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Regel-Wirrwarr in Deutschland: Sicheres Chaos statt sicherer Schulstart


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Regel-Wirrwarr der Bundesländer
Sicheres Chaos statt sicherer Schulstart

  • Sonja Eichert
Von Sonja Eichert, Leonie Schlick

Aktualisiert am 21.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Geöffnetes Fenster eines Klassenzimmers in Dresden: In Sachsen sind die Schulen bereits seit einer Woche im eigeschränkten Regelbetrieb.Vergrößern des Bildes
Geöffnetes Fenster eines Klassenzimmers in Dresden: In Sachsen sind die Schulen bereits seit einer Woche im eigeschränkten Regelbetrieb. (Quelle: Robert Michael/dpa)
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Die Schulen öffnen wieder. Zu den Fragen wann, wie und für wen gibt es jedoch nicht nur eine Antwort – sondern gleich 16. Nur eine Hoffnung eint alle: Dass die Schulen nicht gleich wieder schließen müssen.

Am Montag öffnen vielerorts die Schulen wieder. Experten mahnen zur Vorsicht und zu klaren Regeln – doch über das "wie" herrscht große Uneinigkeit zwischen den Ländern. Wann dürfen wie viele Schüler kommen? Mit Maske oder ohne? Und gilt eigentlich die Präsenzpflicht? Jedes Bundesland macht seine eigenen Regeln. So droht statt sicherem Schulstart vor allem das sichere Chaos.

Dass die Bundesländer freie Hand bekommen, wurde beim Corona-Gipfel am 10. Februar beschlossen. Die Ministerpräsidenten setzten sich durch: Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte gerne erst ab dem 1. März geöffnet. Am 22. Februar beginnt nun also für viele deutsche Grundschüler wieder der Unterricht in der Schule – mit einigen Ausnahmen: In Bremen waren die Schulen nie geschlossen, in Niedersachsen sind sie schon länger wieder geöffnet, in Sachsen seit letztem Montag. Mecklenburg-Vorpommern will zwei Tage länger warten, Hamburg und Sachsen-Anhalt sogar bis März.

Wirrwarr bei einem der wichtigsten Themen der Pandemie

Schon beim Datum wird also deutlich: Obwohl die Schulen in der Pandemie zu einem der wichtigsten Themen wurden, schaffen es die Bundesländer nicht, sich auf eine einheitliche Linie zu einigen.

Auch bei der Regelung des Präsenzbetriebes sieht es kaum besser aus: In den meisten Ländern dürfen die Eltern entscheiden, ob ihre Kinder in die Schule gehen sollen. Nicht so in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Auch welche Klassenstufen zurückkehren, ist von Land zu Land unterschiedlich. Welche Regeln in Ihrem Bundesland gelten, lesen Sie hier.

Wissenschaftliche Empfehlung wird nicht umgesetzt

Dabei gibt es eine wissenschaftlich begründete Leitlinie, an der unter anderem die Deutschen Gesellschaften für Epidemiologie, für Kinder- und Jugendmedizin und für Pädiatrische Infektiologie sowie das Robert Koch-Institut, Vertreter von Eltern und Schülern und einige Gesundheitsämter mitgewirkt haben. Diese äußert sich zwar ausdrücklich nicht dazu, wie die Schulöffnungen zu bewerten sind, empfiehlt jedoch Maßnahmen für den sicheren Schulbetrieb. Darunter zu finden sind unter anderem die Reduzierung der Anzahl anwesender Schüler und die Maskenpflicht.

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Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bezeichnete diese Leitlinie als "große Hilfestellung", man könne den Verantwortlichen damit eine "evidenzbasierte und von einer breit aufgestellten Gruppe getragene Handlungsempfehlung an die Hand geben". Aber: Die Verantwortlichen in den Bundesländern halten sich mit ihren Maßnahmen nicht durchgehend daran.

Schnelltests ja, Teststrategie nein

Als zusätzliches Instrument sollen Schnelltests für Sicherheit sorgen. Doch auch wenn deren Einsatz angekündigt ist: Die Durchführbarkeit steht infrage. Kinderintensivmediziner Florian Hoffman vom Dr. von Haunerschen Kinderspital in München sagte im t-online-Interview: "Herr Spahn hat diese Tests zwar versprochen, wir haben aber die Testkapazitäten einfach nicht." Ab März hatte der Gesundheitsminister kostenlose Schnelltests für alle zugesagt, zudem sollen ebenfalls im März Laien-Selbsttests zugelassen werden.


Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte diesbezüglich der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Mein Appell an die Länder ist: Der breite Einsatz dieser Schnelltests muss jetzt vorbereitet werden, damit sie sofort genutzt werden können, wenn sie zugelassen und verfügbar sind".

Doch bisher haben die meisten Bundesländer noch keine Teststrategie verkündet. In Bremen soll das Schulpersonal sich künftig zweimal wöchentlich testen lassen können. In Berlin sollen sich Lehrer und Erzieher nach einer Schulung ab Montag zweimal die Woche gegenseitig testen. Die Teilnahme ist freiwillig. Tests für die Schüler soll es erst geben, wenn Selbsttests zugelassen sind. Dabei wären regelmäßige Tests, am besten täglich, wichtig, sagt Mediziner Hoffmann: "Das würde eine enorme Sicherheit reinbringen, selbst wenn die Tests nicht hundertprozentig zuverlässig sind."

Mehr Geld für die schleppende Digitalisierung

Warum wird dann trotzdem geöffnet? Während an manchen Schulen der virtuelle Unterricht gut funktioniert, ruckelt es vielerorts massiv: Es mangelt an digitalen Angeboten und Endgeräten, Lösungen zum Datenschutz und technischen Schulungen. Im Verlauf der Pandemie wurden zwar mehr Gelder aus dem "Digitalpakt Schule" abgerufen, der im vergangenen Jahr von Bund und Ländern auch deutlich aufgestockt wurde.

Bildungsministerin Karliczek musste jedoch eingestehen: Es braucht mehr Tempo – "aber die Richtung stimmt jetzt". 1,3 Milliarden Euro wurden 2020 bereits ausgezahlt oder bewilligt, insgesamt stehen bis 2024 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit den Mitteln sollen unter anderem Leih-Laptops für Schüler angeschafft werden, ebenso Computer für die Lehrer und weitere Ausstattung für die Schulen – bis die jedoch tatsächlich verfügbar sind, dauert es.

Einsamkeit, Depressionen, Bildungslücken

Auch die Isolation von Freunden und Mitschülern hat gravierende Auswirkungen: "Wir sehen Einsamkeit, wir sehen depressive Verstimmungen, Bewegungsmangel und Bildungslücken", beklagte Giffey. Kinder und Eltern bräuchten eine Perspektive.

Eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Ein Jahr nach Beginn der Pandemie zeigt fast jedes dritte Kind in Deutschland psychische Auffälligkeiten. Zuvor war es nur jedes fünfte. Besonders betroffen sind Kinder aus sozial schwächeren Verhältnissen und mit Migrationshintergrund. Und auch die Eltern kämen mit der Doppelbelastung aus Homeschooling und Beruf zunehmend an ihre Grenzen. Hier hofft man durch die Öffnung der Schulen auf Besserung.

Vorreiter Sachsen: "Für die Kinder ist es toll"

Vorreiter waren bereits am vergangenen Montag die Sachsen: "Wir dürfen nicht vergessen, was gerade mit den Jüngsten passiert, wenn sie noch weiter im Lockdown verharren. Um Lesen, Rechnen und Schreiben zu lernen, brauchen die Kinder die direkte Kommunikation mit ihren Lehrerinnen und Lehrern. Unter der Isolation im Lockdown leiden Kinder besonders", begründete Kultusminister Christian Piwarz den Schritt. Seit einer Woche findet in Kitas und Grundschulen ein eingeschränkter Regelbetrieb statt. Diejenigen Schüler, die kommen durften, seien fast vollständig erschienen, berichtet der MDR, obwohl die Präsenzpflicht ausgesetzt ist.

Nadine Eichhorn, stellvertretende Vorsitzende des Landeselternrats sagte t-online: "Für die Kinder ist es natürlich toll, dass sie einigermaßen Normalität wiederhaben. Die Eltern haben gemischte Gefühle, auch Bedenken hinsichtlich des Infektionsschutzes". Denn während einige Schulen alle Schutzmaßnahmen sehr penibel umsetzen würden, gebe es andere, die sich weniger an die Vorgaben hielten.

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Umsetzung der Regeln scheitert in der Praxis

Weiter erzählt sie, dass es teilweise aber auch an der praktischen Umsetzung der Regeln scheitere: Vorgesehen ist, dass in sächsischen Schulen feste Gruppen unterrichtet werden sollen, ohne Durchmischung. Eine Trennung der Klassen gibt es nicht. Aber: "Das ist nicht überall immer möglich. Es gibt Schulen, ob sie wollen oder müssen, da muss der Englischlehrer durch alle Klassen. Auch im Hort können diese festen Gruppen nicht immer beibehalten werden", so Eichhorn. Auch der eigentlich vorgesehene Mindestabstand sei kaum praktikabel, wie sie berichtet: "In einer Klasse mit 25 Kindern kann man natürlich keine Abstände einhalten, egal wie viel Mühe man sich gibt".

Die Kinder müssen in Sachsen, anders als in vielen anderen Bundesländern, im Unterricht am Platz keine Maske tragen. Bei diesem Thema gehen die Meinungen der Eltern auseinander – viele würden die Regelung jedoch befürworten, so Eichhorn. "Die Mehrheit der Eltern findet, dass Masketragen während des Unterrichts bei Grundschulkindern unverhältnismäßig ist." Das hätte eine Umfrage des Landeselternrats ergeben, so Eichhorn.

Das Fazit der Elternvertreterin nach der ersten Woche: "Wir hoffen, dass das jetzt alles gelingt. Es wäre eine Katastrophe, wenn in vier Wochen die Schulen wieder schließen müssten, auch für die Kinder. Das zehrt an den Nerven." Mediziner Hoffmann hat jedoch wenig Hoffnung: "Der Sommer wird von der dritten Welle überschattet werden. (…) Ich befürchte, dass die Schulen dann wieder zumachen werden."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräche mit Dr. Florian Hoffmann und Nadine Eichhorn
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