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Calw-OB über Coronavirus: "Reingestoßen wie von einem Zehnmeter-Brett"


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Bürgermeister in der Corona-Krise
"Reingestoßen wie von einem Zehnmeterbrett ins Becken"

InterviewVon Tim Kummert

Aktualisiert am 02.04.2020Lesedauer: 5 Min.
Florian Kling: Der Bürgermeister von Calw koordiniert für seine Stadt das Krisenmanagement.Vergrößern des Bildes
Florian Kling: Der Bürgermeister von Calw koordiniert für seine Stadt das Krisenmanagement. (Quelle: Stadt Calw)

Die deutschen Bürgermeister kämpfen gegen die Pandemie. Einer von ihnen ist Florian Kling in Calw: Er ringt um Schutzmasken

Florian Kling, der Oberbürgermeister der Stadt Calw, hat im Internet die Nummer seines Handys veröffentlicht: Die Menschen in der Stadt bei Stuttgart sollen ihn so jederzeit erreichen können, wenn sie Probleme haben. Im Moment klingelt das Handy von Kling fast jede Minute: Er muss die 25.000 Einwohner von Calw durch die Corona-Krise führen.

In der Krise sind es vor allem die Bürgermeister in den Städten, die konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise einführen: Denn Bundes- und Landesregierungen setzen nur den gesetzlichen Rahmen. Die Politik vor Ort machen Bürgermeister und Landräte – und geraten dabei an ihre Grenzen.

Der 32-jährige Kling war zwölf Jahre Offizier bei der Bundeswehr, und ist seit Dezember 2019 Oberbürgermeister von Calw. Ein Gespräch über alltägliche Politik in Zeiten des Ausnahmezustands.

t-online.de: Herr Kling, wie viele Stunden schlafen Sie im Moment pro Nacht?

Florian Kling: Aktuell komme ich wieder auf meine acht Stunden. Doch in den letzten Wochen waren es manchmal auch deutlich weniger, wenn das so weitergegangen wäre, hätte ich das nicht sehr lange durchgehalten.

Wie funktioniert das Krisenmanagement bei Ihnen in der Stadt?

Ich bin froh, dass ich vorher als Offizier bei der Bundeswehr war und dort viel über die Bewältigung von Krisen gelernt habe – ich weiß gar nicht, wie das andere Kollegen machen, die auch frisch im Amt sind. Wir stehen aber untereinander in sehr gutem Kontakt und helfen uns gegenseitig, auch mit dienstälteren Kollegen. In Calw haben wir jetzt einen "Corona Krisenstab" eingerichtet, wo ich mich mit den wichtigsten Funktionären der Stadtverwaltung alle zwei Tage abspreche.

Einer Forsa-Umfrage zufolge lag 80 Prozent von etwa 2.300 befragten Rathäusern kein Plan vor, wie man mit einer solchen Krise umgeht. Wie war das bei Ihnen?

Es gab nichts: keine Vorbereitung, keinen Notfallplan, keine Strategie für eine solche Situation. Wir sind dort reingestoßen worden wie von einem Zehnmeterbrett ins Becken. Auf Amazon habe ich mir die "Dienstordnung für den Verwaltungsstab einer Stadt" bestellt, weil das Buch nicht im Rathaus vorhanden war. Auch konnte ich mir eine Stabsdienstordnung durch verschiedene Internetseiten des Katastrophenschutzes zusammenbasteln. Dabei ist diese Dienstordnung die Grundlage für die Politik im Ausnahmezustand, die ich jetzt jeden Tag mache.

Was war bislang das Schwierigste an der Krise?

Das Schwerste war der Anfang: Am 6. März war ich im Schwarzwald in einem Hotel mit meinen Fachbereichsleitern auf Klausur, da rief mich der Landrat an und teilte mir mit, dass es den ersten Corona-Fall in Calw gibt. Zu dieser Zeit lief bereits die zehntägige "Vesper-Kirche" im Dorf, wo sich viele Menschen in der örtlichen Kirche zum Mittagessen treffen.

Also ein Paradies zur Verbreitung von Viren.

So ist es. Und es gab zu dem Zeitpunkt keinerlei Verordnung von der Bundes- oder Landesregierung zum Umgang mit Corona. Also musste ich als Bürgermeister selbstständig auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt handeln: Ich machte die "Vesper-Kirche" dicht, sagte Feiern ab und verbot alle Veranstaltungen mit über 100 Leuten, kurz darauf reduzierte ich in Absprache mit den anderen Bürgermeistern im Kreis diese Zahl auf 50 Menschen. Ich musste so handeln, um Menschenleben nicht zu gefährden, Bund und Land schwiegen ja zu dem Zeitpunkt noch.

Fühlten Sie sich alleingelassen mit der Verantwortung?

Schon ein wenig, vor allem weil es natürlich sehr harte Entscheidungen waren, die zahlreiche Ehrenamtliche vor den Kopf stieß. Aber die ersten Corona-Fälle waren bei uns in einem Fußballklub, weil die Spieler vorher in Italien waren. Solche kleinen Vorfälle kann natürlich niemand von der Bundesregierung behandeln, da muss man dann vor Ort gegensteuern und die weitere Verbreitung eindämmen. Am 17. März gab es dann die erste Landesverordnung zur Einschränkung des öffentlichen Lebens.

Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen solchen Verordnungen mit der Politik, die Sie vor Ort machen?

Im Moment läuft das so ab: Die Kanzlerin verkündet etwas, einigt sich mit den Ministerpräsidenten und dann geht alles sehr schnell. Die Landesverordnungen werden wenige Minuten vor Mitternacht als Notverordnung veröffentlicht, damit sie sofort am Folgetag ab 0.01 Uhr gültig sind. Gleichzeitig wird von uns Bürgermeistern erwartet, dass wir das dann schon an diesem Tag sofort flächendeckend umsetzen.

Wie setzen Sie das dann um?

Ich habe die Feuerwehr gebeten, mit Lautsprecherdurchsagen den Menschen zu kommunizieren, was aktuell verboten ist. Zudem habe ich kürzlich alle Stadtteile persönlich abgefahren und habe den Ladenbesitzern gesagt, dass die jetzt schließen sollen, sonst müssen wir mit der Polizei wiederkommen. Außerdem kommunizieren wir per E-Mail, Facebook und Instagram direkt mit den Bürgern und Gewerbetreibenden.

Sind die Menschen dabei einsichtig?

Ja, eigentlich funktioniert das sehr gut. Ich als Bürgermeister muss da auch Aufklärungsarbeit leisten, nicht jeder Bürger liest eine Landesverordnung und kann die neusten Gesetze vollumfänglich deuten.

Wie groß ist Widerstand der Bürger gegen die Ausgangsbeschränkungen?

Die meisten verstehen die Notwendigkeit dafür, noch ist der Rückhalt bei den Menschen groß. Es gibt aber auch Menschen, die erklären, dass man ja nicht im Krieg sei. Die Lautsprecherdurchsagen der Feuerwehr finden solche Bürger sehr befremdlich. Und noch etwas kommt hinzu: Aufgrund der Langeweile in der Quarantäne, die sich langsam ausbreitet, kommen besonders auf Facebook jetzt Verschwörungstheorien auf, das war beim Beginn der Krise noch anders. Nun hat die Irrationalität langsam wieder Aufwind.

Was ist aktuell Ihre größte Herausforderung?

Ich weiß nicht, wie viele Atemschutzmasken ich als Bürgermeister selbst organisieren muss. Aktuell werden mir von einem Unternehmen 50.000 Masken aus China mit einem Stückpreis von 3,20 Euro angeboten — ich weiß nicht, ob ich die kaufen soll. Denn bislang ist unsicher wie viele wir von Land und Bund erhalten werden und ob ich vielleicht in einigen Wochen auf der teuren Schutzausstattung sitzen bleibe. Dabei will ich doch die Menschen in meiner Stadt schützen! Es geht um viel Geld, das sind Hunderttausende Euro für Masken, die mir eventuell später dann in der Kasse fehlen. Und die finanzielle Lage ist ohnehin schon unfassbar angespannt.

Steht Ihre Stadt kurz vor der Pleite?

Noch nicht, aber wenn die Einschränkungen so bleiben, dann könnten wir wirklich in die Haushaltssperre laufen. Über das Jahr 2020 werden wir wohl noch kommen, alles Weitere ist vollkommen offen. Im Moment brechen mir alle wichtigen Steuereinnahmen weg: Ich habe praktisch keine Einnahmen über die Gewerbesteuer, oder, wegen der Schließungen, aus der Vergnügungssteuer. Die Volkshochschule ist fast bankrott. Gleichzeitig explodieren die Ausgaben, überall braucht es jetzt Geld von den Kommunen, beispielsweise beim Erlass der Kindergartengebühren, der Musikschule oder bei Zusatzausgaben durch die Krise. Aktuell laufen die Betriebskosten von allen Einrichtungen aber noch voll weiter.

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Wie lange geht das noch gut?

Wenn das öffentliche Leben am 19. April langsam wieder hochgefahren wird, dann kann sich das noch zum Guten wenden: Im Sommer könnten wieder Veranstaltungen und Events stattfinden, die Unternehmen würden wieder den Betrieb aufnehmen und Steuern zahlen.

Eines ist aber klar: Bei jedem Szenario müssen wir die Ausgaben hart priorisieren. Einige Neubauten müssen wir vermutlich ins nächste Jahr verschieben. Auf einen Zeitpunkt, wenn diese Krise endlich wieder vorbei ist.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Florian Kling in einer Video-Schaltkonferenz
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