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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Pandemie Lauterbach: "Bei Corona geht es nicht nur um Tod oder Genesung"
Es kommen bald viele Impfstoffe – trotzdem sind sie zunächst knapp. Das prognostiziert der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Ein Grund: Angesichts dramatischer Corona-Folgen sinkt die Zahl der Impfgegner.
Herr Lauterbach, wann wird es den langersehnten Impfstoff gegen Corona geben?
Ich kenne in der Geschichte der Medizin keine Impfstoffentwicklung, bei der weltweit so viel Tempo gemacht wurde. Die Forschungsleistungen sind einmalig, die ersten Ergebnisse sehr vielversprechend. Deshalb gehöre ich zu den Optimisten.
Das will etwas heißen. Sie fallen sonst eher als Warner und Mahner auf.
Schön, dass ich Sie noch überraschen kann. Im Ernst: Ich gehe davon aus, dass es Anfang 2021 mehrere Impfstoffe geben wird.
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Gleich mehrere?
Es befinden sich bereits sieben potenzielle Impfstoffe in der sogenannten Phase III, sie werden also bereits an Tausenden Probanden getestet. Einige von ihnen zeigen ausgezeichnete Impfantworten. Hinzu kommen 15 Kandidaten in der Phase II. Davon kann der eine oder andere Impfstoff durchaus noch welche, die in Phase III sind, überholen. Denn nach allem, was wir wissen, sind der Umfang und die Art der Immunantwort bei recht unterschiedlichen Wirkmechanismen vielversprechend. Deshalb denke ich, dass die Zahl der ernsthaften Aspiranten, die im nächsten Jahr auf den Markt kommen könnten, bei mindestens einem Dutzend liegt.
Bei allem Optimismus sind Sie aber auch pessimistisch: Sie rechnen damit, dass im kommenden Jahr nur 20 Prozent der Deutschen auch tatsächlich geimpft werden können.
Ich bin nicht pessimistisch, sondern realistisch. Darf ich erklären, warum?
Bitte.
Wie schnell weite Teile der Bevölkerung geimpft werden können, hängt eben nicht nur davon ab, wann ich Impfstoffe habe, sondern auch davon, welche es sind. Es gibt Produkte, die sich leichter herstellen lassen als andere. Würde zum Beispiel zuerst ein Impfstoff zugelassen, der kompliziert in der Produktion ist, würde die verantwortliche Firma wahrscheinlich keine großen Kapazitäten aufbauen – zumindest, wenn sie weiß, dass sie nicht das wirksamste Produkt hat, die Nachfrage also rasch zurückgehen wird, sobald ein wirksamerer oder besser verträglicher Impfstoff zugelassen wird.
Angenommen, im nächsten Jahr könnten nur 15 bis 20 der mehr als 80 Millionen in Deutschland lebenden Menschen geimpft werden. Wer kommt dann zuerst dran?
Das wird die große Frage des kommenden Jahres. Und wir sollten uns möglichst rasch damit beschäftigen. Bislang gibt es leider keine systematischen Überlegungen, wie eine richtig gute Impfstrategie aussieht.
Was gehört denn zu einer guten Strategie?
Das übergeordnete Ziel muss sein, den Nutzen zu maximieren und die Nebenwirkungen zu minimieren. Das heißt: Die Risikopatienten sind zuerst dran. Und wer Risikopatient ist, wird evidenzbasiert festgelegt – und nicht irgendwie.
Das bedeutet konkret?
Zunächst einmal, dass wir uns ehrlich machen: Ein Risikopatient kann eben auch der 40-Jährige sein, der stark übergewichtig ist und seine Oma pflegt. Wie viele Menschen das am Ende betrifft, wissen wir nicht. Wir sollten es aber wissen.
Gehören Lehrer und Krankenschwestern auch zu den Risikogruppen?
Weil sie angesichts vieler Kontakte einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, wären sie sicherlich eine wichtige Gruppe.
Führt ein zunächst knapper Impfstoff nicht zwangsläufig zu neuen Verteilungskämpfen in der Gesellschaft?
Das kann theoretisch passieren. Ich hoffe, dass wir es praktisch durch eine gute Kommunikation verhindern, sodass die Schritt-für-Schritt-Strategie in der Bevölkerung Akzeptanz findet.
Für Entlastung könnte sorgen, dass viele Bürger sich eh nicht impfen lassen wollen.
Glauben Sie mir: Die Bereitschaft sich impfen zu lassen, wird deutlich steigen.
Woher nehmen Sie dieses Mal Ihren Optimismus?
In einem Jahr werden deutlich mehr Menschen als heute verstanden haben, dass es bei Corona nicht nur um Tod oder Genesung geht, sondern um viel mehr. Wir wissen schon jetzt, dass Covid-19 langfristige Konsequenzen hat – selbst bei jenen Patienten, die einen relativ milden Verlauf hatten. Neuere Studien zeigen, dass fast die Hälfte der Infizierten mit zum Teil relativ mildem Verlauf drei Monate später noch immer unter Symptomen leidet. Wenn wir ein bisschen in die Zukunft blicken, bedeutet das eben, dass wir in zwei Jahren von den Glücklichen sprechen werden, die geimpft sind, und einigen Unglücklichen, die früh betroffen waren und noch immer unter etwa einem chronischen Erschöpfungssyndrom oder Nierenschäden leiden.
- Telefonat mit Karl Lauterbach