserpartnerschaften" und Vereinbarungen mit den Landkreisen. Sie weiß noch nicht, dass es keine Warnketten der Kommunen entlang der Ahr gibt und keinen mit den Kommunen abgestimmten Alarm- und Einsatzplan. Das Landesamt für Umwelt hat auch "keine Kompetenz, Katastrophenschutzmaßnahmen einzuleiten".

Nach der Flut veranlasst sie, dass die Meldekette noch einmal genau analysiert wird, sie listet in einem Protokoll alle ihrer Telefonate und Mails vom Katastrophentag auf. Vom Ministerium und Anne Spiegel gibt es eine solche Liste nicht. Wegen des Handyvertrags, wie sie sagt.

War Spiegel klar, welche Auswirkungen es hat, wenn der Pegel auf fünf bis sechs Meter steigt? "Ich habe nachgefragt. Die daraus resultierenden Maßnahmen sind Sache des Katastrophenschutzes", ist ihre Antwort im Untersuchungsausschuss. Ihr Staatssekretär erklärt dazu: "Es ist nicht unsere Aufgabe im Krisenmanagement dem Katastrophenschutz zu sagen, was er tun muss."

Die heikle Pressemitteilung

Eine Pressemitteilung und Geringschätzung dafür verbinden die Ministerin und die Präsidentin des Landesamts am 14. Juli. Hochwasser war absehbar, das war Thema im Landtag, und das LfU schrieb dem Ministerium einen langen Text. Unter "Klimaschutzministerium informiert über Hochwasserlage" war zu lesen, dass kein Extremhochwasser droht. An kleineren Flüssen vor allem im Norden des Landes werde es zu "Überflutungen und Hochwasser kommen".

Sie ist schon überholt, als die Pressemitteilung um 16.43 Uhr endlich verschickt wird. Und es ist keine gute Voraussetzung, wenn die Mail gedacht war, Menschen zu warnen. Aber das war sie vielleicht auch nicht.

Sie liegt zwar um 14 Uhr im Ministerium vor, aber die Ministerin will, dass sie erst nach Ende ihrer Rede im Plenum verschickt wird. Sie spricht bis 16.33 Uhr, ihre letzte Anmerkung vor der Freigabe bereitet ihr noch öffentlichen Ärger. Spiegel bittet: "Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen." Dann gibt sie die Mitteilung frei zur Veröffentlichung.

Der Entwurf der Pressemitteilung stammt vom späten Vormittag, er kommt aus Riewenherms Amt. Diese Pressemitteilung war "nicht ausreichend", sagt Riewenherm rückblickend. Aber dort wie im Ministerium wurde der Mitteilung kein großer Stellenwert beigemessen. "Fürs Landesamt ist eine Pressemeldung nicht ausschlaggebend, wichtig ist uns, dass auf unsere Meldeseite hingewiesen wurde."

Spiegel rechnet vor dem Ausschuss sogar vor: Die Pressemitteilung habe nur 89 Abrufe gehabt, die Hochwasserseite 20 Millionen. Die Zahl der Abrufe auf der eigenen Ministeriumsseite zum Maßstab von der Bedeutung von Pressemitteilungen zu machen, ist zumindest irritierend.

Spiegel hatte in ihrer Rede gelobt, dass ihr Land bei der Starkregenvorsorge Spitzenreiter sei. Es komme "auf gut funktionierende Meldeketten und aktuelle Alarm- und Einsatzpläne, aber auch auf eine zielgerichtete Eigenvorsorge" der Bevölkerung an. Später erklärt sie, sie habe in der Rede einen "stärker appellierenden Charakter" eingebaut, "weil ich dachte, die Rede erreicht vielleicht Menschen".

Nach ihrem Beitrag erhält sie ein Update ihres Staatssekretärs, dass sich die Situation im Norden des Landes verschärft.
Er realisiert um 18 Uhr auch, dass die Pressemitteilung überholt ist, er weiß inzwischen vom Innenministerium, dass Hubschrauber auf einem Campingplatz Menschen evakuieren.

Ungefähr zu dieser Zeit wird eine junge Feuerwehrfrau vom Wasser mitgerissen, als sie auf dem Campingplatz eine bettlägerige Frau retten will. Die ersten Menschen sterben, als Spiegels Staatssekretär eine neue Fassung der Presseinformation mit Informationen zur hohen Gefahr für nicht nötig hält. "Sie hat zu keinem Zeitpunkt den Charakter gehabt, die offiziellen Meldewege zu ersetzen", erklärt er später.

Die höchste Warnstufe

Umweltamt-Präsidentin Riewenherm bekommt um kurz vor 17.30 Uhr Nachricht, dass zehn Minuten zuvor die höchste Warnstufe für die Ahr ausgerufen ist und nun ein Pegel bis zu sechs Meter erwartet wird. Der Kreis löst um 17.40 Uhr die zweithöchste Alarmstufe aus, Katastrophenalarm ist das noch nicht.

Die LfU-Präsidentin findet, dass die Leitung des Spiegel-Ministeriums von der Entwicklung wissen muss. Staatssekretär Erwin Manz geht allerdings nicht dran, er ist wie Spiegel in einer Landtagssitzung. Auch den Leiter des Ministerbüros erreicht sie nicht. Riewenherm schickt direkt um 17.32 Uhr eine Nachricht hinterher. Es ist jene, in der sie warnt, dass sich die Lage zuspitzt.

Als Spiegels Staatssekretär Manz zurückruft, beruhigt sie das etwas: Er berichtet ihr schließlich von dem Hubschraubereinsatz zur Rettung von Menschen. Für Riewenherm ein Zeichen: Innen- und Umweltministerium wissen ja offenbar Bescheid und um die Dramatik. Sie rät aber auch: "Bei den Ausmaßen sollte die Ministerin vorne stehen."

Spiegel wird später sagen, Riewenherm hätte sie ja kontaktiert, wenn es nötig gewesen wäre. Sie habe auch ihre Leute zweimal gefragt, ob es nicht besser wäre, in die Region zu fahren. Um 18.02 Uhr erhält sie eine Mail von Manz mit einer aktuellen Lageeinschätzung.

Die Nachricht habe sie "zeitnah gesehen", sie habe sie "sehr besorgt". Spiegel selbst muss noch einmal im Plenum reden, von 18.17 Uhr bis 18.24 Uhr. Dann trifft sie sich zu einem Arbeitsessen mit ihrem politischen Ziehvater, dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden Bernhard Braun. Auch dabei holt sie das Geschehen an der Ahr kurz ein: Einer ihrer Personenschützer hat keinen Kontakt mehr zur Familie und sorgt sich.

Riewenherm schreibt um 18.44 Uhr einem Mitarbeiter: "Hier bahnt sich eine Katastrophe an."

Die Nacht

Um 21.27 Uhr bringt die Nachrichtenagentur dpa eine Meldung von der Katastrophensituation im Kreis Vulkaneifel, der längst nicht so schwer getroffen ist wie die Ahrregion. Dort war aber frühzeitig Katastrophenalarm ausgelöst worden. Die Meldung gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die wirklichen Ausmaße.

Als sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit Innenminister Lewentz austauscht, fragt sie um 21.42 Uhr: "Ist Anne auch informiert? Sie ist ja ein bisschen nervös." Anne Spiegel ist nicht auf Stand. Nach der Landtagssitzung ist sie vom Essen mit Fraktionschef Braun in ihre Zweitwohnung gefahren. Lewentz war zur Ahr gefahren, hatte aber in der Einsatzzentrale den Eindruck, dass alles läuft.

Spiegel geht zunächst nicht dran, als ihr Staatssekretär um 22.24 Uhr anruft. Er leitet ihr daraufhin eine Mail weiter, die es in sich hat.

Darin steht, was Cornelia Weigand Riewenherms Chefhydrologe berichtet hat. Die Schilderungen sind so eindringlich, dass Manz später unsicher ist, ob er sie selbst von der Bürgermeisterin gehört hat: Autos schwimmen vorbei, das Wasser steht bis zum ersten Stock und steigt schnell weiter. Manz ist fassungslos, "das war unvorstellbar".

Spiegel ruft zurück. Es sind nach über drei Stunden die ersten direkten Infos für die Ministerin aus ihrem Haus, und das Telefonat geht "vielleicht zwei Minuten. Er wollte sichergehen, dass ich die Mail bekommen habe". Spiegel hat keine großen Rückfragen und keine Handlungsanweisungen.

In der Nacht einen Krisenstab einzurichten, dafür habe sie keinen Anlass gesehen. Und ihr Staatssekretär habe das ja auch nicht vorgeschlagen. Es sei ein "sehr übliches Vorgehen", dass alle Informationen beim Staatssekretär zusammenlaufen, es habe keinen Anlass gegeben, in funktionierende Abläufe einzugreifen. "Und ich wusste, dass die Abläufe funktionieren, das hat mir mein Staatssekretär gesagt."

Der Staatssekretär ruft auch im Lagezentrum des Innenministeriums an, um die Warnungen von Bürgermeisterin Weigand weiterzugeben. Die Lage sei bekannt, wird ihm geantwortet. "Und wir wissen, dass wir als Umweltressort nicht helfen können, wo Rettungskräfte gefragt sind."

Als Bürgermeisterin Weigand an dem Abend das Rathaus verlässt, ist eine ihrer letzten Handlungen dort ein Telefonat: "Ich bin Atheistin, aber ich habe den Pfarrer angerufen, er soll für die Menschen beten." So lange das Handynetz noch funktioniert, gehen bei den Rettungsdiensten pausenlos Hilferufe ein von Menschen, die auf Dächern auf Hilfe warten.

Es dauert bis 23.15 Uhr, bis der Landrat Katastrophenalarm ausruft. Und erst um 23.27 Uhr warnt der Kreis per Facebook-Posting erstmals: "Bitte bleiben Sie, wenn möglich, zu Hause und begeben Sie sich gegebenenfalls in höher gelegene Stockwerke. Die Lage ist sehr ernst. Es besteht Lebensgefahr!"

Jetzt ist die Evakuierung aller Gebäude im Umkreis von 50 Metern rechts und links der Ahr in Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig angeordnet – zu spät, zu wenig. Gegen den Landrat und einen von ihm beauftragten Mitarbeiter wird wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Er legte sein Amt kurz danach "aus gesundheitlichen Gründen" nieder.

Der Morgen danach

Mindestens 17.000 Menschen an der Ahr haben Hab und Gut verloren oder stehen vor erheblichen Schäden. In der Verbandsgemeinde Altenahr, wo Cornelia Weigand Bürgermeisterin ist, sterben 33 Menschen. Die meisten der insgesamt 134 Opfer gibt es aber in Bad Neuenahr, wo die Flutwelle erst später gewütet hat und mehr Zeit gewesen wäre.

Cornelia Weigand muss an dem Tag auf die Höhe fahren, um überhaupt kommunizieren zu können. Kein Netz. Sie schafft es aber, in Interviews eindringlich zu schildern, wie katastrophal die Situation ist und wie dringend weitere Hilfe benötigt wird.

Spiegel bekommt um 5.58 Uhr eine Nachricht von Ministerpräsidentin Dreyer: Die Lage sei ja absolut dramatisch. Die Antwort um 7.30 Uhr erweckt den Eindruck einer geschäftigen Ministerin: "Ich habe bis 2 Uhr telefoniert, bin informiert. Ich habe überlegt, dich anzurufen". Telefoniert hat sie allerdings nur mit Grünen-Fraktionschef Braun ("lange"), mit ihrem Mann ("mittellang") und zwei Minuten mit dem Staatssekretär.

Spiegel berichtet später von zahllosen Gesprächen und massenhaft Kommunikation in der Krisensituation. Diskutiert wird aber über Kurznachrichten, die sie mit ihrem Pressesprecher austauschte: Sie warnt unmittelbar nach der Flutnacht morgens vor einem "Blame Game" – also vor der Frage, wem eine Mitschuld für die Katastrophe zugesprochen wird. "Das war ein Gedanke, der so schnell weg war, wie er kam", kommentiert sie das später im Zeugenstand. Um Außenwirkung sei es nicht gegangen, sie habe keine andere Priorität gehabt, als den Betroffenen im Ahrtal zu helfen.

Neun Tage später fährt sie in den Urlaub, weil es da doch eine andere, sehr menschliche Priorität gibt: ihre Familie.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • mkuem.rlp.de: Klimaschutzministerium informiert über Hochwasserlage
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