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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Söder gegen Laschet Die Wirklichkeit ist ganz anders
Markus Söder gilt in der Corona-Krise als erfolgreicher Krisenmanager, Armin Laschet als das Gegenteil. Doch mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Eine Geschichte darüber, warum das Image in der Politik oft mehr zählt als die Fakten.
In der Politik ist es nicht anders als im richtigen Leben: Entscheidend für das Bild, das andere von einem haben, ist weniger, was man konkret tut. Wichtig ist vor allem, wie man sein Tun verkauft.
Das lässt sich in der Corona-Krise besonders gut beobachten: In ganz Deutschland wurde im vergangenen März ein Lockdown verhängt, dann wurden die Beschränkungen überall gelockert, der Sommer verlief in allen Teilen vergleichsweise entspannt. Im Spätherbst ging die gesamte Republik schließlich in den weitgehenden Corona-Winterschlaf. Und nun soll das Leben von Norden bis Süden und von Westen bis Osten wieder etwas normaler werden.
So sehr sich der Zyklus ähnelt, so unterschiedlich werden die handelnden Akteure wahrgenommen. Das gilt vor allem für die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für die Kanzlerkandidatur der Union: Armin Laschet und Markus Söder.
Während der bayerische Ministerpräsident in der Bekämpfung der Pandemie als harter Hund gilt, der erfolgreich gegen die Krise kämpft, wird der Regierungschef von Nordrhein-Westfalen eher als unentschlossener Wackler mit bescheidener Bilanz gesehen. Die Pandemie verlieh Söder einen Sympathieschub, Laschet dagegen verlor an Unterstützung.
Dabei sprechen die Corona-Zahlen eine ganz andere Sprache: Bisher gab es in NRW rund 3.000 gemeldete Fälle pro 100.000 Einwohner, in Bayern waren es allerdings gut zehn Prozent mehr. Noch schlechter sieht Söders Bilanz aus, wenn es um die größten Schicksale der Pandemie geht: In Bayern starben bislang pro 100.000 Einwohner 95 Menschen an oder mit Covid-19. Im bevölkerungsreichsten Bundesland waren es fast ein Viertel weniger.
Aus den Zahlen ließe sich also durchaus der Schluss ziehen: Laschet ist nicht nur ein mindestens genauso guter Krisenmanager wie Söder, er ist sogar besser.
Wie aber kommt es, dass das öffentliche Bild ein völlig anderes ist, dass viele wohl sagen würden: "Der Söder macht das mit Corona deutlich besser als der Laschet"?
Kritik an Söder gibt es zwar, aber vor allem aus der Opposition. Und die ist schließlich fürs Kritisieren der Regierung da.
Trotzdem dürfte Katharina Schulze, die Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag, zumindest auch recht haben, wenn sie sagt: "Wer ein bisschen an Söders Fassade kratzt, sieht sofort, dass das kein echtes Gold ist, sondern nur angemalt. Und dahinter bröckelt die Substanz weg." Das gilt auch für FDP-Generalsekretär Volker Wissing, wenn er bemängelt, Söders Aussagen seien "stets eine Mischkalkulation aus dem, was er für Bayern für notwendig hält, und dem, was ihm bei seinen Kanzlerambitionen förderlich scheint."
Denn wer die Ereignisse seit der Ankunft des Virus in Deutschland nachzeichnet, die Reaktionen der beiden Rivalen rekonstruiert, die Entstehung ihres jeweiligen Bildes in der Öffentlichkeit analysiert, bekommt aufschlussreiche Antworten: Dazu, wie sich in einer modernen Öffentlichkeit das Image von Spitzenpolitikern herausbildet. Und vor allem allgemein darüber, wie Politik funktioniert.
Die erste Reaktion: Das Virus ist da – Söder und Laschet fliegen erst mal weg
Am Tag, an dem in Bayern über den ersten Corona-Fall Deutschlands gesprochen wird, ist Landesvater Markus Söder auf dem Weg nach Russland: Wladimir Putin besuchen. Es ist der 28. Januar, am späten Abend des Vortages wird die Infektion eines Mitarbeiters der Firma Webasto gemeldet. Eine chinesische Kollegin hatte das Virus aus China nach Bayern gebracht. Söder schickt seine Gesundheitsministerin Melanie Huml auf die Pressekonferenz. Er selbst fliegt nach Moskau. Putin ist ihm wichtiger als Corona.
Weltpolitik genauso gut zu können wie Wirtshaus – das gehört für CSU-Chefs zum Selbstbild. Da darf ein Antrittsbesuch beim russischen Präsidenten nicht fehlen. Corona? So richtig besorgt ist Söder nicht, auch wenn schnell drei weitere Fälle bekannt werden. "Ich glaube schon, dass es Anlass gibt zu höchster Sorgfalt, aber noch keinen zu Panik“, sagt er in Moskau.
Nur einige Wochen zuvor, Anfang Januar, hat Söder noch eine Debatte über einen Ministertausch in der Bundesregierung angezettelt. Ein typisches Muskelzucken aus Bayern. Machtspielchen. Das Coronavirus breitet sich zu dieser Zeit von China längst weltweit aus. Es gibt Fälle in den USA, Japan, Südkorea, Vietnam, Nepal, Singapur, Taiwan und Australien. Am 25. Januar erreicht Corona erstmals Europa: Frankreich meldet die ersten drei Fälle.
Doch in Deutschland bleiben die Verantwortlichen noch lange Zeit betont entspannt, nicht nur Söder. Armin Laschet sorgt sich Mitte Februar um sein Karnevalsvergnügen. Es sei „schrecklich“, sagt er, dass in Berlin „irgendwelche komischen Sitzungen angesetzt“ seien – und er deshalb den Rosenmontag nicht im Rheinland verbringen könne. Ein Scherz, den er sich wohl verkniffen hätte, wenn er da schon von den Folgen einer Kappensitzung wenige Tage zuvor gewusst hätte.
Denn was am 15. Februar bei der Feier des Karnevalsvereins „Langbröker Dicke Flaa“ in Gangelt im Kreis Heinsberg passiert, wird erst zehn Tage später klar. Laschet sitzt am 25. Februar in Berlin in der Bundespressekonferenz. Er ist gerade mit seiner Karriere beschäftigt, genauso wie Gesundheitsminister Jens Spahn. Beide kündigen ihre Tandem-Kandidatur für den CDU-Vorsitz an. Am Abend kommt die Meldung: Ein Ehepaar, das in Gangelt mitgefeiert hat, wurde positiv auf das Coronavirus getestet.
Laschet schickt – wie Söder im Fall Webasto – zunächst seinen Gesundheitsminister vor: Karl-Josef Laumann. Und fliegt, ebenfalls wie Söder, erst einmal weg. Nach einem Abstecher zum Krisenstab im Kreis Heinsberg geht es zum Kurzbesuch nach Israel.
Das Image bildet sich: Der harte Hund Söder und der lockere Laschet
Anfang März feiern Skifahrer und Schickeria im österreichischen Paznauntal, als würden sie Corona nur von der Bierkarte kennen. Doch das Virus feiert natürlich längst mit. Ein Barkeeper im “Kitzloch” in Ischgl ist infiziert, er wird am 7. März positiv getestet. Der Ort wird zur Virusdrehscheibe Europas. Die Behörden in Österreich beschwichtigen noch, als Urlauber Corona längst in ihre Heimat getragen haben. Im benachbarten Deutschland vergehen viele Tage, bis irgendjemand reagiert. Erst vom 13. März an gilt Tirol als Risikogebiet, erst drei Tage später beginnen die Grenzkontrollen. Viele Reisende sind da längst zu Hause. Mit Corona.
Der Ischgl-Ausbruch wird zum zweiten Hotspot-Problem Deutschlands, nicht nur, aber besonders für das nahe Bayern. Ab dem 24. März gibt es dort zwei Wochen lang im Schnitt mehr als 1.550 neue Infizierte – jeden Tag. Viel mehr als in Nordrhein-Westfalen, wo in dieser Zeit trotz der Heinsberg-Nachwehen durchschnittlich nur rund 940 Menschen pro Tag positiv getestet werden.
Söders Bayern hat Laschets NRW überholt, im negativen Sinne. In Bayern brennt der Baum wie nirgends sonst in Deutschland. Söder gilt in der Öffentlichkeit trotzdem als der Corona-Bändiger schlechthin. Medien spekulieren seit Tagen darüber, ob die Krise der Durchbruch für ihn im Rennen um die Nachfolge von Angela Merkel wird. “Plötzlich Krisenkanzler?” fragt die betont nüchterne Nachrichtenagentur dpa in einer Überschrift.
Söders Image hat sich in den Tagen zuvor herausgebildet. Das hängt damit zusammen, dass er offenbar tatsächlich früher als andere erkennt, was kommen könnte. Zumindest früher als Laschet. Aber es hat auch damit zu tun, dass er seine Sorge in Sätze verwandeln kann, die später in allen Medien landen. “Durch Corona ist die Welt eine andere”, sagt Söder nach einer der ersten Bund-Länder-Runden am 12. März. Dass sich Kanzlerin und Ministerpräsidenten vorher auf wenig Handfestes einigen konnten, spielt kaum eine Rolle.
Handeln? Das macht Söder einen Tag später selbst. Kurz nach dem Saarland kündigt Bayern an, Schulen und Kitas zu schließen. Nordrhein-Westfalen macht das zwar auch, am gleichen Tag sogar. Doch Laschet ist in der öffentlichen Wahrnehmung trotzdem der Nachzügler. “Jetzt hat auch die nordrhein-westfälische Landesregierung entschieden” beginnt eine Nachricht dieses Tages. Hängen bleibt: Erst jetzt.
“Markus Söder ist schnell, omnipräsent und laut”, sagt die bayerische Grüne Katharina Schulze. All das hilft ihm in dieser Phase öffentlich. Und all das ist Laschet eben nicht.
Laschet merkt natürlich, was da passiert. In der nächsten Bund-Länder-Runde am 22. März entlädt sich der schwelende Konflikt in einem Streit. Laschet attackiert Söder in den Beratungen massiv, wie es später heißt, weil der mal wieder “ohne Absprache” vorgeprescht sei. Söder droht daraufhin, die Schalte zu verlassen. Er hatte schon Tage vor der Runde weitreichende Ausgangsbeschränkungen für Bayern verkündet. Alle anderen Bundesländer beschließen an dem Tag ein kaum weniger weitreichendes Kontaktverbot. Aber Söder war eben wieder vorn. Er weiß: Der Erste bekommt den Großteil der Aufmerksamkeit.
Ende des Monats sieht ihn eine “Focus”-Umfrage mit großem Abstand als den beliebtesten deutschen Politiker. Weit vor Angela Merkel, Jens Spahn und Olaf Scholz. Laschet landet nur auf Platz fünf.
Ab Ende März wird aus "Laschet, dem Nachzügler" langsam "Laschet, der Lockere". Zumindest im öffentlichen Bild. In dieser Debatte ist er endlich einmal vorne mit dabei – und wieder im Konflikt mit Söder. "Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch", schreibt Laschet in einem Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag". Einen Tag später sagt Söder das Gegenteil: "Eine Exit-Debatte, so verständlich sie sein mag, ist jetzt zur Unzeit."
Laschet ruft einen "Expertenrat Corona" ins Leben, in dem unter anderem Hendrik Streeck sitzt. Das Land finanziert dem Virologen eine Studie zum Corona-Ausbruch im Kreis Heinsberg. Schon erste Zwischenergebnisse nutzt Laschet dazu, mögliche Öffnungsschritte an Ostern zu begründen.
Dass die Studie wie mit der Hand gestrickt wirkt und zudem von der PR-Agentur "Storymaschine" des früheren "Bild"-Chefredakteurs Kai Diekmann in Szene gesetzt wird, befeuert die Kritik nur noch. Von eingekaufter Expertise ist die Rede, die Übertragbarkeit der tröpfchenweise bekannt werdenden Zwischenergebnisse wird bezweifelt.
Laschet steht als Verharmloser da, als Unverbesserlicher nach dem Heinsberg-Ausbruch. Es ist ein PR-Desaster.
Die Debatte um Lockerungen nimmt im Frühjahr derart an Fahrt auf, dass Kanzlerin Angela Merkel Mitte April in einer internen Runde von "Öffnungsdiskussionsorgien" spricht. Wenige Tage zuvor haben sich Bund und Länder am 15. April auf erste Lockerungen verständigt.
Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern sollen wieder öffnen dürfen. In Nordrhein-Westfalen genau wie in Bayern, auch wenn man dort mit einigen Branchen noch eine Woche wartet. Ein paar Tage, die einen Unterschied machen. Denn Söder weiß: Wenn er beim Lockern nicht der Erste ist, fällt es nicht so auf, dass er inhaltlich die gleichen Öffnungsschritte beschließt.
Bei den Corona-Zahlen liegen die beiden Länder inzwischen weitgehend gleichauf. Hängen bleiben wird jedoch, dass NRW als Land der Küchenbauer nun auch schon die Möbelhäuser öffnet. Laschet, der Lockere.
Die nächsten Wochen werden ruhiger, weil das Virus zu verschwinden scheint.
Der Kampf mit den Krisen: Laschets Tönnies-Ausbruch und Söders verschwundene Tests
Der Rückschlag kommt am 27. Mai. Und er kommt schriftlich: Europas größter Fleischfabrikant Tönnies in Rheda-Wiedenbrück teilt der Kreisverwaltung mit, man habe 19 Corona-Fälle festgestellt. Doch die sind nur der Beginn der massiven Verbreitung des Virus in der Fleischfabrik. Kurz darauf ergibt sich: Von 6.139 getesteten Werksmitarbeitern sind 1.413 infiziert. Es ist eine kleine Katastrophe, mitten im Laschet-Land. Später werden noch zahlreiche andere Ausbrüche folgen, doch keiner erfährt eine vergleichbare Aufmerksamkeit. Denn der Fall in der Fleischfabrik macht nicht nur die fragwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen bei Tönnies deutlich, er zeigt auch: Die Pandemie ist eben nicht unter Kontrolle.
Laschet gibt zunächst eine Pressekonferenz. Er signalisiert: alles im Griff. Am Rande eines Termins wird er kurz darauf gefragt, was der Ausbruch über die von ihm vorangetriebenen Lockerungen aussage. Nichts, erklärt Laschet, "weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da das Virus herkommt".
Das mag inhaltlich nicht ganz falsch gewesen sein. Aber Laschet klingt, als seien weniger die heimischen Rahmenbedingungen bei Tönnies schuld als die ausländischen Arbeitnehmer. Es gibt das, was man einen Shitstorm nennt. Laschet muss einen Tag später zurückrudern: "Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich."
In diesen Tagen im Sommer zeigt sich einmal mehr Laschets eigentliches Problem: Er sagt gern mal Dinge einfach so. Es wirkt, als denke er über die Folgen seiner Sätze manchmal erst nach, nachdem er sie gesprochen hat. Oder sogar erst dann, wenn es Ärger gibt.
Das wirkt in diesem Fall auch deshalb fatal, weil Laschet nicht nur die Macht von Worten unterschätzt, sondern auch die von Bildern. Es gibt ein Foto von ihm mit Maske, die er jedoch nicht über die Nase gezogen hat. Ein anderes Mal hat er die Maske kurz im Flieger abgenommen. Ein Foto davon landet prompt in der "Bild"-Zeitung.
Das heißt nicht, dass Laschet seine Masken immer schludrig trägt oder sich stets unbedacht äußert. Aber ein paar einzelne Lapsus-Szenen fügen sich in der Öffentlichkeit eben schnell zum Bild, dass da einer ist, der es nicht so genau nimmt.
Markus Söder sagt fast jeden Satz mit Kalkül. Und er vermeidet auch einen Foto-Fauxpas, wo es nur geht. Bei Interviews versucht er Fotografen gern zu erklären, wie er sich selbst am besten in Szene setzen kann. Bei öffentlichen Terminen achtet er penibel darauf, die Maske immer korrekt aufzusetzen. Und natürlich nicht irgendeine: Klar, im CSU-Shop gibt es Masken in den bayerischen Farben zu bestellen. Der Ministerpräsident verwendet allerdings besonders gern eine mit extra großen weiß-blauen Karos.
Gern übertreiben – das Motto gilt auch im Juli, als Söder die Kanzlerin auf Herrenchiemsee begrüßt. Ausgerechnet Angela Merkel, der Protz und Pomp fern liegen, wird von Söder in einer Kutsche über die Insel gefahren, nimmt in einem goldverzierten Saal Platz. Wahrscheinlich hat sich Merkel während des Besuchs innerlich scheckig gelacht, aber das ist Söder wurscht. Für ihn zählt, was rüberkommt: Bayern ist perfekt. Und ich bin der beste Ministerpräsident der Welt.
Doch auch Söder hat seinen Tönnies-Moment. Als die ersten Urlauber aus den Sommerferien zurückkommen, steigen auch die Corona-Fälle. Öffentlichkeitswirksam kündigt Söder Massentests an den Grenzen an. Doch am 12. August wird klar: Auch in Bayern können zwischen Wunsch und Wirklichkeit Welten liegen. Zehntausende getestete Reiserückkehrer warten lange, zu lange, auf ihr Ergebnis. Darunter auch 1.000 Infizierte. Es ist sogar die Rede von Bleistiftnotizen auf den Unterlagen, die sich nicht mehr entziffern ließen.
Die Häme ist entsprechend groß: ausgerechnet Söder. Ausgerechnet der Mann, der in der Krise gar nicht genug warnen kann. Der immer betont, wie toll in Bayern alles laufe – gern verbunden mit dem gönnerhaften Nachsatz, dass sich ja nun andere Bundesländer diesem Kurs anschließen würden.
Söder ist stark unter Druck. Und er tut, was jeder Politiker machen würde: die Flucht nach vorn antreten. Aber er macht es eben auf die Söder-Art, indem er die Verantwortung für seinen Aktionismus kollektiviert. Demonstrativ stellt er sich gemeinsam mit Gesundheitsministerin Melanie Huml vor die Kameras und sagt: "Wir müssen schauen, dass wir aus jedem Fehler lernen, um für Sicherheit und Klarheit zu sorgen." Wir. Nicht ich.
Und Söder weiß auch, dass ein vermeintlich starkes Signal oft doch nur Schwäche beweist. Er hätte Huml rausschmeißen können. Sie habe ihm zweimal den Rücktritt angeboten, sagt er großväterlich. Aber damit hätte Söder nur eingestanden, jemanden zur Ministerin gemacht zu haben, die offenbar schlecht Krise kann. Einen neuen bayerischen Gesundheitsminister gibt es ein paar Monate später, kurz nach Neujahr, als kaum jemand davon Notiz nimmt. Söder sagt zum Abschied: "Ich schätze die Melanie sehr."
Als der Pandemie-Sommer vorbei ist, haben Laschet und Söder zwar beide mit regionalen Problemen zu kämpfen gehabt. Aber der Eindruck, der sich festgesetzt hat, ist: Der erste muss seine eigenen Sätze erklären, rechtfertigt sich also. Der andere macht so viel, mei, da passieren eben auch mal Fehler, aus denen er dann lernen kann. Und Leute wie die Melanie können sogar noch etwas von ihm lernen.
Das hat auch damit zu tun, dass der bayerische Ministerpräsident mehr in Fernsehstudios als an seinem Schreibtisch zu sein scheint. Ständig auf Sendung, lobt Markus Söder dabei besonders gern die Politik von Markus Söder. Laschet dagegen ist nicht omnipräsent und verzichtet dazu auch noch auf allzu reichhaltiges Eigenlob.
Die kollektive Enttäuschung: Der Wellenbrecher-Lockdown wirkt weder in NRW noch in Bayern
Erst vergeht der August, als die Corona-Zahlen bereits langsam steigen. Dann vergeht der September, als die Inzidenzen schon deutlicher zunehmen. Und dann vergeht fast der gesamte Oktober, bis Kanzlerin und Ministerpräsidenten handeln: Sie legen das öffentliche Leben in vielen Teilen Deutschlands still. Nicht komplett und vermeintlich erst einmal für einen Monat. Denn der sogenannte Wellenbrecher-Shutdown im November soll es richten.
Dahinter stehen sowohl Laschet als auch Söder. Der bayerische Ministerpräsident erklärt: "Verzögern wird nicht helfen. Verschleppen verschlimmert." Es gehe nur um vier Wochen, und es werde keinen "kompletten Lockdown" geben wie im Frühjahr. Laschet erklärt: "Die Lage ist sehr, sehr ernst. Der November wird der Monat der Entscheidung."
Söder und Laschet sind sich inhaltlich nahe – und täuschen sich beide. So wie die meisten Ministerpräsidenten. Die Zahlen gehen nicht zurück, der Lockdown wird Mitte Dezember in NRW und Bayern genauso verschärft wie im Rest der Republik. Und dann verlängert. Und schließlich verlängert.
Reden und handeln: Laschet redet über Lockerungen, Söder macht sie einfach
Inzwischen ist es Anfang März. Markus Söder gibt in diesen Tagen mal wieder den Mann, der nicht so handelt, wie er redet. Und der einen neuen Begriff erfindet: Sprach die Kanzlerin im vergangenen Frühjahr noch von "Öffnungsdiskussionsorgien", warnt er nun vor einem "Öffnungsrausch". Einmal mehr bestimmt er damit die Schlagzeilen.
Gleichzeitig treibt er allerdings Öffnungen voran. Nicht im rauschhaften Tempo, aber mit bemerkenswerten Begründungen: Die Blumenläden in Bayern etwa dürfen wieder Kunden empfangen, weil sie “verderbliche Ware” haben. Dass sie wochenlang geschlossen haben und die Lager deshalb leer sein dürften, erwähnt Söder nicht. Laschet wäre für eine solch absurde Begründung öffentlich verprügelt worden, bei Söder gibt’s nur Schulterzucken. Deshalb stört es auch nicht weiter, dass er die Baumärkte gleich mit öffnet.
Warum der Söder vom März 2021 plötzlich den Laschet vom April 2020 gibt? Wohl vor allem, weil der öffentliche Druck steigt. Die meisten Menschen wollen eine Perspektive, die Umfragen für CDU und CSU bröckeln, Söders Popularität schwindet.
Und da schadet Aktionismus im Zweifel nicht. Also fordert Söder auch noch gleich, die Impfreihenfolge bei Astrazeneca aufzuheben.
Auch Armin Laschet spürt den wachsenden Druck und versucht sich ebenfalls mit Wegen aus dem Lockdown. Doch im Gegensatz zu Söder hält er nichts davon, ständig irgendwelche Prioritäten beim Impfen zu ändern. Und er klingt nicht unvorsichtiger als der Kollege aus Bayern: "Jetzt gilt: kontrollierte Sicherheit statt dauerhaftes Schließen".
Vielleicht fassen die jüngsten Ereignisse das Pandemiejahr ganz gut zusammen: Beide spüren den schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung für die bisherige Corona-Politik und wollen deshalb Lockerungen. Doch während Laschet sagt, was er vorhat – die Maßnahmen allmählich zurücknehmen – warnt Söder großspurig vor einem "Öffnungsrausch", den er dann still und leise selbst betreibt.
Das Fazit: Söder hat das bessere Image, Laschet mehr Chancen aufs Kanzleramt
Die Anti-Virus-Politik von Markus Söder und Armin Laschet unterscheidet sich über weite Strecken also nur in Nuancen, doch ihr Corona-Image differiert fundamental. Wie kann das sein? Anders gefragt: Wie hat Söder das Wunder des Wirklichkeitsverlusts geschafft?
Vielleicht liegt es daran, dass es sich beim Image eines Menschen nicht viel anders verhält als bei einem lackierten Gegenstand: Das Gesamtbild entsteht erst durch die diversen Schichten. Ihr Zusammenspiel entscheidet also darüber, ob sich ein glänzender oder matter Eindruck festsetzt.
Söder verfügt, um im Bild zu bleiben, über mehr Farben. Und er ist vielschichtiger. Das liegt an ihm, aber auch an seinem Bundesland.
Nordrhein-Westfalen ist ein artifiziell zusammengesetztes Bindestrich-Land mit einer sehr überschaubar ausgeprägten eigenen Identität. In Bayern gehört das "Mia san mia" zur DNA – und das ist mindestens genauso wichtig: Dieses oft zu Laute, häufig allzu Selbstbewusste, nicht selten Schamlose wird von den anderen Teilen der Bundesrepublik anerkannt. Klar, der pompöse Empfang von Merkel auf Herrenchiemsee wirkte übertrieben. Aber sind halt die Bayern, die machen das eben so.
Wäre von Laschet auch nur halb so viel Prunk und Gloria für die Kanzlerin veranstaltet worden, hätte er sich der Lächerlichkeit preisgegeben. Sich zu inszenieren, wenn auch Duisburg-Marxloh zum eigenen Bundesland gehört, ist schwieriger, als wenn man das Alpenpanorama im Portfolio hat.
Söder verfügt aber auch über persönliche Vorteile gegenüber Laschet, die ihm beim Glänzen helfen. Seine wahrscheinlich wichtigsten Eigenschaften: Er ist skrupelloser und weniger dünnhäutig.
Söder hat sich in seinem politischen Leben schon so oft gewandelt – zuletzt vom Grünenhasser zum Baumumarmer –, dass er manchmal vielleicht selbst nicht mehr weiß, was er gerade darstellt. All den Hohn und Spott, den er dafür kassierte, hat er weggeschickt und sogar ironisch damit gespielt. Etwa, indem er an Fasching als "Shrek – der tollkühne Held" auftrat.
Wenn Laschet sich angegriffen fühlt, sieht man ihm das dagegen buchstäblich an. Und inhaltliche Schwenks trägt man ihm mehr nach als Söder, weil es davon noch nicht so viele in seinem Leben gab.
Mindestens genauso wichtig ist allerdings, dass Söder fraglos der bessere Medienprofi ist als Laschet, obwohl beide Journalismus gelernt haben. Söder weiß, dass bei den Leuten das hängen bleibt, was er immer und immer wiederholt. Also gibt er ständig irgendwo Interviews. Er sagt dann – wohl kalkuliert – gern "Wir bleiben vorsichtig" und mahnt erst einmal vor Lockerungen, bevor er sie ankündigt.
Laschet dagegen kontrolliert seine Kommunikation weniger, ihm rutscht auch mal etwas raus. Dann klingt es im Zweifel so, als hätte Deutschland nur deshalb ein Corona-Problem, weil Rumänen und Bulgaren das Virus von zu Hause mitgebracht haben. Solche Sätze, das könnte ihm der Kommunikationsexperte Söder erklären, bekommt man nie wieder eingefangen.
Trotz allem gibt es einen Trost für Armin Laschet: So wichtig Image in der Politik auch sein mag, für einen CDU-Vorsitzenden ist es eher unwichtig.
Angela Merkel und Helmut Kohl waren nie besonders begnadet, wenn es um Selbstvermarktung ging. Sie waren nie ausgesprochen charismatisch. Und von vermeintlich stärkeren Gegnern wurden sie lange belächelt. Doch sie waren eben die Chefs der größten deutschen Volkspartei und des größeren Partners in der Union aus CDU und CSU.
Auch deshalb sind sie beide Kanzler geworden – für jeweils 16 Jahre.
- Eigene Recherchen