Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Frage der Woche "Die Fleisch-Debatte ist durchtränkt von Arroganz"

Der Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb hat erneut eine hitzige Diskussion um den deutschen Fleischkonsum entfacht. Ist nun die Zeit für die große Wende gekommen? | Von Melanie Muschong und Patrick Diekmann
Die vorübergehende Schließung des größten deutschen Schlachtbetriebs von Clemens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück nach einem Corona-Ausbruch mit aktuell über 800 Infizierten war der Anstoß für eine deutschlandweite Diskussion über den allgemeinen Fleischkonsum in der Bundesrepublik.
- Wirbel um Tönnies-Video: Es zeigt alte Misstände
Vor allem die Fleischproduktion und die Arbeitsbedingungen geraten dabei zunehmend in den Fokus. "Es gibt haarsträubende Sonderaktionen, bei denen Fleisch deutlich unter seinem Wert verkauft wird. Das müssen wir stoppen", sagte Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) kürzlich der "Rheinischen Post".
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Heinen-Esser kündigte eine Bundesratsinitiative an, um Niedrigpreise für Fleisch zu unterbinden.
- Ausbruch in Schlachthof: Was passiert nun mit den Schweinen?
Hinzu kommt das offenkundig gewordene Elend der Arbeiter auf Schlachthöfen. Eigentlich keine neue Erkenntnis, doch vor allem durch die gerade erst bestätigten Corona-Fälle in den Betrieben ist das Thema aktueller denn je. Häufig sind Gastarbeiter aus Osteuropa über Subunternehmen in den Fleischfabriken beschäftigt. Untergebracht werden sie immer wieder auch in engen Sammelunterkünften. Kein Zustand – zu keiner Zeit.
Und viele machen die niedrigen Fleischpreise für schlechte Arbeitsbedingungen mitverantwortlich, welche wiederum die Verbreitung des Coronavirus befördert hätten. Und das führt zur Frage:
Brauchen wir jetzt die große Fleischwende?

Ja, denn sie macht unser Leben besser
In Deutschland muss ein Umdenken stattfinden. Denn mit dem Verzicht auf größere Mengen von Fleisch schützt man seine eigene Gesundheit. Und: Man leistet einen wichtigen Beitrag für bessere Lebensumstände von vielen anderen Menschen.
So einfach ist das aber nicht? Doch. Nur ein Beispiel: In Frankreich geben die Menschen mehr Geld für Lebensmittel aus. Sie investieren in hochwertige Produkte. Fleisch wird häufig nur ein Mal pro Woche konsumiert, auf den Genuss ausgerichtet. Statussymbol: Lebensqualität. Und das ist gut so! Gut für den eigenen Körper und gut für diejenigen, die dadurch nicht für einen Spott-Lohn in der Massenschlachterei arbeiten müssen. Und natürlich muss Billigfleisch unterbunden werden.
Klar, nicht jeder hat die Mittel mehrmals die Woche in den Bio-Laden zu gehen. Aber es ist doch besser nur ein Mal pro Woche ein gutes Stück Fleisch vom Metzger zu kaufen, als die abgepackte Massenware für wenige Euro alle zwei Tage. Zudem ist Verzicht heute einfach. Neben dem Gemüse gibt es viele gute Ersatzprodukte.
Und ein Punkt ist noch wichtig: Der Konsum von Fleisch kann auch unsere Umwelt beeinflussen. Übermäßiger Verzehr sorgt dafür, dass Tiere übermästet- und mehr Klimagase ausgestoßen werden, zudem mehr Grundwasser von Gülleresten gereinigt werden muss. Und es führt dazu, dass Tiere zum Schlachten gezüchtet werden. Auf engstem Raum, mit Antibiotika behandelt. Wer nicht für die Umwelt seinen Fleischkonsum reduzieren möchte, sollte es für das Tierwohl machen. Und sich selbst.

Nein, das schafft noch größere Probleme
Deutschland hat ein Fleisch-Problem, aber die Debatte darüber ist durchtränkt von gut-bürgerlicher Arroganz. Natürlich isst unsere Gesellschaft zu viel Fleisch, aber den Konsum beispielsweise über Preiserhöhungen zu regeln, wäre unsozial. Die Folge: Reichere Menschen können uneingeschränkt Fleisch essen, Ärmere nicht. Das spaltet die Gesellschaft.
Preiserhöhungen sind oft Ausdruck von politischer Ratlosigkeit. Die Welt wäre schön, wenn jeder Mensch sich Fleischersatzprodukte oder den Einkauf im Bio-Markt leisten könnte. Aber das ist nicht die Realität. Für einen geringeren Fleischkonsum muss es zunächst bezahlbare Alternativen geben. Vier Euro für ein kleines Soja-Schnitzel? Das ist zu viel. Und wer denkt, dass sich allein durch Preiserhöhungen die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessern, der ist naiv.
Momentan lebt die Mehrheit im Land nicht vegetarisch, auch das ist Realität. Auf dem Weg zu einer fleischloseren Gesellschaft hilft kein Zwang. Sondern neben Alternativen braucht es Aufklärung: Die Massentierhaltung ist barbarisch, wir pumpen unser Essen mit Antibiotika voll und machen den Planeten kaputt. Das sind die Argumente.
Auf diesem Weg müssen die Menschen aber von der Politik mitgenommen werden. Wenn nicht, spielt das vor allem den Populisten in die Hände. Und ich möchte nicht erleben, wie sich die AfD als Retter der deutschen Bratwurst aufführt. Nein, danke.
Wer hat recht?
Im neuen Format "Frage der Woche" kommentieren jeden Samstag Redakteure von t-online.de eines der politischen bzw. gesellschaftspolitischen Top-Themen der Woche.
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