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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kritik an Merz' Ministern "Regierung hat keine Ahnung von den neuen Ländern"

Vergisst Schwarz-Rot beim Personal den Osten? An der bisherigen Auswahl der Minister gibt es jedenfalls Kritik. Noch aber gibt es Chancen.
Anfang des Monats klang das alles noch etwas anders. Da trafen sich die fünf Ministerpräsidenten der ostdeutschen Flächenländer in Berlin zu einer Konferenz, und die Botschaft war parteiübergreifend deutlich: Es muss ostdeutsche Minister in der nächsten Bundesregierung geben. Plural.
Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer von der CDU und Dietmar Woidke von der SPD, hatten das Ganze sogar auf eine Zahl gebracht: Drei von 15 Ministern sollten aus dem Osten kommen, forderten die beiden. Die ostdeutschen Länder stellten immerhin rund 20 Prozent der Bevölkerung, argumentierte Woidke, "diesen Anteil im Kabinett zu stellen, wäre nur angemessen".
Jetzt hat sich die schwarz-rote Regierung sogar 16 Ministerien plus den Kanzleramtschef genehmigt – und ist von drei Ressortchefs aus dem Osten trotzdem noch weit entfernt.
Brandenburgs CDU-Chef ist zufrieden
Mehr als die Hälfte der Ministerposten ist schon vergeben, nachdem CDU und CSU ihre neun Ministerien und das Kanzleramt am Montag besetzt haben. Bislang wird mit gutem Willen eines davon von einer Frau aus Ostdeutschland geführt: von Katherina Reiche, der neuen Ministerin für Wirtschaft und Energie.
Katherina Reiche ist in Luckenwalde in Brandenburg geboren, lebt aber seit vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen. Sie ist seit 2015 keine Politikerin mehr. Damals wechselte sie aus dem Bundestag, wo sie seit 1998 für die CDU Brandenburg saß, zunächst als Hauptgeschäftsführerin zum Verband kommunaler Unternehmen. Seit 2020 war sie Vorstandschefin von Westenergie in Essen.
Brandenburgs CDU-Landeschef Jan Redmann hält sie trotzdem für eine gute Wahl. "Mit der gebürtigen Brandenburgerin Katherina Reiche zieht ins Wirtschaftsministerium endlich wieder wirtschaftspolitischer Sachverstand ein", sagt er t-online. Aus Brandenburger Sicht sei man in den entscheidenden Fragen der Energiepolitik "hervorragend vertreten".
Die Bundesregierung bestehe "aus kompetenten Personen aus Ost und West", sagt Redmann und betont zugleich: "Die Bundesminister sind für Ressorts verantwortlich, nicht für Regionen."
Unzufriedenheit in Sachsen-Anhalt
Doch selbst in der CDU wird Katherina Reiche nicht von allen als echte Personalie aus dem Osten gewertet. Der CDU-Chef Sachsen-Anhalts, Sven Schulze, kritisierte die Personalpolitik am Montag am Rande des kleinen CDU-Parteitags in Berlin recht deutlich.
Es sei "ein offenes Geheimnis, dass wir aus Ostdeutschland natürlich drüber nachgedacht haben, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, jemanden zu haben, der in Ostdeutschland noch bekannter gewesen wäre", sagte Schulze in der ARD. "Das hätte uns genutzt, auch in Hinblick auf die nächsten Wahlen."
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In Sachsen-Anhalt wird im Sommer 2026 gewählt, in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin dann im Herbst. Bei der Bundestagswahl lagen CDU und SPD in den ostdeutschen Flächenländern zuletzt deutlich hinter der AfD, die überall rund doppelt so stark wurde wie der Zweitplatzierte. CDU und SPD können also tatsächlich jede Hilfe gebrauchen.
Ramelow: "Keine Ahnung von den neuen Ländern"
"Ich finde die Entscheidung bedauerlich", sagt Bodo Ramelow t-online mit Blick auf das bisher wenig ostdeutsche Merz-Kabinett. Ramelow war bis Ende vergangenen Jahres Ministerpräsident in Thüringen, nun sitzt er für die Linke im Bundestag. Er sehe hier die Fortsetzung von Entscheidungen aus dem Koalitionsvertrag, der ebenfalls nicht die "positive Kraft der Transformation aus den neuen Ländern für ganz Deutschland" nutze.
"Dieser Weg lässt Ostdeutschland als irgendetwas Lästiges erscheinen", kritisiert Ramelow. "Das hat die Deutsche Einheit nicht verdient." Er findet: "Eine einzelne Besetzung mit ostdeutschem Blick und der Sensibilität für die Chancen der neuen Länder ist nicht erkennbar."
Dabei seien nicht nur die Chancen, sondern auch die Herausforderungen groß. Eine Schneise schlage sich durch Ostdeutschland, sagt Ramelow: Automobilzulieferer gingen kaputt, der nötige Umbau zur Wasserstoff-Super-Region finde nicht statt, und auch die Bildungs- und Gesundheitspolitik mache deutlich, "dass die Bundesregierung keine Ahnung von den neuen Ländern hat".
Linnemann: "Himmelsrichtungen sind egal"
Die Bundes-CDU bemüht sich derweil, abseits von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche noch eine andere Personalie aus Ostdeutschland zu betonen: Christiane Schenderlein. Sie soll Staatsministerin für Sport und Ehrenamt werden, was im Vergleich zum Amt einer reinen Parlamentarischen Staatssekretärin eine Aufwertung ist. Aber eben kein Ministeramt.
Schenderlein ist in Weißenfels in Sachsen-Anhalt geboren, war Mitglied im Sächsischen Landtag und sitzt seit 2021 für Sachsen im Bundestag. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann versuchte am Montagabend in der ARD, Schenderleins Bedeutung zu betonen. Das Land kümmere sich zu wenig um "die stillen Helden, die Ehrenamt leisten", sagte Linnemann – und spielte die Bedeutung ostdeutscher Repräsentanz zugleich herunter: "Meine persönliche Meinung ist: Es muss funktionieren. Die Himmelsrichtungen sind doch am Ende egal."

In den Staatskanzleien der CDU-geführten Bundesländer im Osten gibt man sich bislang zurückhaltend. Die gerade vorgestellte Kabinettsliste will offenbar niemand laut kritisieren, bevor die Bundesregierung überhaupt im Amt ist. Aus einem CDU-geführten ostdeutschen Bundesland ist zu hören, man warte nun erst einmal ab, wie sich die SPD aufstelle. Es komme auf das Gesamtbild an.
Hoffen auf die SPD
Die SPD will ihre Ministerinnen und Minister erst am 5. Mai präsentieren, einen Tag vor der Wahl des Bundeskanzlers und der anschließenden Vereidigung seines Kabinetts. Und tatsächlich könnten bei der SPD noch ostdeutsche Ressortchefs dazukommen.
Das Bauministerium wird für die SPD schon bisher von Klara Geywitz geführt, die aus Brandenburg kommt. Möglich ist, dass sie es weiterführt. Als Alternative wird der bisherige Ostbeauftragte Carsten Schneider aus Thüringen gehandelt, der auch als Fraktionschef im Gespräch ist.
Als mögliche Justizministerin wird außerdem immer wieder Sonja Eichwede genannt. Sie ist zwar in Bremen geboren, arbeitet aber seit 2016 in Brandenburg, unter anderem als Richterin, und sitzt für die SPD dort seit 2021 im Bundestag.
Käme es so, dann sähe die ostdeutsche Ministerbilanz von Schwarz-Rot am Ende gar nicht so schlecht aus.
- Eigene Recherchen
- ardmediathek.de: "Tagesthemen vom 28.04.2025 mit Linnemann-Interview"
- faz.net: "Ostdeutsche Länder fordern mehr Minister im Kabinett" (Archiv, kostenpflichtig)