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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neonazi-Chats bei der Polizei "Leider verhindert Seehofer eine genauere Aufklärung"
Fotos von Hakenkreuzen, Adolf Hitler, eine Bildmontage mit einem Flüchtling in einer Gaskammer: In Nordrhein-Westfalen ist eine rechtsextreme Chatgruppe von Polizisten aufgeflogen. t-online.de sprach darüber mit Polizeiforscher Rafael Behr.
Bei einer Razzia in Nordrhein-Westfalen sind am Morgen etwa 200 Polizisten gegen eine Gruppe von Kollegen vorgegangen: 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen wurden durchsucht, gegen 29 Beamte laufen jetzt Disziplinarverfahren und sie wurden vom Dienst suspendiert.
Die Polizisten aus Essen, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen, Moers und Selm sollen sollen in WhatsApp-Gruppen Bilder von Adolf Hitler, von Hakenkreuzen und Reichskriegsflaggen sowie die Bildmontage eines Flüchtlings in der Gaskammer eines Konzentrationslagers geteilt haben.
t-online.de: Herr Behr, überrascht Sie dieser neue Fall von Rechtsextremismus unter Polizeibeamten?
Rafael Behr: Nein, das überrascht mich gar nicht. Schon nach dem Bekanntwerden rechsextremer Umtriebe in der hessischen Polizei habe ich gedacht, dass im Moment viele Polizeipräsidenten schlecht schlafen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann so etwas wieder auftaucht.
Was glauben Sie, steckt hinter solchen Chatgruppen?
Auch unter Polizisten gibt es deutlich rechte Gesinnungen. Aber auch einen gewissen Reiz zur Grenzüberschreitung, also zum Beispiel schneller zu fahren als erlaubt oder mehr Gewalt anzuwenden als nötig. Oder eben auch mit rechtsextremen Narrativen zu sprechen. Leider verhindert Bundesinnenminister Horst Seehofer, das genauer herauszufinden. Die Polizei, die Polizeigewerkschaften und die politisch Verantwortlichen werden jetzt wieder von Einzelfällen sprechen. Man wagt es nicht, die strukturelle Dimension dahinter in den Blick zu nehmen, dabei ist bei der Polizei alles Struktur!
Rafael Behr, Jahrgang 1958, ist Professor für Polizeiwissenschaften. Er lehrt Kriminologie und Soziologie am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei in Hamburg. Außerdem leitet er die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit. Von 1975 bis 1990 arbeitete Behr als Polizeibeamter bei der hessischen Bereitschaftspolizei sowie im Polizeipräsidium in Frankfurt am Main.
Wie meinen Sie das?
Polizisten handeln nicht als Privatleute, sondern eingebunden in eine Organisation, in eine Dienststruktur. Deshalb wäre es so wichtig herauszufinden, in welchen Situationen und Kontexten sich rechtes Denken bei der Polizei verbreitet.
- Interview zu Polizeigewalt mit Rafael Behr: "Das ist eine katastrophale Botschaft"
Welche Rolle spielt das gesellschaftliche Klima?
Polizisten bekommen es natürlich mit, wenn die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschoben werden. Wenn beispielsweise AfD-Chef Alexander Gauland die Nazi-Zeit als "Vogelschiss in der Geschichte" bezeichnet, wirkt sich das auch auf Polizisten aus und wenn dann noch Übermut dazukommt...
Sind Beamte wie die 29 jetzt in NRW suspendierten eine Gefahr für die Bevölkerung?
Da kommen jetzt natürlich Ängste hoch, vor allem in der migrantischen Community und bei People of Colour (PoC), die ohnehin unter "Racial Profiling" und Polizeigewalt leiden. Allerdings übersetzen sich rassistische Haltungen, wie sie in solchen Chats zum Ausdruck kommen, nicht automatisch in rassistisches Handeln. Ich erinnere dabei gerne an den Personenschützer von Michel Friedman.
Der Journalist und frühere stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main?
Friedman hatte zwei Personenschützer vom Frankfurter Polizeipräsidium. Im Arbeitsschrank des einen wurden Nazi-Devotionalien gefunden. Friedman hat nie etwas davon gespürt, dass der Mann rechtes Gedankengut hegte oder etwas gegen Juden hatte. Als das aufgeflogen ist, war Friedman baff. Aber ich verstehe die Ängste, die jetzt hochkommen, und will das Problem nicht kleinreden.
Und was muss innerhalb des Polizeiapparats geschehen, um rechtsextreme Umtriebe zu verhindern?
Wir müssen Polizistinnen und Polizisten sprachfähig machen, also eine Kultur schaffen, in der Whistleblowing nicht zu Mobbing und Ausschluss aus der Gruppe führen. Das ist das Schlimmste was Polizisten passieren kann, bei den Uniformierten noch mehr als bei der Kriminalpolizei.
- Telefonat am 16. September 2020