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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wähler ausgeschlossen "Im schlimmsten Fall droht eine Annullierung der Wahl"
![Friedrich Merz (l.) und Olaf Scholz (Montage): Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Friedrich Merz (l.) und Olaf Scholz (Montage): Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt.](https://images.t-online.de/2025/02/nSNX84zJJezq/0x0:1920x1080/fit-in/1920x0/image.png)
Etwa drei bis vier Millionen Deutsche leben dauerhaft im Ausland und dürfen wählen. Doch vom Urnengang in zwei Wochen könnten Tausende von ihnen ausgeschlossen sein.
Lena P. beschreibt sich selbst als nicht sonderlich politischen Menschen. Sie wählt zwar regelmäßig und verfolgt die Nachrichten, darüber hinaus interessiert sie sich aber eigentlich weniger für die Politik in Deutschland. Das mag auch mit ihrem Wohnort zu tun haben: Australien. Doch dieses Jahr ist alles anders. "Dass ich ausgerechnet bei dieser Schicksalswahl nicht wählen gehen kann, ärgert mich total", sagt die 37-Jährige.
Denn P. gehört zu schätzungsweise Zehntausenden Auslandsdeutschen, die zwar eigentlich wahlberechtigt sind – aber de facto von der Wahl ausgeschlossen sind. Das liegt an der kurzen Frist für das Verschicken der Unterlagen und Wahlbriefe bei der vorgezogenen Neuwahl. Es drohen Klagen vor dem Verfassungsgericht, im schlimmsten Fall gar eine Annullierung der Bundestagswahl.
t-online hat für die Recherche mit rund einem Dutzend Betroffenen sowie mehreren Verfassungsrechtlern und Juristen gesprochen. Sie alle erheben schwere Vorwürfe gegen die Organisation der Wahl.
Wie es zum Neuwahltermin kam
Mit dem Zusammenbruch der Ampelregierung am 6. November vergangenen Jahres begann das Feilschen um den Termin der Neuwahl. Während Union und FDP für ein zeitnahes Abhalten der Wahl plädierten und Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Vertrauensfrage drängten, wollten die Sozialdemokraten möglichst erst im März wählen. Nicht zuletzt, weil sie sich Rückenwind von der Bürgerschaftswahl in Hamburg versprachen.
- Experte warnt: "Zehntausende werden vom Wahlrecht ausgeschlossen"
Auch Bundeswahlleiterin Ruth Brand appellierte in einem Brief an Scholz, beim Termin für eine Neuwahl nichts zu überstürzen. Bei einer Neuwahl im Januar oder Februar sehe sie "eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnte". Sie warnte etwa vor Problemen bei der Beschaffung von Papier. Eine Überlastung der Wahlämter könnte zudem dazu führen, dass Briefwahlunterlagen besonders ins Ausland nicht rechtzeitig versendet werden, schrieb sie.
Schließlich einigten sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und sein CDU-Kollege Friedrich Merz auf den Termin am 23. Februar. Scholz stellte am 16. Dezember die Vertrauensfrage im Bundestag, die er erwartungsgemäß verlor.
Wahlunterlagen wurden versandt
So weit, so bekannt. Nun aber scheint es tatsächlich zu den befürchteten Problemen beim Versenden der Briefwahlunterlagen ins Ausland gekommen zu sein, vor denen Wahlleiterin Brand warnte. Innerhalb Deutschlands sollten die Unterlagen zwischen dem 6. und 10. Februar versandt werden.
Auch Bundeswahlleiterin Brand teilt auf Anfrage von t-online mit: "Die Vorbereitungen verlaufen nach Plan. Nach meiner Kenntnis haben zahlreiche Gemeinden die gedruckten Stimmzettel bereits erhalten und den Versand der Briefwahlunterlagen gestartet." Im besten Fall sollten sie nach drei bis vier Tagen ankommen, sodass sie ausgefüllt und ans zuständige Wahlamt geschickt werden können.
Die Wahlbriefe müssen bis zum Abstimmungstag am 23. Februar um 18 Uhr bei der zuständigen Stelle eingehen, um gültig zu sein. Die Deutsche Post hat zugesichert, dass Wahlbriefe, die bis zum 20. Februar vor der letzten Leerung des Briefkastens eingeworfen oder in einer Postfiliale abgegeben werden, rechtzeitig die zuständige Wahlstelle erreichen.
Drei bis vier Millionen Auslandsdeutsche
Für deutsche Staatsbürger, die dauerhaft oder vorübergehend im Ausland wohnen, ist das Prozedere indes deutlich komplizierter. Statistisch wird ihre Anzahl nicht erfasst, Schätzungen gehen von drei bis vier Millionen Deutschen aus. Die meisten von ihnen dürften in Europa und den USA leben – doch auch im südlichen Afrika, Australien und Neuseeland, China, Japan oder dem Nahen Osten wohnen Tausende Deutsche.
Menschen, die etwa wegen ihres Jobs ins Ausland geschickt wurden und dort dauerhaft sesshaft geworden sind. Angehörige von Bundeswehrsoldaten. Menschen, die im Ausland studieren und forschen. Oder schlichtweg ausgewandert sind.
Diese Auslandsdeutschen müssen entweder vor Ort in Deutschland wählen oder aber einen schriftlichen Antrag auf Eintragung in das sogenannte Wählerverzeichnis stellen. Denn: "Eine Wahl in deutschen Botschaften im Ausland ist in Deutschland gesetzlich leider nicht vorgesehen", heißt es auf t-online-Anfrage aus dem Auswärtigen Amt.
- Wahllexikon: Was Sie unbedingt wissen sollten
Lange Postlaufzeiten
Wer also nicht zufällig oder geplant zum Wahltermin nach Deutschland reist, dem bleibt nur der Eintrag ins Wahlregister. In dem Antrag muss man unter anderem erklären, dass man wahlberechtigt ist und in keiner anderen Gemeinde im Wahlgebiet einen Antrag auf Eintragung gestellt hat. Zuständig ist die Gemeinde, in der die Person zuletzt in Deutschland gemeldet war.
Dieser Antrag musste bis zum 2. Februar 2025 gestellt sein. Er ist Voraussetzung dafür, dass die Auslandsdeutschen wählen gehen können. Allein: Wegen der langen Postlaufzeiten kommen die Briefwahlunterlagen bisweilen erst kurz vor der Bundestagswahl bei den Wahlberechtigten in Übersee an. Oder gar danach.
Laut Deutscher Post benötigen herkömmliche Briefe etwa in die USA ca. 6 bis 10 Werktage, nach Argentinien sind es 8 bis 12 Werktage und nach Australien sogar zwischen 10 und 17 Werktage. Heißt: Gingen die Wahlunterlagen in Deutschland am 10. Februar in die Post, wären sie im schlimmsten Fall am 28. Februar in Australien. Dann ist das endgültige Wahlergebnis wohl längst bekannt.
16.000 Kilometer Luftlinie
Ein Problem, vor dem auch Lena P. stand. Mit ihren beiden Töchtern und ihrem französischen Ehemann Oli lebt sie in der Nähe der Sunshine Coast, an der Ostküste Australiens, mehr als 16.000 Kilometer Luftlinie von ihrem Wahlamt in Westerburg, Rheinland-Pfalz, entfernt. Die Förderschullehrerin war zwischen Studiumsende und Referendariat nach Australien gegangen als "typische Backpackerin".
Hier lernte sie ihren heutigen Mann kennen, bekam Kinder. Und blieb. Zwischenzeitlich ging die Familie für das Referendariat von Lena P. nach Deutschland zurück, seit elf Monaten lebt sie aber wieder in Australien. Hier gehen die Töchter zur Schule, ihr Mann arbeitet als Softwareingenieur, sie als Alltagsbegleitung einer Frau mit Behinderungen.
Ende Januar habe sie den Antrag auf Eintrag ins Wahlregister bei der Verbandsgemeindeverwaltung in Westerburg abgeben wollen, berichtet P., als sie auf Besuch in der Heimat gewesen sei.
Doch der zuständige Sachbearbeiter habe ihr dann unmissverständlich klargemacht, dass die Unterlagen wohl nicht rechtzeitig ankommen würden. Sie hat auf den Rat des Sachbearbeiters gehört, der sagte, die Briefwahl aus Australien ergebe keinen Sinn. Die Unterlagen hat sie am Ende gar nicht erst abgegeben.
Kurierdienst der Auslandsvertretung soll unterstützen
Denn, wie auch der Sachbearbeiter anmerkte: Der Rückversand der Unterlagen nach Deutschland nimmt einige Zeit in Anspruch. Unterstützen soll hierbei der Kurierdienst der deutschen Botschaft in Australien.
Doch damit das möglich ist, müssen die ausgefüllten Briefwahlunterlagen wiederum bis zu einer bestimmten Frist bei der Botschaft oder dem Konsulat ankommen. Von dort geht es dann nach Berlin, von wo die Unterlagen wiederum innerhalb Deutschlands versendet werden. Und das möglichst pünktlich bis zum 23. Februar.
Bis Montag, den 17. Februar 2025, um 12 Uhr müssten sie daher beim Generalkonsulat Sydney ankommen, oder bis Freitag, den 14. Februar 2025, um 13 Uhr bei der Botschaft in Canberra, informiert die deutsche Auslandsvertretung in Australien. "Wie soll das denn zeitlich möglich sein?", sagt P. Immerhin dauert der Postweg bereits innerhalb Australiens einige Tage.
"Warum wird die Wahl so übers Knie gebrochen?"
Dass der Kurierdienst nicht sonderlich hilfreich sein könnte, gibt die Auslandsvertretung derweil freimütig zu. "Wir sind uns der äußerst knappen Fristsetzung der Bundeswahlleiterin bewusst und werden alles versuchen, um Ihre Stimme rechtzeitig nach Deutschland zu bekommen. Wir können jedoch keine Garantie für Postlaufzeiten etc. übernehmen. Es steht Ihnen frei, den aus Ihrer Sicht erfolgversprechendsten Versandweg zu wählen", heißt es da.
Und weiter: "Der Kurierweg ist nicht unbedingt schneller als kommerzielle Post- oder Kurierdienste. Die Entscheidung, den Kurierweg mitzubenutzen oder nicht, liegt daher alleine bei Ihnen."
Eine Floskel, die übrigens so oder so ähnlich bei allen deutschen Auslandsvertretungen zu finden ist. Manchmal gar in verschärfter Form. Wer als Auslandsdeutscher etwa in Südafrika wählen gehen will, muss dem Konsulat neben dem Wahlbrief noch eine Haftungsausschlusserklärung unterschreiben.
Aus der Deutschen Botschaft in Washington heißt es etwa auf Anfrage von t-online: "Die Kuriersendung ist so geplant, dass die Briefe noch in der von der Deutschen Post garantierten Lieferfrist die Wahlämter rechtzeitig vor dem 23.2. erreichen sollten, allerdings kann dies nicht garantiert werden, es wird keine Haftung übernommen."
Lena P. ärgert sich über die kurzen Fristen: "Ich fühle mich ausgegrenzt, das macht mich wütend. Warum wird die Wahl so übers Knie gebrochen?"
"Es wäre extrem ärgerlich"
Die 37-Jährige ist mit ihrem Problem nicht allein. t-online hat mit weiteren Auslandsdeutschen gesprochen, die sich in Brasilien, Argentinien, den USA oder Kambodscha befinden. Sie alle bestätigten die Sorge, dass ihre Stimme verschenkt sein könnte, weil sie nicht rechtzeitig ankommt.
Die 33-jährige Eva-Maria Lilienthal ist seit Juni 2024 gemeinsam mit ihrem Freund auf Weltreise. Zunächst in Namibia und Südafrika, seit Mitte Juli in Südamerika. Was die ganze Sache nochmals komplizierter macht. Aktuell befinden sich die beiden in der 120.000-Einwohner-Stadt Mendoza, im westlichen Argentinien, knappe 12.000 Kilometer Luftlinie vom Wahlamt in Mülheim an der Ruhr entfernt.
Vor kurzem waren sie noch in der Hauptstadt Buenos Aires, in wenigen Tagen geht es nach Santiago de Chile. Dorthin sollen dann auch die Briefwahlunterlagen geschickt werden, für den Rückversand will Lilienthal den Kurierdienst der deutschen Vertretung in Chile in Anspruch nehmen. Am 18. Februar muss das durch sein, denn dann verlassen die beiden Chile und den südamerikanischen Kontinent wieder. Nächstes Ziel: Neuseeland.
"Aktuell hoffen wir, dass alles funktioniert", sagt Eva. "Sollte es nicht klappen, wäre es extrem ärgerlich." Nicht zuletzt, da es einiges an Aufwand und E-Mails gekostet habe, herauszufinden, wie das Vorgehen nun sei. Und: Weil sonst ihre Stimme verloren gehe.
Experte: "Ich sehe die derzeitige Situation durchaus als Problem"
Die Schwierigkeit für Deutsche, im Ausland an der Bundestagswahl teilzunehmen, könnte weitreichende Folgen für die Wahl insgesamt haben, wie Juristen t-online bestätigen.
Der Staatsrechtler Ulrich Battis, der mehrere Standardwerke verfasst hat, sagt t-online: "Ich sehe die derzeitige Situation der Auslandsdeutschen durchaus als Problem. Schließlich kann das einen Verstoß gegen den höchsten Grundsatz des Wählens darstellen: die Allgemeinheit der Wahl." Immerhin seien die Menschen wegen der kurzen Fristen und langen Postwege an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert, argumentiert Battis.
![Ulrich Battis Ulrich Battis](https://images.t-online.de/2023/01/7Ofl6KebXrTe/0x49:2048x1365/fit-in/1920x0/der-staatsrechtler-ulrich-battis-in-berlin.jpg)
Zur Person
Ulrich Battis (geboren 1944) ist ein deutscher Rechtswissenschaftler und emeritierter Professor für öffentliches Recht. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin und gilt als Experte für Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Battis hat zahlreiche Fachpublikationen verfasst und war zudem als Rechtsberater in verschiedenen Gesetzgebungsverfahren tätig.
Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sieht es ähnlich wie Battis. "Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl wird womöglich verletzt. Das wäre ein Problem", sagt er. Eine Möglichkeit, die Wahl noch zu verschieben, gebe es nicht, erklärt Boehme-Neßler.
Dass die Wahl im Nachhinein angefochten wird, da sind sich die Juristen ohnehin sicher. Immerhin sei dies noch bei jeder Wahl vorgekommen.
In diesem Fall gehen die Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger zunächst an den Wahlprüfungsausschuss, der sie prüft und dem Bundestag einen Entscheidungsvorschlag macht. Dieser muss dann darüber votieren, ob die Wahl ungültig ist. Boehme-Neßler dazu: "Das Ergebnis ist voraussehbar: Der gerade neu gewählte Bundestag wird die Beschwerden ablehnen. Schließlich wird er sich nicht selbst für ungültig erklären."
Wird das Verfassungsgericht angerufen?
Dann aber gebe es die Möglichkeit der gerichtlichen Wahlprüfung – und den Gang zum Bundesverfassungsgericht. Eine Möglichkeit, die beide Juristen bei dieser Wahl für wahrscheinlich halten. Battis: "Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Wahl entscheiden muss." Boehme-Neßler: "Wahrscheinlich ist, dass enttäuschte Bürger das Verfassungsgericht anrufen."
![Volker Boehme-Neßler Volker Boehme-Neßler](https://images.t-online.de/2025/02/Ea3xL0Pj2hjy/0x1:1909x1273/fit-in/1909x0/volker-boehme-nessler-seit-2014-professor-fuer-oeffentliches-recht-medien-und-telekommunikationsrecht-an-der-carl-von-ossietzky-universitaet-oldenburg.jpg)
Zur Person
Volker Boehme-Neßler (geboren 1962) ist Professor für öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Zuvor war er Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der HTW Berlin. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind die Folgen der Digitalisierung auf die Demokratie.
Das bedeutet aber weiterhin nicht, dass die Wahl tatsächlich annulliert wird. "Entscheidend ist hier, ob die zu spät abgegebenen Stimmen mandatsrelevant sind und am Gesamtergebnis etwas ändern könnten", erklärt Boehme-Neßler. Also ob es genug Stimmen sind, dass eine Partei etwa die Fünfprozenthürde erreichen würde. Auch kommt das zum Tragen, wenn sich zwei Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.
"Das Verfassungsgericht entscheidet, ob die Stimmen die Wahl auf eine mandatsrelevante Weise beeinflusst hätten", sagt er. "Das ist letztlich eine Frage der Anzahl." Bedeutet: Zwar könnte in Einzelfällen gegen einen Wahlgrundsatz verstoßen werden, solange es aber nicht massenhaft passiert, wird die Wahl nicht wiederholt.
In diesem entscheidenden Punkt wird die Statistik der Auslandsdeutschen relevant. 2021 haben sich rund 130.000 Deutsche aus dem Ausland in deutsche Wählerverzeichnisse eingetragen. Davon lebten knapp 110.000 in Europa. Weitere 7.700 in den USA, 5.300 in Asien und je rund 1.500 in Kanada, Afrika und Australien. Im Vergleich zu der Gesamtzahl der Auslandsdeutschen relativ gering, nicht zuletzt, weil die Hürden recht hoch sind. Doch die Zahl der Briefwähler steigt seit Jahren. Insbesondere aus dem Ausland.
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Verfassungsrechtler Boehme-Neßler sagt: "Wenn Tausende Auslandsdeutsche de facto von der Wahl ausgeschlossen werden, kann man schon über Mandatsrelevanz sprechen. Besonders, wenn die Wahl sehr knapp ausgeht." Aktuell erwartet er nicht, dass es dazu kommt. Doch: "Im schlimmsten Fall droht eine Annullierung der Wahl."
Bundeswahlleiterin versteht die Probleme
t-online hat die Bundeswahlleiterin mit den Recherchen konfrontiert und ihr einen umfassenden Fragenkatalog zugeschickt. Ruth Brand versteht die Probleme für die Auslandsdeutschen. "Selbstverständlich erreichen mein Team und mich seit Wochen zahlreiche Fragen zum Thema Wahlteilnahme aus dem Ausland – sowohl von Deutschen, die im Ausland leben, als auch von Deutschen, die sich rund um den Wahltag auf Reisen im Ausland befinden", so Brand. Und weiter: "Es ist meine Aufgabe als Bundeswahlleiterin, auf mögliche Herausforderungen für eine ordnungsgemäße Wahl hinzuweisen."
Brand muss aber zugeben: "Als Bundeswahlleiterin habe ich nur begrenzte Einflussmöglichkeiten, das Verfahren für die Briefwahlteilnahme von im Ausland lebenden Deutschen zu optimieren." Sie habe zum Beispiel "die Landeswahlleiterinnen und Landeswahlleiter verstärkt darauf hingewiesen, die Gemeindebehörden für einen frühen Versand der Unterlagen an Deutsche im Ausland zu sensibilisieren", sagt sie. "Außerdem stehen wir in Kontakt zum Auswärtigen Amt im Hinblick auf die Mitnutzung des amtlichen Kurierwegs."
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Gleichzeitig macht sie deutlich: "Als Bundeswahlleiterin bin ich, ebenso wie die übrigen Wahlorgane und die Gemeindebehörden, verpflichtet, das derzeit geltende Wahlrecht umsetzen." Sie verweist auf die Möglichkeit, Einspruch gegen die Wahl einzulegen. "Die Möglichkeit hierzu gibt es bei jeder Wahl – auch für Wahlberechtigte, die im Ausland leben", so Brand.
Experte: "Das wäre fatal"
CDU-Politiker Patrick Sensburg war zwischen 2017 und 2021 Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses. Der Verwaltungsrechtler und Universitätsprofessor kann die Kritik an der Organisation der Wahl nachvollziehen. "Wenn eklatante Verstöße nicht zur Annullierung der Wahl führten, wäre das fatal", sagt er t-online. "Man nimmt es bei der Bundestagswahl offenbar einfach in Kauf, dass Tausende Deutsche nicht abstimmen können. Man weiß ja vorher um die Probleme für die Auslandsdeutschen.“
Er fordert daher Möglichkeiten, auch bei Botschaften wählen zu können oder zumindest seinen Wahlbrief nicht nach Deutschland, sondern an die Auslandsvertretung zu senden. "Da muss der deutsche Staat mal kreativ werden", so Sensburg. "Für viele Auslandsdeutsche sind Wahlen noch eine Verbindung zur Heimat. Sie haben daher einen großen Wunsch, zu wählen."
![Das Krypto-Handy des NSA-Ausschussvorsitzenden Patrick Sensburg wurde wohl gehackt und ausspioniert. Das Krypto-Handy des NSA-Ausschussvorsitzenden Patrick Sensburg wurde wohl gehackt und ausspioniert.](https://images.t-online.de/2021/09/73131406v2/0x0:640x360/fit-in/640x0/das-krypto-handy-des-nsa-ausschussvorsitzenden-patrick-sensburg-wurde-wohl-gehackt-und-ausspioniert.jpg)
Zur Person
Patrick Sensburg (geboren 1971) ist ein deutscher Jurist, Politiker (CDU) und Professor für Staats- und Verwaltungsrecht. Er war von 2009 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und leitete den NSA-Untersuchungsausschuss. Von 2017 bis 2021 war er Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses. Seit 2019 ist er Präsident des Reservistenverbands der Bundeswehr. Zudem lehrt er an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen.
Die Deutschen müssten sich einfach bewusst werden, was für ein Privileg freie Wahlen seien, so Sensburg. "Die Gesellschaft nimmt die Wahlen nicht mehr ernst genug. Das hat sich gesellschaftlich leider so eingeschliffen."
Und Lena P.? "Für mich ist die Wahl vom Tisch. Das ist extrem bitter", sagt sie. Denn sie ist sich sicher: Ihre Stimme wäre so wichtig wie nie zuvor gewesen.
Mitarbeit: Patrick Diekmann
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Lena P. (voller Name ist der Redaktion bekannt)
- WhatsApp-Austausch mit Eva-Maria Lilienthal
- Gespräche und Nachrichtenaustausch mit weiteren Betroffenen
- Gespräch mit Ulrich Battis
- Gespräch mit Volker Boehme-Neßler
- Gespräch mit Patrick Sensburg
- Gespräch mit Oliver Junk
- Anfrage an Bundeswahlleiterin Ruth Brand
- Anfrage an das Bezirksamt Berlin-Neukölln
- Anfrage ans Auswärtige Amt
- Anfrage an die Deutsche Botschaft in Washington D.C., an die Deutsche Botschaft in Pretoria
- auswaertiges-amt.de: "Bundestagswahl 2025: Informationen für Deutsche im Ausland"
- australien.diplo.de: "Bundestagswahl 2025: Wählen aus dem Ausland"
- southafrica.diplo.de: "Bundestagswahl 2025: Informationen für Deutsche in Südafrika"
- germany.info: "Deutsche Vertretungen in den Vereinigten Staaten"
- deutschepost.de: "Länderinformationen für den internationalen Briefversand"
- uk.diplo.de: "FAQ zum Sonderkurierdienst für die Bundestagswahl 2025"
- uk.diplo.de: "Versand von Briefwahlunterlagen für die Bundestagswahl 2025"
- luftlinie.org: "Entfernung zwischen Westerburg (Deutschland) und Sunshine Coast (Australien)"
- luftlinie.org: "Entfernung zwischen Mülheim an der Ruhr und Mendoza (Argentinien)"
- bundeswahlleiterin.de: "Wählen aus dem Ausland – Informationen zur Bundestagswahl 2025"
- bundestag.de: "Deutsche im Ausland und ihr Wahlrecht"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa