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"NSU 2.0": Schwerer Verdacht gegen Hessens Polizei – „mehr als Einzeltäter“


Drohbriefe von "NSU 2.0"
"Mehr als Einzeltäter" – schwerer Verdacht gegen Hessens Polizei

Von dpa
Aktualisiert am 12.07.2020Lesedauer: 3 Min.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU, l.) mit einem Polizisten: Die Staatsanwaltschaft hat noch keine Verdächtigen im Fall "NSU 2.0".Vergrößern des Bildes
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU, l.) mit einem Polizisten: Die Staatsanwaltschaft hat noch keine Verdächtigen im Fall "NSU 2.0". (Quelle: Arne Dedert/dpa-bilder)

Wieder haben mehrere Politikerinnen Drohschreiben vom "NSU 2.0" erhalten, wieder wurden zuvor private Daten von hessischen Polizeirechnern abgerufen. Ein Forscher glaubt nicht an Einzeltäter.

Schon wieder Hessen, schon wieder "NSU 2.0", schon wieder ein Polizeirechner, von dem vor Drohschreiben private Daten abgerufen worden waren. Gruppen wie die Beratungsstelle "response" für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt haben schon lange und wiederholt gefordert, nicht vorschnell von Einzeltätern zu sprechen, sondern den Blick auf Ermittlungen zu rechten Netzwerken und Strukturen zu lenken.

Nach den Drohschreiben gegen die hessische Linken-Politikerin Janine Wissler schließt Innenminister Peter Beuth (CDU) mittlerweile nicht mehr aus, dass es ein rechtes Netzwerk in der Landespolizei geben könnte. "Wenn der oberste Dienstherr der Polizei von Netzwerken spricht, macht das auch ein bisschen Sorge", sagt der Hamburger Polizeiforscher Rafael Behr. "Herr Beuth steht ja nicht dafür, dass er so einen Verdacht äußert", sagt Behr, der an der Akademie der Polizei Hamburg lehrt.

"NSU 2.0": Rechte Strukturen in Hessens Polizei?

Sorge bereite vor allem, dass im Falle der Drohschreiben an die Linken-Politikerin Janine Wissler erneut von Daten die Rede ist, die von einem Polizeirechner abgerufen wurden. "Einen Brief mit NSU 2.0 kann man schnell unterschreiben", sagte Behr über mögliche Trittbrettfahrer. "Wenn es zutrifft, dass wieder ein Polizeicomputer im Spiel war, ist das möglicherweise eine Stufe mehr." Dies bestätige die Annahmen über geheime Strukturen in der Polizei, "dass es mehr sind als Einzeltäter".

Noch ist allerdings unklar, wie die Strukturen bei den Verfassern der Schreiben sind. Wurden private Daten, wie vor zwei Jahren auch im Fall der Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz geschehen, nun im Fall Wisslers, "nur" von Polizeirechnern abgerufen oder stammten auch die Verfasser aus den Reihen der Polizei?

Staatsanwaltschaft: keine Hinweise auf Hacker-Angriff

"Wir haben noch immer keinen Durchbruch bei den Ermittlungen", räumt eine Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft zu den "NSU 2.0"-Ermittlungen ein. Wer die Drohschreiben verfasst habe, sei weiterhin nicht bekannt. Hinweise darauf, dass jemand sich von außen in das Informationssystem der Polizei gehackt hat, gibt es offenbar nicht.

Neben der hessischen Linken-Politikerin ist auch die Fraktionsvorsitzende der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Anne Helm, per Mail mit dem Tode bedroht worden. Eine Mail mit einer Art "Todesurteil" sei am vergangenen Wochenende auf ihrem privaten Account angekommen, sagte Helm am Freitag mehreren Medien, nachdem zuerst die "Tageszeitung" (taz) berichtet hatte.

Hessen: Sonderermittler soll Polizei durchleuchten

Unterzeichnet war das Schreiben demnach ebenfalls mit "NSU 2.0". Auch die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner erhielt eine derartige Drohmail, wie sie der "taz" sagte. Nach Angaben Helms enthielt auch das an sie gerichtete Schreiben persönliche Daten, die nicht ohne weiteres recherchierbar sind.

In Hessen soll nun ein Sonderermittler die Arbeit aufnehmen und Licht in den Fall Wissler bringen, der nicht nur die hessische Polizei überschattet in einer Zeit, in der auch viel von strukturellem Rassismus und Racial Profiling die Rede ist.

Polizeiforscher spricht von "Mauer des Schweigens"

Polizeiforscher Behr sieht ein großes Problem bei der Aufklärung von Vorwürfen rechter Strukturen bei der Polizei in der "Mauer des Schweigens", die zur Polizeikultur gehöre. Er hofft deshalb auf ein Whistleblower-System, an das er aber klare Erwartungen hat: "Es darf kein Ombudsmann oder Polizeibeauftragter innerhalb der Struktur der Polizei sein."

Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern tragen aktuell Informationen zu Rechtsextremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden zusammen. Neben der Polizei betrifft das auch die Bundeswehr und das Zollkriminalamt. Auf Basis der dabei gewonnenen Erkenntnisse soll das Bundesamt für Verfassungsschutz Ende September eine Art Lagebericht veröffentlichen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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