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Corona-Demos in Berlin: Ist den Covid-19-Leugnern noch zu helfen?


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Corona-Demonstranten in Berlin
Ist denen noch zu helfen?


Aktualisiert am 19.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Eine Frau hält der Polizei ein Kruzifix entgegen: "Sie sehen sich als Helden, wenn sie im Wasserwerferregen tanzen", sagt der Psychologe Sebastian Bartoschek.Vergrößern des Bildes
Eine Frau hält der Polizei ein Kruzifix entgegen: "Sie sehen sich als Helden, wenn sie im Wasserwerferregen tanzen", sagt der Psychologe Sebastian Bartoschek. (Quelle: Christian Mang/reuters)
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Für sie ist Corona eine Grippe und die Bundesrepublik eine Diktatur. Bei vielen Corona-Demonstranten stehen keine echten Ängste mehr im Vordergrund. Wie kann man sie zurück in die Wirklichkeit holen?

Vor den Absperrungen am Brandenburger Tor steht eine Frau, blond, mittelalt, schwarze Felljacke, ihre Hände gen Himmel gestreckt, als erwarte sie die göttliche Erlösung. Hinter ihr fahren die Wasserwerfer der Polizei auf, feiner Sprühregen durchsetzt die Luft. Ihren Blick wendet sie dennoch nicht vom Himmel ab. Die Frau ist nur eine der rund 10.000 Demonstranten, die am Mittwoch in Berlin zusammengefunden haben, um gegen die Corona-Maßnahmen im Allgemeinen und die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes im Speziellen zu protestieren. Eine Maske trägt sie nicht.

Die Menschen tanzen unter Wasserwerfern, fürchten, durch das Pfefferspray der Polizei geimpft zu werden, halten keinen Abstand. Sie sehen in einer Gesetzesänderung das Ende der Demokratie. Während ein großer Teil der Bürger in Deutschland jeden Tag versucht, die Ausbreitung des Virus zu verhindern, ist diesen Menschen die Gefahr der Pandemie offenbar egal.

Dass sie damit andere Menschen gefährden, scheint sie nicht zu stören. Auf Schildern klagen sie darüber, ihre Meinung nicht mehr kundtun zu dürfen, dabei dürfen sie demonstrieren, wenn sie sich an zwei Regeln halten: eine Maske und eineinhalb Meter Abstand zum Nebenmann. Ein Widerspruch.

Ein Widerspruch, der ratlos zurücklässt.

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Alle Versuche, objektiv über das Coronavirus und die politischen Maßnahmen zu berichten, scheinen bei diesen Demonstranten nicht mehr anzukommen. Muss man diese Menschen deshalb abschreiben? Oder kann man sie trotzdem noch irgendwie erreichen? t-online hat versucht Antworten auf diese Frage zu finden. Politiker, die genau jene Entscheidungen treffen, die diese Menschen so wütend machen, ein Experte für Verschwörungstheorien, ein Psychologe und die Polizei versuchen zu erklären, was nun geschehen muss.

Das sagt die Polizei:

Für Jörg Radke war die Demo vor dem Brandenburger mal wieder eine Provokation. Er ist stellvertretener Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und sieht die Proteste in Berlin in einer Reihe mit den vorherigen Demonstrationen der Querdenken-Bewegungen: Bereits in Leipzig hatten sich Gegner der Corona-Maßnahmen nicht damit zufriedengegeben, auf dem dortigen Messegelände mit viel Platz zu demonstrieren. Stattdessen wählten sie den beengten Innenstadt-Ring, einen Ort, an dem die Proteste gegen das DDR-Regime ihren Höhepunkt fanden. "Diese Menschen wollen historische Orte zu historischen Daten besetzen. Es geht ihnen aber nicht um die freie Meinungsäußerung." Das sehe man auch daran, wie aggressiv gegen Journalisten vorgegangen wird, so Radke.

"Wir müssen uns eingestehen, dass dieser Veranstaltungstypus rein auf Provokation anlegt", sagt Radke, der am Mittwoch das Treiben im Berliner Regierungsviertel hautnah miterlebt hat. Da seien vor allem Rechtsextremisten gewesen, die sich die Ängste der besorgten Menschen zu eigen machten. "Die Veranstaltung wurde so radikalisiert."

Die Aufzüge in Berlin waren zum großen Teil erlaubt, doch es gab Auflagen. Das Tragen einer Maske, der Abstand zum Nebenmann. An beides hielten sich nur die wenigsten. Radke: "Es muss jedem klar sein, dass er sich mit Vorsatz nicht an das Recht hält. Doch es wird immer noch so getan, als sei das ein Kavaliersdelikt."

Die Polizei stellt das vor Probleme: Wie reagieren auf Masken-Verweigerer und Pandemie-Leugner? Was tun, wenn Menschen nicht gehen wollen, obwohl die Demo längst aufgelöst wurde? Recht mit Gewalt durchzusetzen, scheint keine Lösung. "Dort werden Familien mit kleinen Kindern in die erste Reihe der Demo gestellt. Warum? Weil die Veranstalter auf Bilder von verängstigten Kindern hoffen. Und somit ihre Propaganda vom Polizeistaat in die Welt gesendet bekommen", klagt Radke. Stattdessen besprühte die Polizei die Menge mit Wasser aus den Wasserwerfern, deren Vorrichtungen waren nicht auf die Demonstranten gerichtet, sondern Richtung Himmel. Man wollte es den Teilnehmern "ungemütlich" machen, so Radke. Am Ende mit Erfolg, selbst wenn auch Stunden nach dem Demo-Ende noch immer Tausende Menschen zusammenstanden. "Wir müssen einfach diese Geduld aufbringen. Anders geht es nicht. Wir müssen erkennen, dass solche Demonstrationen nicht in zwei Stunden aufgelöst werden können."

Das sagt die Politik:

Konstantin Kuhle ist kein Fan des neuen Infektionsschutzgesetzes. Doch statt eine Verschwörung darin zu sehen oder sich über Allmachtsphantasien der Regierung zu sorgen, stimmte der Oppositionspolitiker gegen die Gesetzesänderung. Man kann ihn in diesem Fall also als Regierungskritiker bezeichnen. Und doch macht er es ganz anders als die demonstrierenden Menschen vor dem Reichstagsgebäude. In einem knapp 8-minütigen Video auf Youtube erklärt er ruhig, sachlich und in einfachen Worten, was ihn und seine Partei, die FDP, an den Gesetzesänderungen stört.

Am Nachmittag ist er einer der Politiker, die neben Wirtschaftsminister Peter Altmaier von rechten Aktivisten im Bundestag bedrängt werden. (Mehr zu den Hintergründen lesen Sie hier). Er empfinde "diese Versuche der Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens als absolut unerhört", schreibt er auf Twitter. Konkreter wird er auf Nachfrage bei t-online: "Bei den Demonstrationen mischen sich echte Enttäuschung und wahrer Frust über die einschneidenden Corona-Maßnahmen mit rechtsextremen und demokratiefeindlichen Motiven sowie mit dem einfachen Wunsch, bei einer solchen Versammlung etwas zu erleben."

So legitim die Anliegen mancher Demonstranten seien, so traurig sei es auch, dass die genannten Motive immer mehr ineinander übergehen, so Kuhle. Doch einfach Abschreiben will er die Menschen nicht – auch wenn er deutlich wird: "Kritische und interessierte Bürgerinnen und Bürger haben immer Antworten und Erklärungen durch die Politik verdient. Wenn mit Gewalt, Drohungen und Aggression gearbeitet wird, muss die Antwort allerdings unmissverständlich sein: Sowas hat in einer demokratischen Auseinandersetzung nichts zu suchen. Deswegen müssen Versammlungen bei Grenzüberschreitungen konsequent aufgelöst werden. Störer müssen aus dem Parlament entfernt werden."

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Das sagt der Psychologe:

Die Szenen am Mittwoch verursachen bei Sebastian Bartoschek Kopfschütteln – und zeigen nach Meinung des Psychologen wie stark die Wahrnehmung dieser Menschen von der Realität entrückt ist. Die Menschen nehmen sich selbst als Rebellen und Revolutionäre gegen eine vermeintliche Diktatur wahr. "Es geht um eine ganz grundsätzliche Systemkritik, man kann es auch Demokratieverachtung nennen. Sie sehen sich als Helden, wenn sie im Wasserwerferregen tanzen."

Bei den Demonstrationen kommen zwar ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Haltungen zusammen, meint Bartoschek. "Sie alle aber eint die Verachtung für das System in dem wir leben." Laut Bartoschek gibt es keine andere Möglichkeit, als mit der vollen Härte der exekutiven Gewalt auf Proteste zu reagieren, in denen gegen die Regeln verstoßen wird. Denn Milde würde den Menschen nur das Gefühl geben, tatsächlich im Recht zu sein und mit ihren Aktionen davonzukommen.

"Wir müssen uns außerdem fragen, welche Wirkung hat das auf Bürger, die sich an die Hygienemaßnahmen halten", warnt Bartoschek. Bei diesen Menschen erodiere das Vertrauen in den Staat. "Die Menschen fragen sich, wie kann es sein, dass wir beim Einkaufen Masken tragen müssen, und die machen da lustige Polonaisen. Das finde ich fataler als die Frage, ob die Leute, die eh schon radikalisiert sind, sich in ihrem radikalen Gedankengut bestärkt sehen."

Das sagt der Experte für Verschwörungstheorien:

Impfungen durch Nano-Sonden, die große Drosten-und-Merkel-Diktatur: Michael Butter beschäftigt sich von Beruf aus mit "Alternativen Fakten" – auch zur Corona-Pandemie. Der Professor an der Uni Tübingen forscht eigentlich im Fach Amerikanistik. Doch seit einiger Zeit wird er mehr und mehr zu dem deutschen Experten für Verschwörungstheorien. In den Parolen vieler Demonstranten sieht er vor allem eine neue Taktik der Rechtsextremen: "Es gibt vonseiten der Neuen Rechten nicht mehr den Versuch, die Geschichte des Nationalsozialismus umzudeuten, weil sie gemerkt haben, dass das nicht funktioniert und dass das tabu ist."

Stattdessen würden sie versuchen, sich selbst gegen rechts zu inszenieren. So will man Demokratie als Diktatur erscheinen lassen. Dabei sei es nur der nächste logische Schritt, dass man beim Infektionsschutzgesetz den Begriff "ermächtigen" aufnehme und behaupte, dass hier dasselbe passiere wie 1933.

Auch Verschwörungstheoretiker aus der linken Szene spielen eine Rolle. Butter: "Da gibt es schon seit Jahren die Meinung, Deutschland driftet ab in eine Diktatur, das wird da wirklich geglaubt. Diese beiden Richtungen stören sich nicht aneinander, sie brüllen die gleichen Parolen. Dadurch ist eine Querfront entstanden, die sich emotionalisiert und mobilisiert hat." Wenn Menschen diese Theorien glauben, werde es schwer, sie davon abzubringen, so der Experte. Die einzige Chance sei: "Über einen langfristigen Zeitraum und im privaten Kontext Dialogbereitschaft signalisieren, Fragen stellen. Nur so kann eine Selbstreflexion in Gang gesetzt werden."

Sie mit der Tatsache, dass es sich bei ihren Vorstellungen um Verschwörungstheorien handelt, zu konfrontieren, habe dagegen den genau gegenteiligen Effekt: "Denn alles wird umgedeutet und zum Beweis für die Verschwörung gemacht." Seine Lösung ist daher ähnlich wie die der Polizei: Geduld. Butter: "Ich kann jeden verstehen, der diese Geduld nicht aufbringen kann. Eigentlich ist das aber die einzige Möglichkeit, um noch eine Chance zu haben."

Verwendete Quellen
  • Persönliche Gespräche mit den Protagonisten am 19. November
  • Eigene Beobachtungen
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