Wilde Gerüchte in Schwerin Sex, Intrigen, AfD
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Ein Mann posiert nackt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, zu sehen ist er nur von hinten, doch auffällige Tätowierungen zieren Schulterblatt und Oberarm: Das Foto ist geeignet, jemanden empfindlich in seiner Intimsphäre zu verletzen. Der AfD-Politiker Thomas Kerl hat es trotzdem öffentlich gemacht. Angeblich, so sagt er in einem bei Facebook veröffentlichten Video in einem entrüsteten Ton, weil ihm das mutmaßliche Treiben des Mannes "ein bisschen zu weit" gehe.
Es fehle der "eine oder andere Beweis"
Gemeint sind "wildeste Gerüchte über wildeste Partys", die der Mann, bei dem es sich um ein ranghohes Mitglied der AfD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern handeln soll, dort veranstaltet haben soll. Das Parlament residiert im prestigeträchtigen Schloss von Schwerin, umrahmt vom Schweriner See. Eine nahezu fabelhafte Kulisse für heimliche Schäferstündchen im extravaganten Ambiente zu nachtschlafender Zeit.
Ob sie denn tatsächlich dort stattgefunden haben – und zwar nicht nur beispielsweise in Abgeordnetenbüros, sondern sogar im Plenarsaal –, ist bislang völlig unklar. Auch der AfD-Politiker Kerl, der die Vorwürfe in die Welt gesetzt hat, räumt in seinem Video ein, er brauche dafür "den einen oder anderen Beweis". Das hat ihn allerdings nicht davon abgehalten, die einem Portal für erotische Treffen entnommene intime Aufnahme, den Nutzernamen und weitere Daten zu veröffentlichen – und nicht besonders dezente Hinweise auf die angebliche Identität des Mannes zu geben.
AfD-Politiker kündigt rechtliche Schritte an
Das erfüllte offenbar seinen Zweck: Wenig später berichtete zunächst die regionale Presse in Form von "Schweriner Volkszeitung" und "Nordkurier". Dann griff schließlich die deutschlandweite Medienlandschaft die Berichterstattung auf. Der Name des Beschuldigten war in der Welt. In internen WhatsApp-Gruppen schrieb der betroffene Abgeordnete daraufhin an die Mitglieder.
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"Die Mutmaßungen und subtilen Unterstellungen sind Teil einer verlogenen Beschmutzungskampagne des Thomas Kerl gegen mich als Teil der Landesführung", heißt es in dem Chat, der t-online im Wortlaut vorliegt. "Wir werden uns gegen die Lügen und Diffamierungen zu Wehr setzen und aufklären." Ein Sprecher der Landtagsfraktion teilte mit, ein auf Medienrecht spezialisierter Rechtsanwalt sei mit der Prüfung beauftragt, ob Kerls Veröffentlichungen strafrechtlich relevant seien. Die darauf beruhende Berichterstattung werde zivilrechtlich geprüft. Und: "Die notwendigen Parteiordnungsverfahren sind in die Wege geleitet worden."
AfD: Gewaltfantasien und Nacktbilder
Das betrifft offenkundig auch Thomas Kerl, der die Videos verbreitete. Er gilt seit Langem als scharfer Kritiker der Landesspitze, die weniger loyal zu Björn Höckes vorgeblich aufgelöstem "Flügel" steht als Kerl selbst. Auch in den Videos greift er den Landesvorsitzenden Leif-Erik Holm an, wirft ihm Stimmenverluste bei der Bundestagswahl vor – aber auch angeblich fingierte Chats, die seine innerparteilichen Gegner belasten sollen. Immer wieder bringt er ihn mit dem beschuldigten Abgeordneten in Zusammenhang.
Der politische Kampf mit dubiosen Mitteln ist für die AfD im Nordosten nicht neu: Immer wieder förderten interne Chats sowohl die tiefen Gräben zwischen den beiden Lagern als auch extremes Gedankengut und schmutzige Wäsche zutage. 2017 verließ der damalige Landesvorsitzende Holger Arppe die AfD, nachdem von ihm geäußerte pädophile Gewaltphantasien bekannt wurden. 2019 machten dann Nacktbilder einer Parteikollegin die Runde – garniert mit dem Hinweis, dass sie als Escort-Dame gearbeitet habe. Wenig später wurden die angeblich fingierten Chats öffentlich, in denen der Frau des neuen Landesvorsitzenden Holm mit Vergewaltigung gedroht wurde.
"Können nicht dulden, dass so etwas im Raum steht"
Insofern sind die aktuellen Vorwürfe für AfD-Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern fast harmlos. Bislang ist jedenfalls nicht einmal bekannt, ob es sich bei dem Sex-Dating-Profil um den betroffenen Abgeordneten handelt – was für sich genommen kein Skandal-Potenzial birgt. Das Portal wirbt mit mehreren Millionen Nutzern deutschlandweit. Pikant machen würden den Vorwurf erst die angeblichen Schäferstündchen im Landtag "mit Genehmigung eines Wachmanns", die der AfD-Politiker Kerl in den Raum stellt – und diesem Verdacht geht die Landtagsverwaltung nun erst einmal nach.
"Konkret geht es darum, dass sich Personen unrechtmäßig im Haus aufgehalten haben sollen", sagte ein Sprecher auf Anfrage von t-online. "Wir können nicht dulden, dass so etwas im Raum steht." Wie diese Prüfung im Detail aussieht, wollte er nicht darlegen. Laut "Schweriner Volkszeitung" soll es keine Videoaufnahmen aus dem Plenarsaal geben. Die Frage, ob der Eingangsbereich videoüberwacht sei und ob davon Aufnahmen archiviert werden, blieb offen. Klar ist nur, dass sich die Untersuchung vorerst auf den Wachdienst konzentriert, dessen Personal laut Informationen von t-online direkt beim Landtag angestellt ist.
Kerl berichtete bereits auf Facebook, von Beamten der Landtagsverwaltung kontaktiert worden zu sein. Beweismaterial habe er aber keines zur Verfügung gestellt. Angeblich habe der Anrufer ihm daraufhin mit strafrechtlichen Ermittlungen gedroht. Auf eine Anfrage von t-online reagierte Kerl nicht. Die "Schweriner Volkszeitung" berichtete aber über ein förmliches Schreiben, in dem Kerl mit Strafantrag gedroht werde, solle er seine Anschuldigungen gegen Mitarbeiter des Wachdienstes nicht beweisen können.
Kerl könnte also nicht nur vonseiten des beschuldigten AfD-Abgeordneten, sondern auch des Landtags Ungemach drohen. Bis Freitagabend waren die fraglichen Videos und Facebook-Postings mit den Anschuldigungen weiter im Internet abrufbar. Bislang scheint Kerl die Vorwürfe also aufrechterhalten zu wollen.
- Eigene Recherchen
- Schweriner Volkszeitung: "Sex-Partys im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern?"