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Interview mit dem Bürgermeister aus Halberstadt: "Werde meine Familie abschirmen"


Interview
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Fackelaufzug in Halberstadt
"Werde meine Familie jetzt komplett abschirmen"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

16.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Bedrohliche Szene: Rund 700 Menschen versammelten sich unter anderem mit Fackeln und Pfeifen vor dem Haus des Bürgermeisters. (Quelle: t-online)

Pyrotechnik, Fackeln, Trillerpfeifen: Ein Mob von 700 Menschen hat das Haus des Halberstädter Oberbürgermeisters belagert. Der warnt im Gespräch mit t-online vor den Folgen für die Demokratie – und will weiter auf den Dialog mit Corona-Demonstranten setzen.

Es sind gespenstische Aufnahmen: Rund 700 Menschen stehen vor dem Wohnhaus des Halberstädter Oberbürgermeisters. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Freiheit raubt", rufen sie. Trillerpfeifen gellen, es brennen Fackeln, mit Taschenlampen wird auf das Haus geleuchtet. Immer wieder wird an diesem Abend in der Menge Pyrotechnik gezündet, berichtet die Polizei später. (Die Szenen sehen Sie hier oder oben im Video.)

In dem Haus sitzt Daniel Szarata, Oberbürgermeister von Halberstadt, mit seiner Familie. Der 39-jährige CDU-Politiker macht den Job in der 40.000-Einwohner-Stadt in Sachsen-Anhalt seit gut einem Jahr. Szarata hat von Anfang an auf den Dialog mit Maßnahmen-Kritikern und Impfgegnern in seiner Stadt gesetzt. Ausgerechnet er wird jetzt mit einem Fackelaufmarsch vor seinem Haus konfrontiert, den nicht nur Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) als "Tabubruch" wertet.

Welche Konsequenzen zieht Szarata für sich aus diesem Abend? Ein Gespräch über tiefe Enttäuschung, rechtsextreme Akteure und verlorene Sicherheiten.

t-online: Mehrere Hundert Corona-Demonstranten und Rechtsextreme haben am Montagabend vor Ihrer Haustür demonstriert – mit Fackeln, Pyrotechnik und Trillerpfeifen. Polizisten mussten den Zugang zu Ihrem Haus versperren. Wie haben Sie den Abend wahrgenommen?

Daniel Szarata: Ich war mit meiner Familie zu Hause. Es war eine sehr beängstigende und bedrohliche Situation. Die Stimmung war sehr angespannt, es wurde getrommelt, es war laut. Wir haben uns aber nicht vor Angst verkrochen. Ich hatte nämlich in keinem Moment das Gefühl, dass die Polizei die Lage nicht im Griff hatte. Die haben einen guten Job gemacht.

Kollegen kritisieren Fackelzüge vor Privathäusern von Politikern scharf, sprechen von Nazi-Methoden. Wie bewerten Sie selbst den Protest?

Grundsätzlich ist es ein großes Problem, dass nicht differenziert wird zwischen der Funktion eines Oberbürgermeisters und dem Privatmenschen und Familienvater Daniel Szarata. In meiner Funktion als Oberbürgermeister bin ich natürlich bereit, mich kritischen Fragen und Diskussionen zu stellen. Das ist Teil unserer Demokratie. Es gehört aber auch zu unserer Demokratie, dass Politiker ein Privatleben haben und dass in dieses Privatleben nicht eingegriffen werden darf. Ein solcher Aufmarsch ist ein schändlicher Versuch der Einschüchterung im privaten Raum, den ich auf das Schärfste verurteile.

https://tagesanbruch.podigee.io/1268-ein-monstroses-verbrechen

Wie sollten Politik und Behörden mit unangemeldeten Corona-Protesten umgehen?

Wir haben in Halberstadt die Erfahrung gemacht: Wenn man die Leute laufen und sich nicht provozieren lässt, ist der Spuk nach anderthalb Stunden wieder vorbei. Sobald es aber Bedrohungen oder Sachbeschädigungen gibt, sobald das Recht in irgendeiner Weise gebrochen wird, müssen die Behörden dagegen mit aller Härte vorgehen. In Halberstadt wurde jetzt erstmals eine Grenze überschritten.

Sie sagen, "sobald Recht gebrochen wird", müsse hart durchgegriffen werden. Die sogenannten Spaziergänge von Gegnern der Corona-Maßnahmen sind in der Regel, ebenso wie die Fackelmärsche, von vornherein nicht angemeldet und verstoßen oft gegen Teilnehmergrenzen der Corona-Verordnungen. Das Recht wird also von Anfang an gebeugt. Wo genau ziehen Sie die Grenze zum Durchgreifen?

In dem Moment, in dem es Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Beleidigungen, Körperverletzungen gibt. Ansonsten ist der Umgang mit den vermeintlichen Spaziergängern schwierig. Ich habe mir für meine Stadt immer gewünscht, dass wir keine Bilder liefern, auf denen Leute festgenommen werden oder mit Gewalt gegen die Menschen vorgegangen wird. Das sind keine schönen Bilder, die will keiner sehen. Wenn die sogenannten Spaziergänge friedlich ablaufen, sind sie immer noch falsch, ich werde sie weiterhin verurteilen. Aber solange sie friedlich bleiben, muss man meiner Meinung nach nicht mit aller Härte vorgehen. Man muss abwägen.

Sie sind nicht der erste Politiker, den es trifft. Im Dezember marschierten Demonstranten unangemeldet vor dem Haus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) auf, im Januar vor dem Haus von Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos), am Montag auch in Baden-Württemberg vor dem Wohnsitz von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).

Kein Politiker hat einen solchen Aufmarsch vor dem Haus verdient. Bei Kommunalpolitikern finde ich es aber besonders schädlich für unsere Demokratie. Kommunalpolitiker sind die kleinste Keimzelle der Demokratie, die Tätigkeit wird in der Regel ehrenamtlich ausgeübt, aus Liebe zur und Engagement für die Region. Solche Aufläufe zeigen auch, dass Corona für viele auf der Straße wohl nur der Vorwand ist, um demonstrieren gehen zu können. Schließlich kann ich als Kommunalpolitiker nichts an der Corona-Politik verändern. Dafür bin ich schlicht nicht zuständig.

Sie haben in den vergangenen Monaten den Dialog gesucht, haben in Halberstadt mit Gegnern der Corona-Maßnahmen diskutiert.

Deswegen bin ich über den Aufmarsch besonders traurig und enttäuscht. Wir waren die erste Kommune, die ein echtes Dialogangebot gemacht hat. Wir haben gesagt: Wenn ihr Sorgen habt, wenn ihr Nöte habt – dann kommt mit uns ins Gespräch. Weil wir der Auffassung sind, dass es wichtig ist, miteinander zu reden, statt gegeneinander zu demonstrieren. "Dialog statt Demo" hieß unsere Veranstaltungsreihe, mit mir als Oberbürgermeister, mit dem Landrat, mit Abgeordneten aus dem Landtag. Auch Europaabgeordnete und – ganz wichtig! – Ärzte waren vor Ort. Damit waren wir in Deutschland die Ersten, die überhaupt versucht haben, einen anderen Weg zu gehen.

Wollen Sie diesen Weg fortsetzen?

Den Weg des Dialogs werden wir fortsetzen. Es war nicht Halberstadt, das am Montagabend vor meiner Tür stand. Das lässt sich schon an den Nummernschildern der Autos ablesen, mit denen viele Leute angereist sind. Natürlich waren auch Halberstädter auf der Straße. Aber gesteuert werden die Proteste nicht von hier. Dieser Demonstrationstourismus ist ein Problem und bitter für unsere Kommune.

Die rechtsextreme Vereinigung "Harzrevolte" soll den Demo-Zug beworben und angeführt haben. Sehen Sie die Gefahr, dass Rechtsextreme in die Orte gehen, wo man sich offen für Diskussionen zeigt?

Die "Harzrevolte" kann bisher nicht mit Halberstadt in Verbindung gebracht werden. Wir sind eine weltoffene Stadt, haben uns seit den 90er-Jahren gut entwickelt.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang nannte die "Harzrevolte" bereits Anfang Dezember explizit als in Halberstadt präsente Gruppe.

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Ich gehe davon aus, dass die Ministerin das in Bezug auf die Corona-Demonstrationen sagte. Die Rechtsextremisten machen sich die Demonstrationen zu eigen. Die haben sich ab der zweiten Demo öffentlich vor die Proteste gespannt. Aber in Halberstadt verankert sind sie meines Wissens nach nicht. Jeder muss sich sehr gut überlegen, ob er da hinterherlaufen möchte. Ich kann es nicht empfehlen.

Ziehen Sie nach dem Fackelaufmarsch Konsequenzen für Ihr Privat- oder Berufsleben?

Es ist ein sehr, sehr trauriger Prozess, wenn solche Aufmärsche dazu führen, dass Politiker ihr gesamtes Privatleben im Verborgenen führen müssen. Aber genau das werde ich jetzt tun. Ich werde meine Familie in Zukunft komplett von meinem Arbeitsleben abschirmen, um sie zu schützen. Dabei glaube ich eigentlich, dass Menschen sich bürgernahe Politiker wünschen.

Ihnen und Ihrer Familie alles Gute, Herr Szarata!

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Daniel Szarata
  • Pressemitteilung der Polizei
  • Videos vom Aufzug auf Twitter
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