Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bilder aus Kantine Wirbel um Tönnies-Video: Es zeigt alte Missstände
Nach dem großen Corona-Ausbruch mit Hunderten Infizierten beim Fleischfabrikanten Tönnies in Rheda-Wiedenbrück löst ein Video Empörung aus. Doch die Aufnahmen zeigen nicht die aktuellen Verhältnisse.
Ein Video mit den vermeintlichen Zuständen in der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück löst in sozialen Netzwerken Unverständnis und Empörung aus. Ohne zeitliche Einordnung erweckt es aber einen falschen Eindruck: Seitdem das Video entstanden ist, sind bei Tönnies die Sicherheitsvorkehrungen mehrfach überarbeitet und verbessert worden.
Auf Twitter hat ein Nutzer das Video verbreitet mit dem Satz "Schulen und Kitas wieder dicht aber bei #Tönnies geht es weiter!" Es zeigt die Kantine in dem Betrieb, in dem Arbeiter dicht an dicht sitzen. Eine Frau, offenbar die Filmerin, fragt: "Wie sollen wir uns hier schützen?"
In der Kantine gelten jedoch inzwischen ganz andere Abstandsregelungen. Um diese zu gewährleisten, hat das Unternehmen unter anderem mit Zelten zusätzlichen Platz für Pausen geschaffen.
Tönnies macht falsche Angaben zum Video
Ein Unternehmenssprecher hatte am Mittwoch auf Anfrage von t-online.de das genaue Aufnahmedatum nicht nennen können. Dem Unternehmen sei es seit Ende März bekannt, so der Sprecher weiter. Das war offenbar falsch. Recherchen der Tagesschau ergaben, dass das Video am 8. April entstanden ist. Tönnies räumte am Donnerstagabend gegenüber t-online.de in einer "Klarstellung" ein: "Das im Netz kursierende Video ist uns im Unternehmen seit Anfang April bekannt."*
Das Datum spielt eine erhebliche Rolle. Das Land NRW hat am 30. März Hygienevorschriften verschärft, die auch strengere Vorgaben für Betriebskantinen machten. Weil das Video aus dem April ist, zeigt es, dass Tönnies gegen diese Vorschriften verstoßen hat. Ein Sprecher erklärte am Donnerstagabend: Man sei sich bei allen Maßnahmen über einen "Zielkonflikt zwischen der Pandemie-Prävention und der Lebensmittelversorgung" bewusst gewesen.
Die Situation in den Speiseräumen ist auch nach Informationen der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten heute eine ganz andere. "Das Problem in Schlachthöfen und Fleisch-Zerlegebetrieben liegt auch woanders", so eine Sprecherin zu t-online.de. In Rheda-Wiedenbrück würden bis zu 30.000 Schweine am Tag geschlachtet. "Bei so einem Durchsatz sind die Regeln gar nicht einzuhalten."
Wettbewerber Westfleisch habe deshalb in einem Werk die Produktion auf die Hälfte heruntergefahren, um Abstände vergrößern zu können. Tönnies und der Landkreis hatten sich am Dienstag verständigt, die Produktionskapazität zu verringen. Das hatte sich am Mittwoch bereits wieder erledigt, als die Schließung beschlossen wurde. Arbeitsplätze waren laut Unternehmen auseinandergezogen worden.
Mindestabstandsregeln durften verletzt werden
In dem Betrieb durften aber nach einer Entscheidung von Land und Kreis die Mindestabstände unterschritten werden. Die Behörden hatten festgestellt, dass der Fleischfabrikant einen Versorgungsauftrag als Unternehmen mit kritischer Infrastruktur hat.
Nach Informationen der Gewerkschaft gelten durchaus strenge Hygienevorschriften, und das Personal erhalte inzwischen hochwertige Masken. "Aber es ist zu vermuten, dass unter den extremen Arbeitsbedingungen Menschen die Masken nicht ständig tragen, auch wenn sie das sollten", so die NGG-Sprecherin.
Video hatte Befürchtungen geweckt
Das Video aus dem Speiseraum hatte im April bereits Diskussionen und Fragen aus der Kommunalpolitik in Rheda-Wiedenbrück ausgelöst. Die Grünen hatten die Sorge geäußert, "in und um die Firma herum könnte sich möglicherweise ein enormes Infektionspotenzial entwickeln". Dabei ging es auch um die Frage der Unterkünfte der Mitarbeiter. Branchenweit gelten die als besonderes Problem.
Das Unternehmen hatte auf Fragen ausführlich Stellung genommen und seine Schutzmaßnahmen vorgestellt. In der Produktion hatte es nach Unternehmensangaben zu dem Stichtag 22. April noch keinen positiven Fall gegeben. Man habe auch weiter "intensiv" daran gearbeitet, das Virus aus dem Betrieb zu halten, so ein Sprecher.
Das Unternehmen vermutet nun die Rückkehr von Arbeitern nach Heimaturlauben als Ursache. Viele der häufig aus Rumänien und Bulgarien stammenden Beschäftigten hätten die langen Wochenenden für eine Reise genutzt. Außerdem beförderten gekühlte Räume das Übertragen des Virus auf viele Personen.
*Der Text wurde aktualisiert mit den Informationen der Tagesschau und der Stellungnahme von Tönnies, dass das Video dem Unternehmen nicht schon im April bekannt war.
- Eigene Recherchen
- Ratsinfo Rheda-Wiedenbrück: Stellungnahme der Firma Tönnies
- tagesschau.de: Video zeigt Hygieneverstöße
- Die Glocke: Video ruft Grüne auf den Plan